Standortwahn:Der weissgewaschene Bührle
Im Ausstellungs-Skandal um Bührle geht es um die Verklärung der Vergangenheit.
Streit um die Gemäldesammlung des Waffenfabrikanten Emil Bührle im Zürcher Kunsthaus. Wer Bührle wirklich war, wird dabei ausgeblendet.
War er nur ein Industrieller, Mäzen und eifriger Kunstsammler? So stellen das Kunsthaus und die Zürcher Wirtschaftselite Emil G. Bührle dar (siehe Artikel rechts). Doch die Wahrheit sieht anders aus. Bührle (1890–1956) war ein Nazi-Sympathisant, Antisemit und Kriegsprofiteur. Und obendrein auch noch ein ruchloser Patron. Ein geflügeltes Wort während des Zweiten Weltkriegs lautete so: «Sechs Tage in der Woche arbeiten die Schweizer für Hitler, am Sonntag beten sie für den Sieg der Alliierten.» Besonders viel für Hitler tat Emil Bührle mit seiner Waffenfabrik in Oerlikon. Sein Exportschlager war die 20-mm-Flabkanone. Die exportierte er in alle Welt. Auch ins Dritte Reich. Bührle half so mit, dass die Nazis ganz Europa mit Krieg überziehen konnten. Die Waffenprofite machten ihn schliesslich zum reichsten Mann der Schweiz.
Das kam nicht von ungefähr. Bührle wuchs in jenen rechtsextremen Netzwerken in Deutschland auf, die Hitler zum Aufstieg verhalfen. Als Beamtensohn und Kunststudent war er im Ersten Weltkrieg Kavallerieoffizier und Spähtrupp-Führer gewesen. Nach Kriegsende kehrte er jedoch nicht wie andere ins Zivilleben zurück. Vielmehr schloss er sich dem Freikorps des reaktionären Militärführers Dietrich von Roeder an. Wichtig zu wissen: Diese paramilitärischen Einheiten waren die Wegbereiter der Nazis. Nationalistisch, militaristisch und autoritär gesinnt, stemmten sie sich mit Mord und Gewalt gegen die junge deutsche Demokratie der Weimarer Republik.
Brutal schlugen sie auch Arbeiteraufstände nieder. Ihre berühmtesten Opfer waren die Revolutionäre Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die 1918 in Berlin ermordet wurden. Der Hauptverantwortliche dieser Morde, Waldemar Pabst, ging später als Waffenhändler in die Schweiz und wurde ein Geschäftspartner von Bührle. Unbehelligt von der Bundesanwaltschaft funktionierten die rechtsextremen Seilschaften über die Grenze hinweg. In der Oerlikon-Chefetage gaben sich Faschisten und Reaktionäre die Klinke in die Hand. Etwa Divisionär Eugen Bircher, der für die Anpassung an NS-Deutschland eintrat, oder der Oberst und Fröntler Emil Sonderegger, der als Befehlshaber im Landesstreik mit Handgranaten gegen streikende Arbeiter vorgehen wollte.
Bührle kam 1924 in die Schweiz, weil die Deutschen die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon übernommen hatten. Dank guten Verbindungen – sein Schwiegervater war Bankier – wurde er bald Chef und 1938 auch Eigentümer der Fabrik. Bald rüstete er den Betrieb auf Kriegsgüter um. Mit Kanonen liess sich nicht nur viel Geld machen. Er konnte auch seinen deutschen Freunden zudienen. Diese brauchten Fabriken wie Oerlikon. Denn der Versailler Vertrag untersagte die Wiederaufrüstung Deutschlands. Also musste sie verdeckt erfolgen. Bührles Geschäfte liefen wie geschmiert. Je mehr Hitler auf den Weltkrieg zusteuerte, desto besser.
Schon 1935 war Oerlikon-Bührle ein Grossunternehmen, ab 1940 sogar ein Konzern mit mehr als 3700 Mitarbeitenden. Grösser als Escher Wyss und viel grösser als Maag Zahnräder. Als Patron war Bührle ebenso rücksichtslos wie als Geschäftsmann. Autoritär und Gewerkschaftshasser. 1931 kürzte er den Arbeitern die Löhne, 155 Mitarbeitende antworteten mit Streik. Und zwar 18 Tage lang. Der Präsident des Metall- und Uhrenarbeiterverbands (Smuv), Konrad Ilg, später Mitbegründer des «Friedensabkommens», eilte zur Schlichtung herbei. Diese fiel «zugunsten Bührles aus», wie der Historiker Hans Ulrich Jost urteilt. Der Patron kassierte auch noch 22’000 Franken aus dem Streikfonds des Arbeitgeberverbands.
1700 Oerlikon-Büezer streikten
während zweier Wochen.
Wegen der steigenden Nachfrage liess Bührle auf Teufel komm raus produzieren. Für Hitler, aber ebenso für dessen Gegner. 1939 starben fünf Oerlikon-Mitarbeiter wegen ungesicherter Sprengmittel, und zahlreiche wurden teils schwer verletzt. Es kam zu einem spontanen Sitzstreik. Bührle reagierte hart und setzte den Anführer des Protests vor die Tür. Ein Jahr später, 1940, kochte die Stimmung im Betrieb über. Bührle hatte wegen Auftragsschwunds mehrere Hundert Mitarbeitende einfach auf die Strasse gestellt. Als sich erneut Explosionen mit Verwundeten ereigneten, entbrannte einer der grössten Streiks der Schweiz: 1700 Arbeiterinnen und Arbeiter legten zwei Wochen lang die Arbeit nieder. Und zwar gegen den Willen der Gewerkschaft Smuv, die bei Oerlikon nur schwach vertreten war. Bührle lenkte schliesslich ein, hob die Löhne etwas an – und entliess die Streikführer.
Patron Bührle war auch ein Profiteur von Zwangsarbeit. Er kassierte jahrelang Lizenzzahlungen einer deutschen Fabrik, für die Hunderte Gefangene des Frauen-KZ Ravensbrück arbeiten mussten. Auch selber beschäftigte der Kanonenkönig Zwangsarbeiterinnen. Nämlich in der Spinnerei Dietfurt SG, wie der «Beobachter» unlängst enthüllte. Dort chrampfen in den 1950er Jahren von den Fürsorgebehörden eingewiesene Mädchen unter Aufsicht von Ingenbohler Schwestern in sklavenartigen Verhältnissen. Bührle hatte die Fabrik 1941 über einen Strohmann zu einem Schnäppchenpreis erworben. Die jüdischen Besitzer hatten vor den Nazis flüchten müssen. Mit ähnlichen Praktiken baute Bührle seine millionenschwere Sammlung von Impressionisten auf, die jetzt im neuen Kunsthaus hängen. Was nun zum Ausstellungsstreit in Zürich führte. Bührle nur ein Waffenproduzent und Kunstmäzen? Nein, auch noch ein Büezerschreck.
„Gewerkschaftshasser“! Der Mann wird mir immer sympathischer.