Maria Antonietta Freda über das Jonglieren von Familien- und Arbeitsleben
«Ich wurde gezwungen, meinen Sohn in ein Kinderheim zu geben»

Maria Antonietta Freda (82) hat ein Leben lang dafür gekämpft, dass sie als Ausländerin und Arbeiterin ihre Kinder bei sich haben ­konnte. Eines davon wurde ihr durch behördliche Zwangsmassnahmen gleich nach der Geburt entzogen.

DEN MUT NICHT VERLOREN: Maria Antonietta Freda musste in der Schweiz viele Rückschläge einstecken. Trotzdem hatte sie nie aufgehört, für ihre Familie zu kämpfen. (Foto: Manuela Ruggeri)

Maria Antonietta Freda ist noch immer voller Energie, kämpferisch und widerstandsfähig. Dabei war ihr Leben als Mutter, Arbeiterin und Ausländerin hart. Ihre Geschichte ist geprägt von der Unmöglichkeit des Familiennachzuges, den Zwangsmassnahmen der Schweizer Behörden gegen berufstätige Mütter und dem Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen.

GETRENNT VON DEN KINDERN

Freda wurde in Kampanien geboren, einer der ärmsten Regionen Italiens. Ihr Lohn als Fabrikarbeiterin reichte kaum für den Lebensunterhalt. Sie kam in die Schweiz, nachdem sie ihren jetzigen Ehemann kennengelernt hatte, und musste ihr erstes Kind, das 1963 in Italien geboren wurde, bei ihrer Familie in der Provinz Benevento zurücklassen. Der Grund: Freda und ihr Ehemann kamen mit dem Status «Jahresaufenthalter» in die Schweiz, damit hatten sie etwas mehr Rechte als «Saisonniers». Aber damals war es für solche Arbeiterinnen und Arbeiter nicht möglich, sofort ihre Kinder mit in die Schweiz zu nehmen. Freda quälten starke Schuldgefühle. Doch bereits 1965 erwartete sie ein weiteres Kind und war entschlossen, es um jeden Preis bei sich zu behalten.

An die Geburt kann sie sich noch gut erinnern: «Ich arbeitete in einer Schneiderei. Am Samstag ging ich zur Arbeit. Am Sonntag war ich bereits im Geburtssaal.» (Das Gesetz sieht übrigens noch heute vor, dass Schwangere bis zur Geburt arbeiten.) Freda wollte die wenigen Tage Mutterschaftsurlaub beziehen, die ihr damals gewährt wurden. Eine Sozialarbeiterin der Stadt Zürich besuchte sie im Spital und fragte, ob das Ehepaar ein eigenes Zimmer für das Kind habe. «Zu dieser Zeit lebte ich mit meinem Mann in einem kleinen Dachzimmer. Die Wohnung teilten wir mit vier oder fünf anderen Familien. Die Wahrheit ist: Ich hatte keinen Platz für mein Kind», sagt sie. Und gestand dies auch der Sozialarbeiterin. Ihre Ehrlichkeit wurde ihr zum Verhängnis: «Ich wurde gezwungen, meinen Sohn sofort nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in einem Kinderheim unterzubringen.»

Die Zwangsmassnahme war für die junge Mutter ein traumatisches Erlebnis, ihren Säugling konnte sie nur am Mittwochnachmittag und an den Wochenenden sehen. Freda sagt: «Obwohl ich für meinen Sohn nicht genügend Milch hatte, bin ich jeden Tag zum Stillen hin- und hergefahren. Um 6 Uhr morgens und um 18 Uhr abends. Ich wollte ihn einfach in meinen Armen halten.» Die Erinnerung an diese Zeit ist heute noch eine enorme Qual. Nach wenigen Monaten ertrug sie die Trennung nicht mehr und begann, sich zu wehren.

Freda musste lange dafür kämpfen, bis ihre gesamte Familie wieder vereint in Zürich leben konnte. Viele Details dieser Kämpfe um ihre Kinder sind für die 82jährige altersbedingt nicht mehr in ihrer Erinnerung. Auch weil sie die traumatischen Erlebnisse verdrängt hat. Mit der Zusammenkunft ihrer Familie begann eine emotional ruhigere, aber nicht weniger anstrengende Zeit. Denn mit den Schikanen war es noch lange nicht vorbei.

UNBEZAHLBARE KRIPPEN

Ende 1966 war Freda gezwungen, ihre Arbeit in der Schneiderei aufzugeben, weil diese nicht mit ihrem Muttersein vereinbar war. «In den 1960er Jahren gab es nur wenige Kinderkrippen, und wenn man das Glück hatte, eine in der Nähe des Hauses zu haben, war sie fast immer privat und unbezahlbar.» Nach einigen Monaten, in denen sie sich ausschliesslich um ihre kleinen Kinder kümmerte, begann sie mit Gelegenheitsjobs. Denn alleine vom Einkommen ihres Mannes konnte die Familie nicht leben. Also fing die junge Mutter an, in einer Wohnung gegenüber zu putzen. Wenn die Kinder ihren Mittagsschlaf hielten, liess Freda sie für ein paar Stunden allein und kam nach getaner Arbeit zurück.

Nach einiger Zeit fand sie auch ­einen Job bei der Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL), einer Vorgängerin der Unia. «Ich fing um 6 Uhr morgens an, war um 8 Uhr fertig und eilte dann nach Hause, weil mein Mann schon weg war. Meine Kinder liess ich abends oft etwas später ins Bett gehen, damit sie während meiner Arbeitszeit noch schliefen. Ich hetzte von einem Ort zum anderen und jonglierte das ganze Leben unserer Familie.»

Weil es für sie keine erschwinglichen Kitas gab, gründeten die Italienerinnen in der Schweiz ihre eigenen Strukturen. Die Kinder von Freda besuchten die Casa d’Italia im Zürcher Kreis 4. Dies war eine Schule extra für italienische Kinder. Zudem gab es ein Kinderheim vor Ort, wo Freda ausnahmsweise ihr jüngstes Kind betreuen liess: «Während meine älteren Kinder in der Grundschule waren, wurde die Jüngste von den Nonnen betreut, die ein Wohnheim in der Casa d’Italia führten. So konnte ich wieder etwas mehr arbeiten, um die Familie über die Runden zu bringen. Es war hart, aber am Ende habe ich es geschafft.»

workzahl: 50’000

Saisonnierkinder wurden von 1949 bis 1975 in der Schweiz versteckt, weil sie kein Recht
auf einen Aufenthalt hatten.

In den 1960er und 1970er Jahren begannen die Migrantinnen, die sich in verschiedenen Vereinen zusammengeschlossen hatten, von den Behörden mehr Engagement im Bereich der Kinderbetreuung zu fordern. Es ist auch ihr Verdienst, dass die Schweiz in diesem Bereich grosse Fortschritte gemacht hat.

Mit ihren 82 Jahren ist Freda noch kein bisschen müde. Als Aktivistin setzt sie sich für die Rechte von Rentnerinnen und Rentnern ein. Und mit Freude hütet Freda heute als Grossmutter ihre Enkelkinder. Mittlerweile ist sie sogar Urgrossmutter und steht im Mittelpunkt ihrer Grossfamilie.

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