Null Respekt vor den Pflegerinnen, zu wenig Essen für die Bewohnerinnen, Matratzen voller Urin: So beschreiben Ex-Angestellte den Alltag im Altersheim Weingarten in Olten
«Wir waren alle am Limit», sagt Petra Loosli*. Viele Jahre arbeitete sie als Pflegehelferin im Alters- und Pflegeheim Weingarten in Olten, bis sie vor einem Jahr kündigte. Kaum mehr Zeit für die Bewohner, «dazu die dauernden Anwürfe der Heimleiterin, das wollte ich mir nicht mehr antun», sagt sie.
Die Probleme gebe es vor allem, seit im Jahr 2012 die jetzige Leiterin Verena Hert das Ruder übernommen habe. Sie habe immerfort am Personal gespart, so Loosli: «Wir waren dauernd zu wenig Leute.» In der Nachmittagsschicht sei sie regelmässig alleine für 14 alte Menschen verantwortlich gewesen. «Wenn nur zwei Durchfall haben, ist so eine richtige Pflege schlicht nicht möglich.»
DIE CHEFIN AM DRAHT
Der ständige Stress schlägt auch Pflegehelferin Monika Flückiger auf die Psyche. Die Gesundheit leidet: Ihr Blutdruck ist viel zu hoch. Als ihr Arzt dies bemerkt, schreibt er sie sofort krank. Für 14 Tage. Doch schon einen Tag später klingelt das Telefon. Am Draht ist die Pflegedienstleiterin. Die 49jährige erinnert sich: «Sie sagte mir: Schlucken Sie eine Tablette gegen den Bluthochdruck, und kommen Sie nächste Woche wieder arbeiten.» Das Arztzeugnis war der Chefin egal. Mehr noch: Sie rief auch beim Arzt an und fragte ihn nach Flückigers Gesundheitszustand. Glücklicherweise machte der Mediziner nicht mit, gab keine Auskunft. Selen Baskara von der Unia Biel-Solothurn sagt: «Das geht gar nicht! Das ist ein Versuch, das Arztgeheimnis auszuhebeln.»
Auch Liliane Gertsch* kündigte letztes Jahr ihren Job im Weingarten. Die Pflegerin berichtet von unhaltbaren Zuständen. Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner seien inkontinent und trügen Einlagen. «Normalerweise haben die Matratzen deshalb einen Überzug aus Gummi», so Gertsch. «Im Weingarten gab es das nicht.» Den Pflegerinnen sei nichts anderes übriggeblieben, als die nassen Matratzen zu wenden. Immer wieder.
KNAPPE ESSENSRATIONEN
Damit nicht genug. Gertsch sagt: «Ich habe noch in keinem Heim so viele Stürze erlebt wie hier.» Ein grosses Problem: Im Alter werden die Knochen brüchig, jede Operation ist ein Risiko.
«Ich habe nich nie so viele Sürze erlebt wie hier.»
Grund für die vielen Unfälle im Weingarten sei unter anderem ein Mangel an Flüssigkeit, vermutet Pflegerin Gertsch. Viele der Seniorinnen und Senioren seien regelrecht ausgetrocknet. Deshalb werde ihnen schwindlig. «Oft gab es in den Zimmern kein Mineralwasser mehr, und ich musste mich in den Abteilungen auf die Suche machen», berichtet Gertsch. Und auch beim Essen spare das Heim, sagt Petra Loosli. Immer wieder habe es zu wenig gegeben, berichtet sie: «Wenn wir in der Küche nachfragten, ob wir noch etwas Kartoffeln oder Brot haben könnten, hiess es nein.»
Eine Gruppe von rund zehn ehemaligen Angestellten möchte jetzt die Zustände im Heim verbessern. Mitte April schrieb sie der zuständigen Behörde, der Verwaltungskommission der Bürgergemeinde Olten, einen Brief und bat um ein Treffen. Die Unia unterstützte sie dabei. Doch Kommissionspräsident Walter von Känel (FDP) ging darauf bisher nicht ein. Unia-Frau Baskara: «Er vertröstete mich auf die nächste Sitzung der Kommission. Die finde erst Mitte oder Ende Juni statt.» Weil sie für ihre Anliegen auf offiziellen Wegen kein Gehör fanden, sahen die ehemaligen Angestellten keinen anderen Weg, als an die Öffentlichkeit zu gelangen.
Gegenüber work schreibt von Känel auch anstelle von Heimleiterin Hert (sie war bis Redaktionsschluss nicht erreichbar), er weise die Kritik zurück. Er geht aber nicht auf die Missstände ein. Für Selen Baskara ist klar: «Er spielt offensichtlich auf Zeit.»
* Name geändert.