Gerechtere Steuern auf Kapitalerträgen braucht das Land, sagen die Juso. Sonst zerbricht die Schweiz.
AM START: Juso-Präsidentin Tamara Funiciello lanciert die 99%-Initiative auf dem Bundesplatz in Bern. (Foto: KEYSTONE)
Am südlichen Stadtrand von Paris laufen die Drähte zusammen, die dieser Tage den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und ein paar weitere globale Finanzinstitutionen in Panik versetzen. Hier, an der Paris School of Economics, hat eine Gruppe von Forschern um den Ökonomen Thomas Piketty die weltgrösste Datensammlung (wid.world) über Ungleichheiten bei Einkommen zusammengetragen und analysiert sie laufend. Was sie finden, nährt bei den Weltlenkern die Angst vor der grossen Revolte der Menschen.
Immer mehr Einkommen werden nicht mehr aus Arbeit generiert, …
Eigentlich sind IWF und Weltbank Stützen und Antreiber des brutalen Finanzkapitalismus. Doch Einkommen und Vermögen sind inzwischen so krass ungleich verteilt, und die Armut wächst selbst in den reichsten Ländern so stark (Deutschland etwa hat 16 Prozent Working Poor), dass sie Alarm schlagen. Kern des Problems: Seit Beginn der grossen Krise 2007 hat sich die Umverteilung von unten nach oben rabiat beschleunigt.
Und die Schweiz? Hier geht alles still und leise seinen üblichen Gang. Nach Pikettys «wid»- Daten steigt hier die Ungleichverteilung der Einkommen steil an und ist inzwischen auf historischem Rekordstand (noch schlimmer als in den 1930er Jahren). Der neusten Studie der Unia zur Lohnschere entnehmen wir, dass sich die obersten Chefs trotz Bonidiskussion und Abzockerinitiative mehr nehmen denn je: Im Schnitt der untersuchten Unternehmen beträgt die Lohnschere zwischen den höchsten und tiefsten Salären inzwischen 1 : 165. Letztes Jahr lag sie noch bei 1 : 150. Und von der Grossbank Credit Suisse wissen wir, dass das reichste 1 Prozent in der Schweiz mehr Nettovermögen besitzt als 90 Prozent der Bevölkerung. Tendenz: immer ungleicher.
STEUERDEALS FÜR GROSSVERDIENER
Nun sei es höchste Zeit, die Umverteilung nach oben zu bremsen, finden die Schweizer Juso, und ein paar Milliarden Franken an die 99 Prozent der Bevölkerung zurückzuverteilen. Dafür wollen sie per Volksinitiative Steuerprivilegien abschaffen, vor allem aber die Kapitaleinkommen stärker besteuern (siehe Box unten). Die gewonnenen «5 bis 10 Milliarden» wollen sie zur Entlastung der unteren und mittleren Einkommen und für die soziale Sicherheit nutzen.
Warum per Steuern? Und warum zielen die Juso auf Einkommen aus Kapital und Spekulation?
Steuern sind das beste Mittel, für minimale Gerechtigkeit zu sorgen. Dass alle nach ihren Mitteln zum Gemeinwesen und zum Service public beitragen sollen, ist ein urdemokratisches Prinzip. Darum wurden auch Regeln wie die Steuerprogression eingerichtet. Gerechte Steuern verteilen um. Ein wenig. Von oben nach unten. Das ist die Grundlage des demokratischen und eidgenössischen Vertrags.
- Aber seit Mitte der 1980er Jahre wird dieser zunehmend gebrochen. Die Besitzenden und ihre bürgerlichen Politiker haben die Mechanik umgedreht. Jetzt wird von unten nach oben umverteilt.
- Mit der Abschaffung der Erbschaftssteuer in den meisten Kantonen (dabei ist das Erbe ein wichtiger Antrieb der Ungleichheit).
- Mit Einrichtungen wie der Pauschalsteuer für superreiche Ausländer, mit Briefkastenfirmen (Holdings) und der Steuerkonkurrenz zwischen Kantonen und sogar Gemeinden.
- Mit Steuerdeals für Grossverdiener. Heute liegt die Steuerbelastung der grossen Unternehmen auf Gewinne real unter 10 Prozent. Das hätten wir Arbeitenden, die per Lohnausweis besteuert werden, auch gerne.
AMTL. BEW. STEUERSCHLUPFLÖCHER
Besonders deutlich zeigt sich der Trend der Reichen, die ganze Last des Gemeinwesens den Arbeitenden aufzubürden, bei den Einkommenssteuern. Gerade sind die Zahlen des Bundesamtes für Statistik für 2016 erschienen. Sie zeigen: In sämtlichen Kanton wurden die Steuern auf Einkommen über 1 Million Franken seit dem Jahr 2000 gesenkt, zum Teil massiv wie in Uri, Schaffhausen, Basel oder im Aargau. Die mittleren Einkommen wurden weit schwächer entlastet, in 11 Kantonen wurden sie sogar stärker zur Kasse gebeten. Die Progression verflacht. Klarer Fall von Umverteilung nach oben.
… sondern aus weitgehend steuerbefreitem Kapitaleinkommen.
Der Staat organisiert sie, indem er amtlich bewilligte Steuerschlupflöcher einrichtet. Zum Beispiel mit dem Billionen-Schlupfloch für Aktionäre in der Unternehmenssteuerreform II des ehemaligen UBS-Mannes und späteren FDP-Bundesrates Hans-Rudolf Merz. Hier liegt der entscheidende Punkt: Immer mehr Einkommen werden nicht mehr aus Arbeit generiert, sondern aus weitgehend steuerbefreiten Kapitaleinkommen wie etwa Gewinnen aus ausserbörslichen Geschäften. Allein diese spekulativen Geschäfte haben inzwischen das Achtfache der gesamten Weltwirtschaftsleistung erreicht, von Devisen-, Börsen-, Rohstoffspekulationen gar nicht zu reden. Früher schnitt ein Kapitalbesitzer einmal im Jahr seinen Coupon von der Aktie und erhielt dafür vielleicht 6 Prozent Dividende minus 33 Prozent Steuer. Heute wechselt eine Aktie im Schnitt alle 12 Minuten die Hand, und andere «Wertpapiere» werden im Zehntelsekundentakt verscherbelt.
Pikettys Zahlenberge belegen, dass Kapitaleinkommen heute der Motor der explodierenden Ungleichheit geworden sind. Kein Wunder: Praktisch die gesamten arbeitsfreien Einkommen aus dem Kapitaleinsatz, die heute mehr als die Hälfte der Nationaleinkommen ausmachen, fliessen zum reichsten 1 Prozent. Hier setzen die Juso an.
Juso-Initative: Zurückverteilen!
Eine kluge Regel sagt: Miss den Erfolg deiner Arbeit an der Reaktion deiner Gegner. Tamara Funiciello, die Juso-Präsidentin, kann sich darum sicher sein, vieles richtig gemacht zu haben. Kaum ausgerufen, zieht die Juso-Initiative für die Entlastung der Löhne und der unteren Einkommen die Wut der Konzernlobby Economiesuisse, harsche Kommentare der Medien und die Gehässigkeiten der Reichen auf sich. Also alles gut.
NEUE BERECHNUNG. Die Jungsozialisten treiben die SP immer wieder dorthin, wo sie hingehört: zur Verteilungsfrage. So war es schon mit der 1 : 12-Initiative. Wie schon gegen 1 : 12, regt sich der neoliberale Flügel der SP um den Zürcher Ständerat Daniel Jositsch auch diesmal fürchterlich auf: Die Initiative verstosse «gegen wichtige Grundsätze bewährter sozialdemokratischer Politik». Das ist nicht falsch. SP-Finanzdirektoren und Kantonalpolitiker haben immer wieder Steuergeschenke für die Konzerne und die Bestverdienenden mitgetragen – oder sogar initiiert.
Eine simple Lösung im komplizierten Steuerrecht.
Die SP-Rechten setzten das Gerücht im Umlauf, die Juso wollten jetzt Kapitalgewinne mit 150 Prozent besteuern. Falsch. Mit der Initiative würde nur die Berechnung der Steuern geändert: Einkommen aus Kapital und Spekulation würden eineinhalb Mal stärker gewichtet als Einkommen aus Arbeit. Beispiel: Wer im Job 60 000 Franken pro Jahr verdient, bezahlt Steuern für die 60 000. Wer aus Kapital und Spekulation 5 Millionen Franken kassiert, würde auf der Basis von 7,5 Millionen Franken Gewinn besteuert. Wie viel Steuern dann fällig werden, hängt vom Steuerfuss ab, und der ist überall anders.
Eigentlich eine simple Lösung im komplizierten Steuerrecht. Kapitalbesitzern bliebe immer noch reichlich Kapitaleinkommen, aber der öffentlichen Hand flösse mehr Geld zu, um die unteren Einkommen zu entlasten und die sozialen Absicherungen zu stärken. Zusammen mit der Abschaffung der Steuerprivilegien, dem zweiten Teil der Juso-Initiative, könnte dieses neue Stück Gerechtigkeit 10 Milliarden Franken einspielen.