Wenn’s nach Zürichs rot-grüner Stadtregierung geht, soll das Ladenpersonal fast flächendeckend am Sonntag arbeiten müssen. Die Unia geht jetzt gegen den Entscheid vor.
Siebentagewoche: In Läden an zahlreichen «Terminals des öffentlichen Verkehrs» (hier der Hardplatz) will Zürich Sonntagsarbeit zulassen. (Foto: Florian Bachmann)
Eigentlich ist das Arbeitsgesetz klar: Sonntagsarbeit ist verboten. Denn der Sonntag ist zum Entspannen da. Und für die Familie.
Aber für viele Angestellte im Detailhandel gilt das bereits heute nicht mehr. Sie müssen auch am Sonntag an der Kasse stehen. Seit neuestem auch im Avec-Laden am Hardplatz in Zürich.
25 NEUE AUSNAHMEN
Grund ist eine neue Regelung der Stadt. Sie stuft den Hardplatz als «Terminal des öffentlichen Verkehrs» ein. Weil dort eine Tramlinie endet und mehrere Buslinien vorbeiführen. Und für Läden an solchen Terminals, sagt das Gesetz, ist Sonntagsarbeit nicht verboten.
Laut der Zürcher Interpretation gilt das neu für alle Tram- und Bushaltestellen in der Stadt, an denen im Schnitt pro Tag mehr als 15 000 Personen ein- oder aussteigen – etwa so viel wie am Bahnhof Solothurn. Auf einen Schlag hat die Stadt damit gleich an 25 Plätzen und Kreuzungen den Läden erlaubt, am Sonntag zu öffnen. Die Frage wird also bald lauten, wo die Verkäuferinnen am Sonntag nicht zur Arbeit antraben müssen.
Verantwortlich für diese weitere Aushöhlung des Sonntagsarbeitsverbotes ist das Gesundheits- und Umweltdepartement von SP-Stadträtin Claudia Nielsen.
Die Unia geht jetzt juristisch gegen den Entscheid der Stadt vor. Für Lorenz Keller von der Unia Zürich ist klar: «Diese Regelung geht viel weiter, als das Gesetz erlaubt.» Mit der linken Zürcher Stadtregierung geht er hart ins Gericht: «Offenbar denken sie nur an Shopping, und die Arbeitsbedingungen und Bedürfnisse des Verkaufspersonals sind ihnen egal.»
Zu bester TV-Sendezeit warnte am vorletzten Samstag auch der katholische Theologe Arnold Landtwing vor den Folgen des Entscheids: Im «Wort zum Sonntag» sagte er, wenn sich dieser Trend fortsetze, sei es «eine Frage der Zeit, bis nicht nur das Einkaufen am Sonntag alltäglich wird, sondern auch der Abstecher an den Arbeitsplatz dazugehört». Den Zürcher Entscheid kritisierte er als «ein Rädli mehr in der Salamitaktik zum Abbau des Sonntags».
SCHLAUMEIER AM WERK
Tatsächlich haben die Detailhändler in den vergangenen Jahren das Verbot der Sonntagsarbeit immer mehr ausgehöhlt: Ausgenommen sind nicht nur Bahnhöfe, Flughäfen und Tankstellenshops. Auch in Bäckereien, Kiosken, Blumenläden und Apotheken müssen die Angestellten am Sonntag ran, wenn die Chefs es wollen. Dasselbe gilt für Betriebe in Tourismusgebieten und für Einkaufszentren in Grenznähe. Natalie Imboden, Chefin Detailhandel bei der Unia, stellt zudem fest: «Die Turbolädeler versuchen, die Schlupflöcher immer mehr auszuweiten.» Wie weit sie dabei gehen und wie absurd ihre Argumente sind, zeigen ein paar Beispiele:
- Esslingen ZH ist ein typisches Schlafdorf. Der Betreiber des dortigen Spar-Ladens sah in der Endstation der Forchbahn in 60 Metern Entfernung einen «Terminal des öffentlichen Verkehrs» und ordnete deshalb Sonntagsarbeit an.
- In Bern wollte der Grosse Rat die untere Altstadt pauschal zur Tourismuszone erklären und damit Sonntagsverkäufe durchdrücken.
- In Rapperswil SG war jahrelang die Migros-Filiale an der Hauptstrasse am Sonntag offen. Offiziell gehört sie zur Altstadt, und die sei Tourismusgebiet, so die Migros. Eine work-Stichprobe am Ostersonntag zeigte: Unter 46 Sonntags-Shoppern waren nur 6 Reisende aus der Fremde. Die anderen waren Einheimische oder kamen aus der Region.
- Besonders dreist: An der Basler Schifflände legen pro Tag nur eine Handvoll Schiffe an. Trotzdem wollte der Stadtentwickler Thomas Kessler den Ort flugs zum Verkehrsknotenpunkt erklären, an dem die Läden sonntags offen haben dürften.
In all diesen Fällen ist die Sonntagsarbeit heute zwar vom Tisch, meist auch dank dem Engagement der Unia. Aber das Beispiel Zürich zeigt: Der Kampf gegen die Turbolädeler geht weiter.
Lohn: Wer sich um den Zuschlag drückt
Willkür: Kiosk-Franchisenehmer sind nicht an den GAV gebunden. (Foto: Keystone)
Die Turbolädeler behaupten gerne, Sonntagsarbeit sei bei den Mitarbeitenden beliebt, weil es dafür einen Lohnzuschlag gebe. Das stimmt längst nicht für alle, die am Sonntag arbeiten müssen. Denn das Gesetz schreibt nur bei vorübergehender Sonntagsarbeit einen Lohnzuschlag vor, und zwar 50 Prozent. Bei regelmässiger Sonntagsarbeit besteht kein Anrecht auf Zuschlag. Hier geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Sonntagsentschädigung bereits im Grundlohn enthalten sei. Bessergestellt sind Angestellte von Coop und Migros. Ihre Gesamtarbeitsverträge (GAV) schreiben auch bei regelmässiger Sonntagsarbeit Lohnzuschläge vor. Allerdings: Gerade Betriebe wie Coop Pronto oder Migrolino sind von den GAV ausgenommen.
DIE FRANCHISE-LÜCKE. Auf dem Papier sieht auch der GAV der Valora-Gruppe, welche die Kioske und die Avec-Läden betreibt, Zuschläge für Sonntagsarbeit vor. Doch Valora betreibt alle Avec-Läden und viele Kioske nicht selber, sondern hat sie an Franchisenehmer ausgelagert. Diese können selber entscheiden, ob sie sich dem GAV anschliessen wollen.