Spektakuläre Studie der Hochschule St. Gallen beweist:
Die SNB-Geldpolitik schadet der Industrie

Die Nationalbank verhindert durch den Frankenschock die Schaffung von 100’000 Arbeitsplätzen. Und bewirkt Entlassungen, Auslagerungen, Konkurse.

FÜR EINMAL AUF DERSELBEN SEITE: Unia-Industriechef Corrado Pardini, HSG-Ökonom Franz Jeager und der KMU-Arbeitgeberpräsident ­Roland Goethe von Swissmechanic. (Foto: Manu Friedrich)

Nationalbankpräsident Thomas Jordan, Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann und der Arbeitgeberverband Swissmem haben seit Januar 2015 immer wieder behauptet: Der überbewertete Franken sei ein lösbares Problem. Und die Industrie kenne keine Kreditklemme.

Es war eine doppelte Lüge. Das wussten die Arbeitenden, die um ihre Jobs rangen. Das wussten die Gewerkschafterinnen, die in Dutzenden von Betrieben intervenierten. Das wussten auch die Patrons jener KMU, die Leute entliessen, Investitionen stoppten und ihre Kundschaft verloren. Die Gewerkschaften schlugen Alarm. Immer wieder. Doch SNB und Politik stellten sich taub. Die Swissmem genauso.

WECKRUF FÜR SCHNEIDER-AMMANN

Da nahmen Unia-Industriechef Corrado Pardini und der KMU-Arbeitgeberpräsident ­Roland Goethe von Swissmechanic die Sache gemeinsam in die Hand. Eine unerwartete Zusammenarbeit. Sie kannten sich kaum, die Unia und Swissmechanic haben noch nie einen GAV verhandelt.

«Der starke Frankenkurs gefährdet sehr viele KMU.»

Bei der Hochschule St. Gallen (HSG) und beim Ökonomen Franz Jaeger bestellten sie eine gründliche Studie über die Lage der Industrie-KMU. Eine unverdächtige ­Adresse, die HSG lehrt neoliberal und gewerkschaftsfern. Umso aufregender das Ergebnis: Die Geldpolitik der Nationalbank, so stellt die Studie fest, hat schweren Schaden an der Industrie angerichtet, insbesondere bei den KMU. Sie hat Tausende von Jobs vernichtet. Und weil die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Aufschwung gebremst hat, wurden schätzungsweise hunderttausend neue Arbeitsplätze nicht geschaffen (siehe unten, Interview Franz Jaeger).

Quelle: HSG

NEUER MINDESTKURS

Gewerkschafter Pardini und Arbeitgeber Goethe in ihrem Begleitwort zur HSG-Studie: «Es droht eine Deindustrialisierung der Schweiz, wenn nicht rasch ein Umdenken initiiert wird und die Politik ihre Passivität ablegt.» Die wichtigsten Erkenntnisse und Forderungen der Studie lauten:

  • Knapp 40 Prozent der Betriebe mussten wegen des aufgepumpten Frankens Stellen streichen. Sie sehen den überbewerteten Franken als «grössten Standortnachteil». Ein Viertel der Betriebe hat wegen des Frankenschocks die Arbeitszeit erhöht.
  • Die Wirtschaftsaussichten haben sich seit der Überbewertung des Frankens in der Schweizer Industrie und in der MEM-Branche verschlechtert und nach der Aufhebung der Kursuntergrenze nochmals akzentuiert. Aktuell liegt bei fast der Hälfte der Firmen die Gewinnmarge bei weniger als 5 Prozent. Das ist existengefährdend, weil es Investitio­nen und Innovationen unmöglich macht. Corrado Pardini: «Im Klartext bedeutet dies, dass sehr viele KMU gefährdet sind.» Brechen die KMU weg, so Pardini, «wird das auch zum Nachteil für grössere Firmen, zumindest für jene, die noch in der Schweiz produzieren wollen.»
  • Ein Drittel der Firmen gibt an, dass ein Euro-Franken-Wechselkurs zwischen 1.15 und 1.19 Franken/Euro notwendig wäre, um konkurrenzfähig zu bleiben. Studienleiter Franz Jaeger empfiehlt ein strategisches Wechselkursziel von 1.18 bis 1.21 Franken/Euro. Erstaunlich: Er verlangt damit ein staatliches Eingreifen. Für die Gewerkschaften genügen 1.21 nicht. SGB-Chefökonom Daniel Lampart hält einen Wechselkurs um 1.30 für fair.
  • Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Metall- und Maschinenbranche hatte bereits seit 2005 stark abgenommen, weil der Franken immer stärker wurde. Er lag deutlich über 1.50 für einen Euro. Jordans Vorgänger führte einen Mindestkurs von 1.20 ein. Kaum im Amt, kippte Jordan den Mindestkurs. Nach diesem Schock vom Januar 2015 brach die Produktion in der Maschinenindustrie mit nochmals rund 8 Prozent viel stärker ein als diejenige des gesamten Industriesektors. Der Auftragseingang der Schweizer Industrieunternehmen ist seit der Aufhebung der Eurokurs-Untergrenze um rund 10 Prozent gesunken.

WENN DER KREDIT KLEMMT

Ein massiv überbewerteter Franken – und die KMU kommen auch nur sehr schwer an neues Geld für Investitionen. Im Jahr 2015 verweigerten die Banken jedem fünften Unternehmen einen Kredit. Doch diese Zahlen täuschen über das wahre Ausmass der ­Kreditklemme hinweg. Denn unzählige Unternehmer werden bereits von ihrem Bankmanager von einem Kreditbegehren abgehalten. Oder extreme Kreditbedingungen schrecken sie ab.

200 Firmen befragt

Für die Studie «Volkswirtschaftliche Bedeutung und Problematiken der KMU der Schweizer Maschinenindustrie» von Prof. em. Dr. Franz Jaeger und Dr. Tobias Trütsch liessen die beiden Ökonomen der Universität St. Gallen (HSG) rund 200 Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbandes Swissmechanic befragen. Download: rebrand.ly/hsg-studie.

Zwischen 2014 und 2016 musste laut der Studie jedes dritte KMU eine hypothekarische Sicherheit hinter­legen. Das heisst: 4,2 bis 4,5 Prozent Zins ­bezahlen. Undenkbar. Arbeitgeber Goethe nennt dies «eine dramatische Entwicklung». Und Pardini, der mit einem Brief an Goethe die Studie in Gang gebracht hat, meint: «Das wird sich erst ändern, wenn wir die Macht des Finanzplatzes gestutzt haben und die Politik versteht, das die Schweiz ein Indus­trieland ist.»

Franz Jaeger empfiehlt deshalb die Schaffung eines strategischen Investitionsfonds durch die Nationalbank. Die Unia hatte bereits 2009 die Schaffung eines so­zialpartnerschaftlichen Produktionsfonds vorgeschlagen, der aus Pensionskassengeldern gespeist werden sollte. Die Studie schlägt nicht nur die bessere Nutzung der Bürgschaftsorganisationen und innovative Kreditinstrumente vor. Sie will auch den Pensionskassen ermöglichen, leichter in die Industrie zu investieren.

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