Dumpinglöhne und Dauerüberwachung: Eine Mitarbeiterin packt aus
Mies, mieser, Zalando!

Teuflischer Druck, klamme Finger und unanständige Löhne: So musste Maria B.* in St. Gallen Zalando-Retouren bearbeiten.

LOHNDRÜCKEREI: Maria B. bearbeitete in St. Gallen Zalando-Retouren – für 16 Franken 50 pro Stunde! (Foto: DPA)

Die Zalando-Pakete kommen aus Deutschland. Doch der Onlineriese beschäftigt auch Arbeiterinnen in der Schweiz. In St. Gallen liess er die Firma MS Direct jene Kleider reinigen und sortieren, die die Schweizer Kundschaft zurückschickt. Maria B. arbeitete ein Jahr dort und erinnert sich:

«Es war eine Lagerhalle mit Betonboden, wir mussten die ganze Zeit stehen. Und wir froren. Im Winter gab es Durchzug, weil die Tore für die Lastwagen immer offen stehen mussten. Wir hatten zwar vier Heizlüfter, aber in Betrieb waren immer nur zwei. Wir arbeiteten alle mit Winterschuhen und Handschuhen. Einmal reklamierten wir wegen der Kälte bei den Chefs, wir sagten, wir würden die ganze Zeit frieren, aber das interessierte die nicht.

GAS GEBEN! Mit einem Kleiderroller mussten wir alle Artikel reinigen, um Haare und Staub zu entfernen. Dann die Kleider korrekt zusammenfalten und in Säcke verpacken. 45 Kleidungs­stücke pro Stunde war die Vorgabe. Das macht ­80 Sekunden pro Stück.

«So, Gas geben, hopp!»

Das Computersystem misst laufend, wer wie schnell ist. Alle zwei Stunden kam die Schicht­leiterin zu mir und sagte: ‹Dein Durchschnitt ist unter 45 pro Stunde, du musst mehr Gas geben!› Wenn ich auf die Toilette musste, fiel mein Schnitt noch tiefer. Da fing ich an, während der Arbeit weniger zu trinken, damit ich nicht mehr so oft aufs WC muss.

Manchmal gab es eine Kontrolle von Zalando. Unser Chef sagte dann jeweils: ‹Morgen arbeitet ihr langsam und genau.› Kaum waren die Kontrolleure weg, hiess es wieder: ‹So, Gas geben, hopp!›

AUF ABRUF. Am Anfang war mein Stundenlohn 16 Franken 50, später 17 Franken. Brutto. Macht pro Monat nicht einmal 2900 Franken. Und auch das nur theoretisch. Immer wieder hiess es: ‹Wir haben zu wenig Arbeit, du musst morgen und übermorgen nicht kommen.› Wir waren wie auf dem Schleudersitz: Gibt es morgen Arbeit oder nicht? Manchmal betrug mein Monatslohn nur 2000 Franken.

Wir waren etwa 120 Angestellte in zwei Schichten, vor allem ausländische Frauen. Ausser den Chefs waren alle im Stundenlohn angestellt. Und alle, soviel ich weiss, nur mit auf drei Monate befristeten Verträgen, die sie dann wieder verlängerten. Oder eben auch nicht. Dann stand man auf der Strasse.»

*Name der Redaktion bekannt

Zalando: Umsatz fett, Infos mager

Zalando operiert in 15 europäischen Ländern. Jeden siebten Franken erwirtschaftet der Modegigant in der Schweiz: Von umgerechnet 3,9 Mil­liarden Franken Umsatz im letzten Jahr erzielte er 534 Millionen in der Schweiz. Damit ist Zalando der zweitgrösste Onlinehändler im Land nach Digitec (siehe auch 1×1 der Wirtschaft, Daniel Lampart über den Onlinehandel).

KEINE AUSKUNFT. In mehreren Zen­tren in der Schweiz lässt Zalando Rücksendungen verarbeiten. Angestellt sind die Beschäftigten aber bei Subunternehmen wie MS Direct. Auf Fragen von work reagiert Zalando zugeknöpft: Wo die Modekette in der Schweiz arbeiten lässt oder wie viele Mitarbeitende sie hat, gibt sie nicht bekannt. Klar ist: der Betrieb, in dem Maria B. angestellt war, zügelte kürzlich von St. Gallen nach Arbon TG. Die Unia weiss von zwei weiteren Stand­orten in Frauenfeld und Rothrist AG.

«EINSTIEGSLOHN». Die MS Direct schreibt, der Stundenlohn von 17 Franken sei «als Einstiegslohn zu verstehen». Zusammen mit Ferien- und Feiertagszuschlägen kämen die Mitarbeitenden auf einen Brutto-­Monatslohn von «gegen 3400 Franken». Im neuen Standort Arbon hätten zudem alle Beschäftigten einen unbefristeten Arbeitsvertrag.


Zalando-Löhne«Einfach unanständig», sagt Unia Chefin Vania Alleva

«Wenn ich im Schuhgeschäft ein Paar Schuhe anprobiere, und sie passen mir nicht, stelle ich sie einfach ins Regal zurück. Wer bei Zalando Schuhe online bestellt, und sie passen nicht, kann sie zurückschicken. Das ist zwar nicht ganz so einfach, aber immerhin ebenfalls gratis.

VANIA ALLEVA: Die Behörden sollten die Würde der Arbeit verteidigen und nicht die Profite der Onlinehändler. (Foto: Peter Mosimann)

Gratis? Nicht ganz. Arbeiterinnen müssen die Retouren nämlich sorgfältig kontrollieren, reinigen und neu verpacken. Für Zalando erledigt das die Firma MS Direct AG, neuerdings in der ehemaligen Saurer-Halle in Arbon TG. Über 100 MS-Direct-Angestellte bewältigen dort, in der sogenannten Textilstrasse, seit Oktober die Rücksendungen. Es sind vor allem Frauen.

DER GROSSE HAKEN

Über die neuen Arbeitsplätze freuen sich die lokalen Behörden. Die Arbeit stelle eine Chance für viele dar, die sonst auf der Sozialhilfe sitzenbleiben würden, meint etwa die Abteilung Soziales bei der Stadt ­Arbon. Das tönt ja nett, hat aber einen Haken – sogar einen ziemlich grossen. Damit das Zalando-Geschäftsmodell trotz der vielen Retouren rentiert und damit auch MS Direct sich eine schöne Scheibe Profit vom Onlinehandel abschneiden kann, muss jemand untendurch.

«Im Schatten der digitalen Wirtschaft breitet sich die Prekarisierung aus.»

Das sind nicht die Onlinekundinnen und -kunden. Würden sie nämlich fürs Retournieren zahlen müssen, gingen sie vermutlich wieder ins Schuhgeschäft. Untendurch müssen die Arbeiterinnen von MS Direct. Und zwar zünftig: Sie arbeiten zwar nicht ganz gratis, aber mehr als ein Hungerlohn sind diese 16 Franken 50 bis 17 Franken die Stunde auch nicht. Judith Müller, die stellvertretende Leiterin des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau, hält diesen Lohn zwar für ‹üblich›. Doch: Nur 3000 Franken Monatslohn für achteinhalb Stunden Schichtarbeit, fünf Tage pro Woche – das ist nicht üblich, das ist unanständig!

ARBEITSWELT IMMER HÄRTER

Online-Grosshändler bauen ihre Logistikzentren systematisch in strukturschwachen Gegenden, um die Löhne möglichst tief drücken zu können. Das ist eine von vielen Formen der Prekarisierung. Im Schatten der digitalen Wirtschaft breitet diese sich aus – und macht die Arbeitswelt immer härter.

Das letzte, was wir angesichts solcher Ausbeutungspraktiken brauchen, sind Behörden, die ihnen auch noch das Mäntelchen der Wohltätigkeit umlegen. Arbeitsmarkt- und Sozialbehörden haben die Würde der Arbeit zu verteidigen und nicht die Profite der Onlinehändler. Dazu gehören auch anständige Löhne.»

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