Hartnäckig, furchtlos und top motiviert: Das ist Sophie Reinhardt, Journalistin in Bern.
NAH DRAN: Sophie Reinhardt (27) schreibt über Lokales beim «Bund» (Fotos: Marco Zanoni)
Die Aare schleicht träge um die Altstadt. Ein kühler Wind treibt oben beim Bundeshaus die Blätter vor sich her. Der Blick von der Kleinen Schanze reicht kaum über die Stadtgrenzen hinaus. Die Weitsicht macht Pause. Wie so oft in Bern. Diese Stadt ist Sophie Reinhardts Weltbühne: Als Lokaljournalistin recherchiert und berichtet sie zwar auf begrenztem Raum, begegnet aber im Grunde den gleichen Themen, die ihre Kolleginnen und Kollegen der In- und Auslandberichterstattung beschäftigen. Es geht wie überall um die Interessen der einen, die gegen Interessen von anderen stehen, Konflikte also, die sich äussern in Grundsatzdebatten, Sachfragen und kleinlichen Scharmützeln voller Emotionen und Vorurteile.
NÄHE ALS VORTEIL. Der kleine, aber doch ziemlich grosse Unterschied etwa zur Kollegin vom Auslandressort: Die gibt zum Beispiel Donald Trump eins auf die Mütze. Trump ist das wurst. Sophie Reinhardt hingegen riskiert mit jedem kritischen Wort, bei den lokalen Mächten in Acht und Bann zu geraten. «Meine besten Waffen sind Hartnäckigkeit und eine saubere Recherche», sagt sie, «dabei habe ich gegenüber den Kolleginnen vom Inlandressort den Vorzug der Nähe zu den Protagonisten. Ich kann im Lokalen bei Bedarf jemandem zwanzigmal auf die Bude steigen, um die Story festzumachen.»
Zwanzigmal auf die Bude steigen: das tönt aber stressig. Sophie Reinhardt lacht: «Zum einen bin ich jung, habe keine Familie und kann am Wochenende arbeiten, ohne dass es jemanden stört. Und zum andern bin ich einfach top motiviert: Ich mache hier, was ich immer machen wollte.» Lokaljournalismus eben, mit Schwerpunkten bei der Kultur- und Stadtpolitik. Sophie Reinhardt hat zunächst Journalismus studiert, danach aber zur Politologie gewechselt: «Ich realisierte, wie fundamental wichtig die Politik ist. Alles hängt in der Schweiz davon ab, wie gut die Menschen Bescheid wissen, da sie eine Menge Einfluss nehmen können.»
UNSICHERE ZUKUNFT. Das Zürcher Verlagshaus Tamedia ist börslich kotiert und Herrin über die einst stolzen selbständigen Berner Zeitungsverlage der «Berner Zeitung» und des «Bunds», die sich und ihren Leserinnen und Lesern einst sogar den Luxus leisteten, einen publizistischen Wettbewerb auszutragen. Tamedia hat schon vor Sophie Reinhardts Stellenantritt beim «Bund» die In- und Auslandredaktion des «Bundes» mit jener des «Tages-Anzeigers» zusammengelegt. Das war mit einem grossen Stellenabbau verbunden. Nun wurde im August bekannt, dass die Tamedia ab 2018 die Redaktionen der verschiedenen Titel in zwei überregionalen Kompetenzzentren zusammenfassen will. Die Redaktorinnen und Redaktoren von «Bund» und «Berner Zeitung» bangen seither um ihre Existenz.
KAMPF UM QUALITÄT. Gemeinsam und mit Unterstützung der Gewerkschaft Syndicom wurden sie aktiv. Sie kochten Risotto «gegen den Einheitsbrei» und verteilten die Sonderzeitung «Monopol», um gegen den Verlust der Medienvielfalt und gegen weitere Abbaupläne zu protestieren. «Es ist wichtig, dass unsere Leserinnen und Leser über hausinterne Ereignisse Bescheid wissen», sagt Sophie Reinhardt.
IMMER DABEI: Die Werkzeuge, die Sophie Reinhardt für ihr journalistisches Handwerk benötigt, sind Telefon, Kugelschreiber und Notizblock.
Die Medienwelt verändert sich zurzeit rasant: eine Entwicklung, der Sophie Reinhardt mit Fatalismus und zugleich mit Zuversicht begegnet. «Egal, was der technische Wandel mit sich bringt, egal, ob es in 20 Jahren noch Druckereien gibt und über welchen Kanal Informationen verbreitet werden: mein Handwerk, Menschen zu treffen, nach der Wahrheit zu graben und über politische Entscheidungen zu sprechen, wird sich nicht ändern und hat auch in Zukunft Bestand.»
Aber: «Es braucht Verleger, die bereit sind, Journalistinnen und Journalisten für ihre zeitintensive Arbeit anständig zu bezahlen, und die die Bereitschaft haben, auch für längere Recherchen geradezustehen.» An der Debatte um die «No-Billag»-Initiative, die der SRG ans Leder will, ist Sophie Reinhardt vor allem von der Polemik im Internet schockiert. «Es ist richtig, über die SRG zu diskutieren und ihren Auftrag zu hinterfragen. Die totale Ablehnung ist für mich unverständlich. Auch wenn die Vorlage versenkt wird, bleibt das nicht folgenlos. Die Gebühr ist bei kleinem Budget ein wesentlicher Kostenpunkt, doch deshalb gleich alles abzusägen, ergibt wenig Sinn.» Als Journalistin weiss Sophie Reinhardt – so wie der Maurer weiss, wie viel Arbeit und Kenntnis es braucht, eine Mauer zu bauen –, dass Medien, die nicht bloss ins Horn der Mächtigen blasen, aufwendig sind in der Produktion. Sie ist sicher, dass der Bedarf an solchen Medien bestehen bleibt: «Es wird immer Menschen geben, die von der Welt mehr wissen und verstehen wollen, als auf der People-Seite von ‹20 Minuten› steht.»
Sophie Reinhardt: Lust auf Kultur
Sophie Reinhardt sagt von sich, rund um die Uhr ihren Traum zu leben. Die gebürtige Bernerin lebt in einer Wohngemeinschaft in Bern und besucht auch in ihrer Freizeit oft Theatervorstellungen, isst und kocht gerne. Nach einem Schnuppertag auf der «Bund»-Kulturredaktion in der sechsten Klasse habe sie eine Weile lang in Betracht gezogen, doch lieber Grosstierärztin zu werden. Das Schreiben habe sie damals nicht sonderlich interessiert.
NEUGIERIG. «An meinem Beruf interessiert mich heute, mit verschiedensten Menschen in Kontakt zu kommen, zu diskutieren und zu hinterfragen.» Mit dem Schreiben hat sie sich längst versöhnt und sich die nötige Routine angeeignet, aber stundenlang an ihren Sätzen zu feilen sei noch immer nicht ihre Lieblingsbeschäftigung. Sophie Reinhardt ist Mitglied bei der Gewerkschaft Syndicom. Sie verdient brutto rund 5000 Franken auf 80 Stellenprozent.
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Hans Joss