Am 4. März wählt Italien eine neue Regierung
Kennen Sie Brescia?

Vielleicht kommt Bunga-Bunga Berlusconi (82) zurück – mit den Neo­faschisten. Italien könnte ihn wählen, weil es den tobenden Grillo fürchtet.

BRESCIA IST ANDERS: Die Stadt beim Gardasee ist ein Vorbild für Italiens multikulturelle Dörfer und Städte. (Foto: Alamy)

Kennen Sie Brescia beim Gardasee? Zweitgrösste Stadt der Lombardei, viel Industrie, eine der prosperierenden Regionen Europas. In den letzten dreissig Jahren kamen viele Flüchtlinge und Migranten aus Osteuropa, Asien, Afrika und dem Nahen Osten.

Rund um Brescia wütet der Rassismus der Lega Nord und rechter Banden. Prügeleien, Brandanschläge, Überfälle auf Ausländer sind Alltag in Padanien, wie die Lega die Lombardei nennt, bis hinein in die elegante Metropole Mailand. Ein führender Lega-Mann sagte dieser Tage: «Wir verteidigen die weisse Rasse.» Doch mittendrin im Lega-Land, in Brescia mit seinen überdurchschnittlich vielen Zugewanderten, lebt es sich gut. «Alles im Lot», sagt Bürgermeister Emilio del Bono von der Demokratischen Partei PD, die Italien (noch) ­regiert. Man hat sich angestrengt und die Integration organisiert, getragen von einer christlichsozialen Tradition. Brescia sei zu einem Modell für Italiens multikulturelle Dörfer und Städte geworden, befinden Mailänder Forscher.

30 SCHÜSSE AUF AFRIKANER

Kennen Sie Macerata? Im Februar schoss in der Provinzstadt südlich von Ancona ein Lega-Mann aus dem Auto fünf Afrikaner und eine Afrikanerin nieder, danach posierte er mit dem Faschistengruss vor einem Kriegerdenkmal. Lega-Chef Matteo Salvini zeigte «Verständnis» und kochte dar­auf seine braune Wahlsuppe («die Mi­granten sind schuld»). Darauf stiegen seine Umfragewerte. Rechtsextreme marschierten in Macerata auf. Aber am 10. Februar antworteten 30’000 Menschen mit einer Demo «gegen Faschismus und Rassimus, jeden Tag, in jeder Stadt».

Salvini hat aus der Regionalpartei Lega Nord, die den reichen Norden von Italien abspalten will, eine nationalistische, neofaschistische Truppe gebaut. Kein Widerspruch, denn für ihn beginnt Afrika in Rom. Schulterklopfend und küssend bekundete Silvio Berlusconi Unterstützung. Der rechtskräftig verurteilte 82jährige Medien- und Bau-Tycoon, der Italien zwischen 1994 und 2011 mit Unterbrüchen ins Elend regiert hatte, ist zurück. Eben erst hat er die Regionalwahlen in Sizilien gewonnen, mit einem ultrarechten Spitzenkandidaten. Jetzt geht er mit Salvini zusammen in die Wahlen vom 4. März, flankiert von den neofaschistischen Fratelli d’Italia.

MANN HINTER DEM BÖSEN CLOWN

«Berlusconi? Wie kann denn das sein?» fragt der Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano. Der Cavaliere schien für immer begraben. Saviano sieht den Grund darin, dass er den Menschen sage: Brecht das Gesetz, wenn ihr in diesem Chaos besser leben wollt.

«Italien lebt in Konfusion, Verzweiflung und Wut.»

Gianni, ein Gewerkschafter, der dreissig Jahre Fabrikkämpfe bei Fiat in Turin hinter sich hat, schliesst nicht aus, zum ersten Mal in seinem Leben Berlusconi zu wählen. Warum? «Um den fürchterlichen Grillo zu verhindern.» Beppe Grillo, Ex-TV-Komiker, und seine Bewegung Cinque Stelle liegen in Wahlumfragen vorn. Schreiend, tobend, manchmal auch prügelnd und mit einem diffusen Programm hat er die Fünf Sterne zur stärksten Kraft gemacht. Die Partei, per Internet organisiert, gilt als Anti-Establishment-Partei. Doch dahinter stehen in Wirklichkeit Arbeitgeberverbände und ein mächtiger Unternehmerclan um die Familie Casaleggio. Als der heimliche Parteigründer Gianroberto Casaleggio im April 2016 starb, übernahm Sohn Davide. Über seine Organisation «Rousseau» kontrolliert er alle Instanzen der Partei, unter anderem das elektronische Voting der Mitglieder. Neuerdings lässt er Grillo und dessen Spitzenkandidaten Luigi di Maio fremdenhasserische Töne spucken. Fünfzig Nuancen in Braun.

Da überkommt Andrea Camilleri, den alten sizilianischen Krimiautor, «ein Zittern». Italiens Wählerinnen und Wähler lebten in «Konfusion, Wut und Verzweiflung», sagt er.

DIE WIRTSCHAFT RICHTET’S

Kennen Sie Siena? Toskanische Schönheit, eine der Wiegen der Renaissance. In einem prachtvollen Palazzo haust die älteste Bank der Welt, Monte Paschi di Siena (MPS), ein global agierender Finanzkonzern mit Dutzenden angehängter, einflussreicher Stiftungen. Seit der Finanzkrise von 2007 ist MPS virtuell bankrott, wird aber regelmässig vom Staat gerettet. Gerade erst wieder mit einem Milliardenpaket. Italiens Wirtschaftsindikatoren zeigen zum ersten Mal seit 2002 nach oben. Nur ist das kein Trost für das starke Viertel der unter 25jährigen, die ohne Job und Aussichten bleiben. Oder für die abgehängten Regionen wie etwa das verheerte Sizilien. Dort, nicht bei den Flüchtlingen, mit denen die EU Italien alleingelassen hat, liegen die Gründe für Italiens Wut und Verzweiflung.

Der Tod der Linken

In Rom erlebt die Regierungslinke gerade ihre letzten Tage. Regierungschef Paolo Gentiloni kann die Demokratische Partei PD kaum retten. Er ist ein Mann von ­Matteo Renzi (42). Renzi sieht sich als italienischer Macron. 2014 übernahm er die Regierung. Nach einer neoliberalen
Arbeitsmarktreform, der Repression von Gewerkschaften, massiven Steuer­geschenken an die Reichen und einem gescheiterten Verfassungsreferendum musste Renzi zurücktreten. Es war ein taktischer Rückzug. Nach nur sechs Monaten übernahm er erneut die Partei und säuberte sie von allen Linken und Gewerkschaftern.

DAS GROSSE VAKUUM. Die PD war die Sammelpartei einer starken Linken mit ­einigem gesellschaftlichem Gewicht, von der früheren KP bis zu den Christlich­sozialen. Heute ist sie eine sozialliberale Formation ohne Vision. Renzi hat 2014 schon mit Berlusconi gekungelt.
In dieses Vakuum stiessen nun die Cinque Stelle und die Rechten vor. Weil das Bürgertum den sozialen Aufstand fürchtet, spannt es überall mit den Rechts­extremen zusammen. Genau das lässt klügere italienische Köpfe «zittern» (Camilleri). Italien war schon immer das politische Labor Europas.

1 Kommentare

  1. adirano schettic 26. Februar 2018 um 19:21 Uhr

    und mit keinem Wort wird die aufstrebende Linkspartei „Potere al Popolo“ erwähnt, schade…

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