Der erste Journalistenstreik seit Jahren
Streik Der Agentur

Massenentlassungen für die Angestellten, Millionen für die Aktionäre: Das ist die Logik von SDA-CEO Markus Schwab. Doch der Streik der Journalistinnen und Journalisten könnte ihn kippen.

UND SIE STREIKEN DOCH: v. l. Claudio Dulio, Nicolas Haesler, Antoinette Prince, Laïna Berclaz, Cornelia Jost, Pablo Crivelli. (Foto: Franziska Scheidegger)

Es ist noch früh an diesem Morgen, als die Nachricht die Runde macht. Redaktionen in der ganzen Schweiz erhalten die Meldung: «Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) wird heute Dienstag bestreikt.» Eine Bombe: Seit Jahrzehnten haben in der Deutschschweiz keine Medienschaffenden mehr zum Streik gegriffen. Und dies trotz einer nicht abreissenden Welle von Fusionen und Entlassungen.

Jetzt trifft es die SDA, die wichtigste Nachrichtenquelle des Landes. Der Streikentscheid fällt deutlich, mit 124 zu 6 Stimmen. Denn es geht um viel: Job, Pensum, Lohn.

36 von 150 Vollzeitstellen will CEO Markus Schwab streichen, betroffen sind 83 Personen. Die Ressorts Inland und Ausland werden zusammengelegt, das Wirtschaftsressort an die Finanznachrichtenagentur AWP ausgelagert, das Kulturressort ganz gestrichen.

RAV STATT RENTE

Diese Hiobsbotschaft erhalten die Journalistinnen und Journalisten am 8. Januar. Per ­E-Mail. Um 17 Uhr. Seither steht kein Stein mehr auf dem anderen. Rasch wird klar: Der Abbau soll nicht gestaffelt über die nächsten zwei Jahre stattfinden, wie ursprünglich angekündigt, sondern bereits in den kommenden Monaten. Und auch von Frühpensionierung ist keine Rede mehr. Für die älteren Arbeitnehmenden heisst das: RAV statt Rente.

Einer, den es trifft, ist Mark Theiler. Seit zwanzig Jahren arbeitet er bei der SDA. Jetzt sieht er sein berufliches Ende gekommen. Er sagt: «Alle Ü 60 müssen gehen. Ich bin 63.» Theilers Nachfolgerin wird bestimmt, noch bevor ihm offiziell gekündigt wird. Er sagt: «Es ist ein unwürdiger, unmenschlicher und kalter Abschied von meinem Beruf, den ich über alles geliebt und nie nur als Broterwerb gesehen habe.»

EISKALT. SDA-Chef Markus Schwab. (Foto: Keystone)

WARNUNG IGNORIERT

Die Redaktionskommission vertritt die Belegschaft und versucht, den grossen Kahlschlag zu verhindern. Sie erarbeitet Vorschläge, unterstützt von der Mediengewerkschaft Syndicom und dem Berufsverband Impressum. Die Direktion lehnt sie ab und macht kleine Zugeständnisse: die Beibehaltung des Nachtdienstes in Sydney zum Beispiel. Und erste Gespräche zum Sozialplan. Gleichzeitig beginnt SDA-Chef Schwab, Kündigungen zu schreiben.

Am 23. Januar kommt es deshalb zum Warnstreik. Es soll ein Warnschuss sein. Doch CEO Schwab ignoriert ihn. Seine Entlassungsmaschinerie läuft weiter. Person um Person ruft Schwabs Vertreter zu sich. Zur «Hinrichtung», wie Mark Theiler es nennt. Zehn Minuten dauert das Gespräch. Dann händigt er entweder die Kündigung aus oder einen neuen Arbeitsvertrag. Mit neuem Pensum, anderem Arbeitsort. Ein Betroffener sagt: «Das Ganze läuft nach dem Motto ‹Take it or leave it›. Unterschreib, oder du stehst auf der Strasse.»

Der Druck steigt, am 30. Januar dann der unbefristete Streik. SDA-CEO Schwab bleibt stur. Der Manager rechtfertigt sein Vorgehen damit, dass die SDA im Jahr 2018 ein Defizit erwarte: Minus 4,1 Millionen Franken. Der Grund: Die SDA-Spitze hat ihren Kunden für das kommende Jahr einen Rabatt von 10 Prozent gewährt. Dies auf Druck der Verleger. Deshalb müsse der Personalabbau nun so schnell wie möglich durchgezogen werden.

MILLIONEN FÜR DIE VERLEGER

Die Redaktionskommission findet das kurzsichtig. Zumal in den nächsten Monaten die Fusion mit der Bildagentur Keystone ansteht. ReKo-Mitglied Tina Tuor sagt: «Es ist noch völlig offen, welche Leistungen das fusionierte Unternehmen dann anbieten will.» Mit anderen Worten: Schwab kündigt einfach so, ohne Strategie. Und markiert den Markigen in der «NZZ am Sonntag», indem er meint: «Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig.» Das gibt Stimmung.

Personalvertreterin Tuor sagt: «Das Vertrauen in die Führung ist verloren.» Sie fordert, dass der Abbau sofort ausgesetzt werde. Zumindest vorläufig. Das könne sich die SDA trotz dem Defizit leisten. Tuor: «Das Geld ist da.» Sie meint die Reserven von fast 19 Millionen Franken, auf denen die SDA sitzt. Mit diesem Geld hat die Teppichetage allerdings andere Pläne. Es soll an die Verlage gehen, wenn die Fusion zwischen SDA und Keystone über die Bühne geht.

Fast 124 Jahre lang war die SDA eine Non-Profit-Organisation. Jetzt soll sie zur Geldmaschine werden.

UPDATE: Die SDA-Belegschaft hat am Freitag, 2. Februar kurz vor 15 Uhr entschieden, den Streik zu sistieren. Mitglieder des Verwaltungsrats und der ReKo hatten sich am Tag zuvor zu einem Gespräch getroffen. Der Verwaltungsrat zeigte sich zu Verhandlungen bereit, unter der Bedingung, dass der Streik ausgesetzt wird. Die Verhandlungen sollen nun am 13. Februar stattfinden. Dabei wird es unter anderem um Lösungen für die älteren Entlassenen gehen.

KEIN GOLDESEL. Die Belegschaft wehrt sich, unterstützt von der Mediengewerkschaft Syndicom. (Foto: Syndicom)

Grosses Rechnen: Bei der SDA geht es um viel Geld

Aktuell sind sich die Medien einig: Die SDA ist wichtig. Sie liefert den Nachrichtenteppich des Landes. Auch der Bund gehört zu den Grosskunden (Umsatz: 2,7 Millionen Franken pro Jahr). Seit ihrer Gründung vor 124 Jahren gehört die Depe­schenagentur den Verlagen. Doch ausgerechnet die haben jetzt dafür gesorgt, dass die SDA ins Wanken gerät.

RABATTE. Ende 2017 hat die SDA den Medienhäusern einen Rabatt von 10 Prozent gewährt. Die Verlage drohten ihrer eigenen Tochter mit einer neuen Billigagentur. Die SDA-Spitze knickte ein. Jetzt fehlen ihr Millionen. Und Chef Markus Schwab greift zum Abbruchhammer.

FUSION. Seit Oktober ist bekannt: Die SDA und die Bild­agentur Keystone wollen fusionieren. Dadurch wird die österreichische Presseagentur APA, der Keystone zur Hälfte gehört, auf einen Schlag zur grössten Aktionärin (30 Prozent). Die APA ist profitgetrieben. Um die geforderten Dividenden zu liefern, will CEO Schwab die SDA jetzt zur Geldmaschine machen. Verliererinnen: Mitarbeitende und Qualität. Profiteurinnen: die Schweizer Verlage und die APA.

SUBVENTION. Doch damit könnten sich die Verleger ins eigene Fleisch schneiden. Denn: Der Bund hatte geplant, die Nachrichtenagentur ab 2019 mit Gebührengeldern zu unterstützen. Dafür soll die SDA tun, was sie heute bereits macht: als landesweiter Dienst Service public leisten. Das wäre dem Bund 2 Millionen im Jahr wert. Diese Millionen stehen jetzt auf dem Spiel: weil die SDA künftig Gewinn machen will und einen Drittel davon nach ­Österreich schicken wird. Statt abzuwarten, schüttet Schwab Öl ins Feuer. In der «NZZ am Sonntag» sagte er: «Möglicherweise rechnet sich dieser Auftrag gar nicht.» So, als wären ihm diese zwei Millionen egal. Ob das der SDA-Verwaltungsrat auch so sieht?

1 Kommentare

  1. Brinkmann 2. Februar 2018 um 17:38 Uhr

    Eine kleine Bemerkung: Die Wirtschaftsredaktion wird gestrichen. Künftig kauft die SDA die Wirtschaftsnachrichten von der AWP ein. Von 17 SDA-Wirtschaftsredaktoren können 6 zur AWP wechseln Stand 2.2.2018 nachmittags.

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