Jean Ziegler
Die Sonne stand hoch über Gaza Stadt. Ich sass im lichtdurchfluteten Büro von Karen Abu Zayd, einer schönen, klugen Frau, verheiratet mit einem palästinensischen Arzt. Sie ist amerikanische Staatsbürgerin und war Leiterin des Gaza-Büros der Uno-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA, United Nations Relief and Works Agency).
HUNGER IN GAZA. 1,8 Millionen Palästinenser und Palästinenserinnen leben zusammengepfercht im Ghetto von Gaza. Israel belagert und blockiert das Ghetto seit 2006. Karen Abu Zayd sagte zu mir: «An der durch die Mangelernährung verursachten Blutarmut sind viele Kinder erkrankt. Wir mussten dreissig unserer Schulen schliessen.» Leise fügte sie hinzu: «Es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn man nur noch ans Essen denken kann.» Das war vor zehn Jahren, damals war ich Sonderberichterstatter der Uno für das Recht auf Nahrung. Seither hat die israelische Blockade die soziale Lage im Ghetto noch verschlimmert.
Es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn man nur noch ans Essen denken kann.
25. Januar 2018: US-Präsident Donald Trump trifft Journalisten im schneebedeckten Davos. Er sagt: «Die UNRWA hilft Terroristen. Wir werden unsere Beiträge an die UNRWA streichen.» Die UNRWA hält fünf Millionen der von Israel aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinenser am Leben. Hunderte von Schulen und Spitälern werden von der Organisation geführt: in Libanon, in Gaza, in Syrien, im Westjordanland, im Irak, in Jordanien.
TRUMPS «FRIEDENSPLAN». Trumps Zornesausbruch in Davos hat eine Vorgeschichte: Am 6. Dezember verkündete der Präsident, Jerusalem werde künftig als Hauptstadt Israels anerkannt. Gleichzeitig legte er einen «Friedensplan» vor, der von seinem Schwiegersohn Jared Kushner ausgearbeitet worden war. Kushner pflegt mit der israelischen extrem rechten Siedlerbewegung enge familiäre, religiöse und finanzielle Beziehungen. Das Statut von Jerusalem steht nicht unter den Verhandlungspunkten.
Anfang Januar: US-Vizepräsident Mike Pence, prominenter rechtsextremer Evangelikaler und eine der übelsten Figuren im Kabinett Trump, reiste nach Jerusalem. Er wollte auch nach Ramallah fahren. Doch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas weigerte sich, ihn dort zu empfangen.
Die UNRWA wird geführt vom grossartigen Schweizer Pierre Krähenbühl. Er war mein Student und vormals Operationschef des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Trump hat bereits die erste Quartalszahlung dieses Jahres von 60 Millionen Dollar an die UNRWA gestoppt. Ihr Zusammenbruch droht. Am 22. Januar lancierte Krähenbühl deshalb einen internationalen Sammelappell (#DignityIsPriceless). Er braucht sofort 500 Millionen Dollar. Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat den Palästinenserinnen und Palästinensern rasch und grosszügig zu Hilfe kommt.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Der schmale Grat der Hoffnung», ist im März 2017 auf deutsch erschienen.