Lohngleichheit: Im Jura steht jetzt die erste Subito-Initiative
«Weil ich es meiner Enkelin schuldig bin!»

Im Kanton Jura sind die Löhne schweizweit am tiefsten. Und die Lohn­ungleichheit ist hier am grössten. Die Unia will das subito ändern – mit einer Umsetzungsinitiative.

LOHNGLEICHHEIT JETZT! Marie-Hélène Thies ist überzeugt: «Wenn wir Lohngleichheit schaffen, würden alle gewinnen.» (Foto: Stöh Grünig)

Gewerkschafterin Marie-Hélène Thies (60) zeigt auf die leuchtend pinkige Wand ihres Büros und sagt: «Das knallt, nicht wahr? Diese Wand habe ich neulich selber gestrichen!» Unter einem Stapel mit Flyern, Plakaten und Schokolade-Giveaways für den 8. März wartet die Schablone mit den Frauenfiguren und dem Schriftzug «Egalité salariale maintenant» (Lohngleichheit jetzt) auf weitere Einsätze. Die gebürtige Französin aus der Normandie, die vor 37 Jahren der Liebe wegen in den Jura gezogen ist, schmunzelt: «Wer weiss, wann wir damit die Stadt verzieren gehen!»

SCHLUPFLOCH FÜR KLEINE FIRMEN

Marie-Hélène Thies arbeitet seit 18 Jahren bei der Unia Transjurane in Delsberg. Sie ist für den Dienstleistungssektor verantwortlich. Wie keine andere kennt sie die Frauen, die in den kleinen Läden und Geschäften in dem immer noch sehr ländlichen Kanton arbeiten, «oftmals für Löhne weit unter 4000 Franken im Monat». Sie kennt auch die Uhrmacherinnen und die Arbeiterinnen aus den Zulieferbetrieben der Maschinen- und Uhrenindustrie; kleine, traditionelle Familienbetriebe, die den Kanton Jura prägen: «Bei uns gibt es kaum eine Firma mit mehr als 50 Angestellten.» Damit spielt sie auf die Revision des Gleichstellungsgesetzes an, das derzeit im Parlament verhandelt und von den Bürgerlichen heftig bekämpft wird. Und auf die Tatsache, dass der Ständerat die Lohnkontrollen nun auf Firmen mit über 100 Angestellten einschränken will. Das sei der Gipfel, sagt Thies, ein schlechter Witz: Diese zahnlose Massnahme würde im Kanton Jura rein gar nichts bewirken, die Firmen könnten mit der Lohndiskriminierung einfach weitermachen.

Die Unia-Frau schmettert ihren arg zerfledderten «Commentaire de la loi sur l’égalité», den Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, auf den Tisch und meint: «Nicht nur im Jura gibt es viele kleine Firmen, für die das Gesetz nicht gelten würde. Schweizweit gesehen haben 95 Prozent aller Firmen weniger als 50 Angestellte!» Thies wundert sich sowieso: «Was soll das, Lohnkontrollen ohne Sanktionen und Konsequenzen?!»

LOHNGLEICHHEIT JETZT UMSETZEN

Im Jura verdienen die Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger als die Männer – gegenüber rund 20 Prozent im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Diese Ungerechtigkeit sei Grund genug, erneut aktiv zu werden, findet Marie-Hélène Thies, die schon ihr halbes Leben für die Lohngleichheit kämpft. So hat sie sich nun zum Ziel gesetzt, die Lohngleichheit wenigstens im Kanton Jura umsetzen, denn: «Das bin ich meiner vierjährigen Enkelin schuldig – wo es für meine drei Kinder schon nicht gereicht hat», erklärt sie.

Innert Kürze waren die Unterschriften im Jura zusammen.

Zusammen mit Unia-Transjurane-Chef Pier­luigi Fedele hat Thies vor gut einem Jahr die Initia­tive ausgeheckt. Der Text sei bewusst allgemein ­gehalten. Die Initiative fordert schlicht, dass das ­jurassische Parlament ein kantonales Gesetz erlasse, welches das nationale Gleichstellungsgesetz ergänze und konkretisiere. Thies erklärt: «Darin muss festgelegt werden, wie die Lohngleichheit in den Betrieben kontrolliert wird und wie die Frauenlöhne ganz konkret an die Männerlöhne angeglichen werden sollen.»

Die Lohngleichheitsinitiative aus dem Jura ist also eine Umsetzungsinitiative. Zwar steht seit 36 Jahren in der Bundesverfassung: «Frauen haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» Aber bis heute wurde das nicht umgesetzt. Darum braucht es nun zusätzliche Gesetze, um dem verfassungsmässigen Recht der Frauen auf gleiche Löhne endlich Geltung zu verschaffen.

ENDLICH LOHNTRANSPARENZ

Lanciert hat die Unia Transjurane ihre kantonale Lohngleichheitsinitiative letztes Jahr am 14. Juni. Das Unterschriftensammeln lief wie am Schnürchen: Innert Kürze waren die 2000 erforderlichen Unterschriften beisammen, inzwischen sind es schon über 3600 Unterschriften. Das stimmt optimistisch. Und auch, dass viele Männer die Initiative unterschrieben haben.

Doch Thies wäre nicht Thies, eine «alte» Kämpferin, wenn sie sich jetzt zurücklehnen würde. Bereits plant sie den nächsten Schritt für die Lohngleichheit: Nun müssten die Männer sich endlich getrauen, den Frauen ihre Lohnausweise zu zeigen und Transparenz zu schaffen. Thies: «Viele Männer haben Bedenken, es könnte ihnen dann etwas weggenommen werden. Aber das Gegenteil ist wahr. Wenn wir Lohngerechtigkeit schaffen, würden alle gewinnen!» Und wann wird das sein? Marie-Hélène denkt nach, dann sagt sie mit fester Stimme: «Bis in 15 Jahren, wenn meine Enkelin ins Erwerbs­leben eintritt, müsste das zu schaffen sein.»

UNIA-CHEFIN Vania Alleva. (Foto: Daniel Rhis)

Wann kommt die Initiative für die ganze Schweiz?

Im Jura reicht die Unia am 8. März eine kantonale Lohngleichheitsinitiative ein. Unia-Präsidentin Vania Alleva freut sich, dass diese so schnell zustande gekommen ist. Die übrige Schweiz müsse jetzt aber subito nachziehen, fordert sie: «Wir müssen nun Nägel mit Köpfen machen! Der Text für eine nationale Initiative wird derzeit beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund ausge­arbeitet.»

TEMPO, TEMPO! Die Unia-Chefin ruft alle Frauen und Männer dazu auf, für die Lohngleichheit zu mobilisieren und gemeinsam auf die Strasse zu gehen. Denn laut der neusten WEF-Studie (Global Gender Gap Report) müssten wir noch ganze 217 Jahre auf die Lohngleichheit warten, wenn es im jetzigen Tempo weiterginge. Alleva: «Es ist eine Frechheit, wie der Ständerat die zahnlose Revision des Gleich­stellungsgesetzes bekämpft. Mit der Rückweisung an die Kommission werden die Frauen noch weiter hingehalten. Es reicht! Wir müssen jetzt alle auf die Strasse!» Nach dem Internationalen Frauentag am 8. März folgt der 1. Mai mit dem ­offiziellen Motto: «Lohngleichheit. Punkt. Schluss.» Und im September findet voraussichtlich eine ­grosse Lohngleichheitsdemo statt.

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