Kinder sterben auf Lesbos

Jean Ziegler

Jean Ziegler

Einer der schönsten Flecken Erde, die ich kenne, ist die griechische Insel Lesbos in der Ägäis. Meine Gedanken wandern mehrere Jahrzehnte zurück. An der Universität hatte ich einen klugen, sympathischen Studenten namens Stelios Kamnarakos. Sein Vater, genannt Papa Dimitri, war der allseits geliebte, warmherzige griechisch-orthodoxe Stadtpfarrer von ­Mytilini, der Inselhauptstadt. In seinem von Reben und Blumen umrankten Haus ­verbrachte ich unvergessliche Ferien.

ABSCHRECKENDER «HOTSPOT». Heute ist Lesbos ein Ort des Schreckens. Dank vor allem den dumpfen Bürokraten der Europäischen Union. Lesbos ist seit zwei Jahren ein ­sogenannter Hotspot. Was ist das?

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Erdoğan schlossen 2016 einen Vertrag: Die gepeinigten Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder ­Afghanistan, die über die Türkei ins EU-Land Griechenland flohen, sollten auf den ägäischen Inseln festgehalten werden. Dort sollten ­EU-Beamte ihre Asylgesuche prüfen. Bei einem ablehnenden Entscheid verpflichtete sich ­Erdoğan, die Geflohenen wieder zurückzu­nehmen. Europa schützte sich damit vor einem weiteren Flüchtlingsstrom, und die Türkei erhielt 1,8 Milliarden Euro.

Auf dem Hügel über Mytilini liegt hinter ­Stacheldraht und mit Glasscherben bestückten Mauern das Lager Moria. Es war für 1500 Menschen gebaut worden. Doch jetzt drängen sich hinter dem Stacheldraht über 6000 Personen. Die meisten von ihnen sind seit über einem Jahr dort gefangen. Die ­versprochene Asylprüfung durch Brüssel wird absichtlich verschleppt. Nur wenige EU-Beamte sind an der Arbeit. Warum? Die Antwort heisst: Abschreckung. Lesbos soll die ­Flüchtlinge ­entmutigen, ihr legitimes Asylrecht geltend zu machen.

HILFE DER UNO. Im Konzentrationslager Moria sind die Zustände fürchterlich. Kinder laufen barfuss im Matsch zwischen undichten Campingzelten herum. Duschen und Toiletten sind total ­verschmutzt. Für eine schlechte Mahlzeit stehen die Menschen manchmal drei, vier Stunden in der Schlange. Der Boden ist mit Fäkalien bedeckt, weil nachts kein Polizeischutz besteht und Frauen und Kinder sich nicht getrauen, auf die Toilette zu gehen.

Die Asylprüfung durch Brüssel wird absichtlich verschleppt.

Im letzten Winter sind 17 Menschen erfroren, darunter 9 Kinder unter zehn Jahren. Wie viele werden es in diesem Winter sein? Die EU hat der Regierung Tsipras 700 Millionen Euro für die «Hotspots» überwiesen. Das Geld ist zum grössten Teil in der korrupten griechischen Verwaltung versickert. Hoffnung bietet nur noch das ferne Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge. Im Exekutivrat dieser Instanz ist die Schweiz sehr einflussreich. Unsere SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier sollten vom Bundesrat verlangen, dass das Uno-Hochkommissariat die Menschen im Lager Moria ermutige, ihr legitimes Asylrecht in Europa geltend zu machen.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden ­Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neuestes Buch, «Der schmale Grat der Hoffnung», ist im März 2017 auf deutsch erschienen.

2 Kommentare

  1. Patricia D'Incau 11. April 2018 um 20:26 Uhr

    Hallo Claude

    Vielen Dank für deine Nachricht! Melde dich doch bei uns unter redaktion@workzeitung.ch. Dann könnne wir das gerne besprechen.

    Liebe Grüsse,
    für die Redaktion,
    Patricia D’Incau

  2. Claude Schunck 6. April 2018 um 19:16 Uhr

    Werte Genossen

    für die Delegiertenversammlung des Gewerkschaftsbundes Uri brauche ich einen Beitrag, eine sehr guten. da ich als UN1A Mitglied eure tolle Zeitung erhalte, möchte ich von Euch die Erlaubnis erhalten, in der Einladung zu unserer DV einen jetzt noch nicht bestimmten Artikel zu veröffentlichen

    Claude Schunck 01154789

    gewerkschaftliche Grüsse

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