Andreas Rieger
Die meisten unserer Eltern und Grosseltern konnten in den 1950er bis 1980er Jahren noch sagen: «Unsere Kinder werden es einmal besser haben als wir.» Europa strotzte vor Glauben an den sozialen Fortschritt. Heute scheint diese Zuversicht verflogen. Zwar brechen technische Erneuerungen Rekorde. Die Menschen aber plagt zunehmender Stress, sie werden von wiederkehrenden Wirtschaftskrisen geschüttelt und befürchten den sozialen Abstieg. So behaupten denn gewisse Wissenschafter, mit sozialen Fortschritten sei es halt vorbei. Unsere Gesellschaft sei «gesättigt».
FINNEN SIND ZUFRIEDEN. Dass das Unsinn ist, zeigt die europäische Erhebung zur Lebensqualität. Ob Fortschritt oder Rückschritt, hängt von der jeweiligen Politik in einem Land ab. Menschen in Finnland sehen ihre Situation zum Beispiel sehr positiv. Und sie sind für die Zukunft ihrer Kinder noch optimistischer. Gerade umgekehrt denken sie in Griechenland: Die Menschen dort erachten ihre Situation als am schlechtesten von allen EU-Ländern. Und die Zukunft ihrer Kinder schätzen sie als noch düsterer ein. Der Unterschied zwischen Finnland und Griechenland? Finnland hat einen ausgebauten Sozialstaat. Griechenland hingegen wurde von der EU brutalster sozialer Rückschritt aufgezwungen.
Werden es die Kinder einmal besser haben?
Als nicht so schlecht schätzen ihre Situation Menschen in Frankreich und Deutschland ein. Für die nächste Generation sind sie, nach Jahren neoliberaler Politik, pessimistischer. Ganz im Unterschied zu den Leuten in Bulgarien, Polen und dem Baltikum. Diese Länder kommen «von unten», und während sich die Eltern noch alles vom Munde absparen mussten, ist da die Wahrscheinlichkeit gross, dass ihre Kinder mehr Möglichkeiten haben werden.
EU IST KEIN VORBILD. Sozialer Fortschritt braucht also eine richtige Politik. Die EU mit ihrer Sparpolitik war da gar nicht vorbildlich. Welche soziale Errungenschaft machen die Menschen an der EU fest? Vielleicht das Erasmus-Programm für Auslandstudien. Der Ball liegt also bei den fortschrittlichen Kräften in Europa, einschliesslich Gewerkschaften. An ihnen ist es nun, ein griffiges, soziales Projekt vorwärtszubringen. Damit wieder mehr Leute sagen können: «Unsere Kinder werden es einmal besser haben.»
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.