Am Anfang fremdelten die Gewerkschaften mit der 68er Bewegung. Und umgekehrt. Das hat sich rasch geändert.
68er und ehemaliger Unia-Co-Präsident: Vasco Pedrina. (Foto: Unia)
In Frankreich gingen im Mai 1968 die Gewerkschaften gemeinsam mit den Studierenden auf die Strassen. In der Schweiz dagegen gab es kaum «positive Berührungspunkte» zwischen Studierenden und den SGB-Gewerkschaften. So erinnert sich Vasco Pedrina *. Er ist ein 68er und war später Co-Präsident der Unia. Trotzdem prägten die 1968 Politisierten in den folgenden Jahrzehnten die Gewerkschaften. Und zwar formal wie inhaltlich. Die Gewerkschaften sind wieder kämpferische Organisationen mit dem Willen zu gesellschaftlichen Veränderungen. Aus abgeschotteten Branchengewerkschaften wurden interprofessionelle Organisationen wie etwa die Unia. Pedrina: «Ohne 68er wäre es dazu wohl nicht gekommen oder erst viel später.»
DAMALS. Der junge Pedrina in Paris. (Foto: zvg)
Denn die alte Gewerkschaftsgarde war geprägt von einer verinnerlichten Friedenspflicht und striktem Branchendenken. Beides funktionierte so lange, wie auf Arbeitgeberseite Leute das Sagen hatten, die ein gewisses Verständnis für den Ausgleich von Kapital und Arbeit hatten. Das änderte sich in den 1980er Jahren dramatisch. Der Neoliberalismus, der international etwa mit der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher und dem US-Präsidenten Ronald Reagan politische Erfolge feierte, fand auch bei den Schweizer Arbeitgebern Anhänger. Sie erklärten die Gewerkschaften für überflüssig und wollten sie zerschlagen.
ERFOLGREICHE LINKSPOLITIK. Mit dieser knallharten Politik dieser Marktgläubigen und Sozialabbauer «war die alte Gewerkschaftsgarde überfordert», sagt Pedrina. Die Jahrzehnte des verabsolutierten Arbeitsfriedens hatten die Gewerkschaften nicht bloss die Streikfähigkeit gekostet, sie waren auch nicht mehr referendums- und initiativfähig.
Auch innerhalb der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie gab es eine Strömung, die den Klassenkampf für beendet hielt und die Gewerkschaften zu reinen Dienstleistungsbetrieben umbauen wollte. Die 68erinnen und 68er in den Gewerkschaften hielten dagegen – und setzten sich durch. Intern und extern. Dank dieser Umorientierung gelangen und gelingen den Gewerkschaften zentrale Erfolge für die Lohnabhängigen in diesem Land. Pedrina nennt:
- die Migrationspolitik: «Eine kopernikanische Wende, weg vom fremdenfeindlichen Saisonnierstatut und von Kontingenten hin zur Personenfreizügigkeit und flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne.»
- die Mindestlöhne: «Eines der allerersten Anliegen der 68er in den Gewerkschaften.»
- das Streikrecht: Nach langem Engagement der 68er steht das Streikrecht in der Bundesverfassung.
- und die Sozialpolitik: «Bei den Sozialversicherungen und der Altersvorsorge konnten wir die meisten von den Rechten geplanten Abbaumassnahmen verhindern.»
Auch in den Gewerkschaften hielten manche den Klassenkampf für beendet.
Wie erfolgreich diese von den 68ern geprägte neue Politik der Gewerkschaften trotz allen Schwierigkeiten ist, zeigt für Pedrina exemplarisch auch der vergangene 30. Januar. Da lud die SVP zur Pressekonferenz, und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher lancierte einen Frontalangriff auf die Gewerkschaften im allgemeinen und die Gesamtarbeitsverträge im besonderen. Pedrina: «Das zeigt, wie erfolgreich die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren gearbeitet haben. Sonst hätte sich die SVP diesen Auftritt sparen können.»
*Vasco Pedrina (*1950) wuchs als eines von sechs Kindern eines Bäckers in Airolo auf. Nach der Handelsmatura studierte er in Freiburg Volkswirtschaft. Statt wie von seinen Eltern geplant, die Bäckerei zu übernehmen, engagierte sich Pedrina in der Gewerkschaftsbewegung, zuletzt als Co-Präsident der Unia.
Als Mann zwischen den Generationen – den 68ern und deren Vorläufern – kann ich mich noch gut an den nicht unbedingt reibungslosen Übergang erinnern. Nicht ganz zu Unrecht konnte man teilweise von einer putschartigen Übernahme der Arbeiterbewegung durch klassenfremde (!) Intellektuelle sprechen, Bürgerliche und Verbürgerlichte, die auch heute noch den Absolventen der Handelshochschule St. Gallen geistig näher geblieben sind als den Arbeitern und Angestellten……..
Vielleicht werde ich während den unsinnigen Lockdowns (in F) die Zeit dafür haben, um meine eigenen Erfahrungen in und mit der in Wirklichkeit schon längst agonisierenden Arbeiterbewegung zu schildern.
Dabei schneidet die heutige Linke bei den Wahlen immer noch relativ gut ab. Doch profitiert sie dabei vom Einsatz und der Vorarbeit der Alten. Die Scheinerfolge der heutigen Linken werden sich in wenigen Jahren als Leerlauf erweisen.
Doch interessiert mich im Moment eine ganz zeitspezifische Angelegenheit und die sich daraus ergebende Frage: Gibt es irgendwo ein gewerkschaftliches Positionspapier über die Covid-«Krise» aus der Sicht der Arbeitnehmer? Immerhin sind wir im Moment Zeugen eines gigantischen hold-up: Grosskonzerne, Hedge Fonds und Oligarchen reissen sich die letzten (börsen-) unabhängigen Unternehmen unter den Nagel ……. und wir sagen nichts und machen nichts!!!!!!…… So habe ich mir vor 35 Jahren in meinen schlimmsten Alpträumen die Gewerkschaften vorgestellt.
Gruss
Ernst Laub
P.S.
Ich denke immer noch an die internationalen Konferenzen in Genf: Der deutsche Gewerkschaftsvorsitzende wurde von einem livrierten Chauffeur vom Flughafen zum Hotel und von dort zur ILO gefahren. Sein amerikanischer Kollege wollte sich auch nicht lumpen lassen und kam in Genf mit dem Privatjet der gewerkschaftseigenen (?) Krankenversicherung an. Daher war es für die Gewerkschaftsinternationale wichtig, das Büro – ohne Rücksicht auf Kosten – gleich beim Flughafen Genf zu unterhalten; Auch wenn dabei das Geld ausgeht……… Dabei haben auch die US Gewerkschaften und die dortigen Sozialisten klein angefangen (und in der Regel klein aufgehört.). Zu den ganz Grossen gehört für mich der bewundernswerte und dabei bescheiden gebliebene Eugene Debs, der von „Great Government“, Great Business“ …….. und den Verrätern von „Great Labor“ mitsamt der Arbeiterbewegung vernichtet wurde. Bitte, unter Eugene Debs nachforschen. Auf einen Idealisten wie Debs folgen üblicherweise die Überheblichen.
Die heute zum Witz verkommene Sozialistische Internationale war unter der Führung von grossartigen Leuten wie Brandt, Palme und Kreisky sehr bedeutungsvoll. Ich erinnere mich noch, wie Bundeskanzler Brandt von einem Hubschrauber der Bundeswehr zum Parteitag der SP nach Interlaken geflogen wurde. Wir waren alle stolz auf diesen Mann. Doch stellen wir uns einmal vor, dass heue eine
SPD-Witzfiguren vor Schweizer Publikum auftreten würde, beispielsweise der Mullah-Gratulierer Steinmeier…… Nein, ich darf nicht daran denken. Auch einen SP-Parteitag darf ich mir nicht mehr vorstellen: Wahrscheinlich würde Greta Thunberg als Gast direkt aus schwedisch Lappland eingeflogen………..