Heute sind 52 Prozent aller Arbeitnehmenden besser geschützt dank den flankierenden Massnahmen. Dieser Erfolg macht ihre Gegnerinnen und Gegner im Inland umso aggressiver.
Lohnschutz: Weniger für sie, mehr für die Arbeitnehmenden – darum haut Magdalena Martullo-Blocher auf die Flankierenden drauf. (Foto: Sabine Wunderlin / RDB)
Im Zusammenhang mit dem angestrebten Rahmenvertrag mit der EU hat die sogenannte 8-Tage-Regel in der veröffentlichten Meinung eine zentrale Stellung bekommen. Die Erzählung jener, die den Lohnschutz aufweichen wollen, geht so: «Die Gewerkschaften müssten bloss die neuen technischen Möglichkeiten akzeptieren, dann wäre die EU zufrieden.» Das ist gleich mehrfach falsch.
Erstens drehen sich die vom Gesamtbundesrat definierten roten Linien bei den Verhandlungen mit der EU nicht um die 8-Tage-Regel, sondern darum, dass Schweizer Arbeitnehmendenrechte und Lohnschutz nicht Teil des Rahmenabkommens sein sollen. Zweitens ist es nicht einfach die EU, die Druck macht gegen die Flankierenden. Diese sind sowohl innerhalb der EU umstritten (siehe «Das Burgenland lässt freundlich grüssen») als auch innerhalb der Schweiz. Ein Dorn im Auge ist der Lohnschutz den rechten Parteien und Teilen der Arbeitgeberverbände seit ihrer Einführung. Sie versuchen ihn deshalb über den Umweg Rahmenabkommen los zu werden.
Das ist kein neues Phänomen, einzig die Unverfrorenheit, mit der die Arbeitnehmendenrechte angegriffen werden, ist neu. Und dass die beiden FDP-Bundesräte Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann da mitmachen. Das sogenannte Diskussionspapier aus dem Departement Schneider-Ammann, das den Bruch mit den Gewerkschaften provozierte, stellt den ganzen Lohnschutz in Frage:
- die 8-Tage-Regel,
- die Kautionspflicht für Firmen,
- die Sanktionen gegen fehlbare Arbeitgeber,
- die Bekämpfung der Scheinselbständigkeit,
- die Qualität und Quantität der paritätischen Arbeitskontrollen.
GAV-ABDECKUNGSGRAD WÄCHST
Mit ihrem Totalangriff auf die Flankierenden gefährden Cassis und Schneider-Ammann den bilateralen Weg. Denn seit dem Nein zum EWR 1992 ist klar, dass eine Personenfreizügigkeit ohne flankierende Massnahmen bei Volk chancenlos ist. Darum kam es damals zum Deal der Gewerkschaften mit den Unternehmern: Diese bekamen den freien Marktzugang zur EU und die Arbeitnehmenden den Schutz ihrer Rechte durch flankierende Massnahmen.
Konkret heisst das: Seit damals können die Gesamtarbeitsverträge (GAV) leichter allgemeinverbindlich erklärt werden. Es gibt mehr verbindliche Mindestlöhne, und Lohnkontrollen sorgen dafür, dass die Stellung der Lohnabhängigen gestärkt wird. Ein Erfolg: So wuchs der Abdeckungsgrad von Arbeitnehmenden, die Gesamtarbeitsverträgen unterstellt sind, zwischen 2003 und 2015 von 45 auf 52 Prozent. Heute steht also eine von zwei Personen unter einem GAV-Schutz. Und dies, obwohl die Bedingungen für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung in der Schweiz im internationalen Vergleich immer noch zu restriktiv sind.
Dank den Flankierenden ist in drei grossen Branchen neu ein GAV allgemeinverbindlich erklärt worden: im Personalverleih (Temporäre): 300’000 Unterstellte, bei den Tankstellenshops: 12’000 Unterstellte und in der Reinigungsindustrie Deutschschweiz: 55’000 Unterstellte. Damit gelten neu für 367’000 Menschen mehr gewisse Arbeitnehmendenrechte. Dank den flankierenden Massnahmen hat der Bundesrat neu auch die Möglichkeit, einen nationalen Normalarbeitsvertrag (NAV) mit verbindlichen Mindestlöhnen einzurichten. Nämlich zur Verhinderung von Lohndumping dort, wo es keinen GAV gibt. Zum Beispiel in der Hauswirtschaft: Seit Januar 2011 gibt es dort einen verbindlichen Mindestlohn für privat angestellte Pflegende, Putzende usw.
NZZ MACHT KLASSENKAMPF
Diese Errungenschaften im Rahmen der Personenfreizügigkeit lassen sich sehen. Und sie müssen dringend ausgebaut werden. Doch schon jetzt gefallen sie den Marktradikalen und Abschottern in der FDP und SVP gar nicht. Darum attackieren sie die Flankierenden und die Gewerkschaften (work berichtete, rebrand.ly/millionenluege). So wie Ems-Milliardärin Magdalena Martullo-Blocher im Februar an einer SVP-Medienkonferenz. Oder unlängst die NZZ. Sie bezeichnet die GAV offen als «Kollateralschaden der Personenfreizügigkeit». Kollateralschaden heisst, man nimmt für ein höheres Ziel eine nicht beabsichtigte, schädliche Folge in Kauf. Also: Arbeitnehmendenschutz ist für die NZZ ein Schaden, der möglichst repariert werden sollte – sprich: geschwächt oder abgeschafft. Wenn das nicht Klassenkampf ist! Klassenkampf von oben.