Mit einer perfekten Sprengung sorgt Paul Kellermann für Nachschub in der Kiesgrube bei Arnegg SG. Dank allen Vorbereitungen scheinen die Gefahren überschaubar. Allerdings kann sich immer noch die Natur einmischen.
ERFAHRUNG IST ALLES: Sprengmeister Paul Kellermann (27) macht von A bis Z alles selber. (Fotos: Daniel Ammann)
Noch eine gute Stunde. Sprengmeister Paul Kellermann hat alles so geplant, dass er um 14 Uhr in der Kiesgrube der Firma Hastag bei Arnegg SG rund 2500 Kubikmeter Geröll heraussprengen kann. Noch ist die Sortier- und Waschanlage in der Mitte der Grube in Betrieb, und Laster transportieren den Kies ab. Kellermann und sein Kollege Stefan Graf arbeiten auf einem bei einer früheren Sprengung entstandenen Plateau am letzten von 15 Bohrlöchern. Anderthalb Tage waren sie mit den Vorarbeiten beschäftigt. Dazu gehörte vor allem die genaue Vermessung der Wand zur Festlegung der Bohrlöcher.
Am Vortag hat er die zwölf Meter tiefen Löcher gebohrt, die Maschine dazu steht mittlerweile auf sicherem Terrain am Rand der Grube. Kellermann sagt: «Mein grosser Vorteil ist, dass ich von A bis Z alles selber mache. Von der Planung bis zur Ausführung. Wenn ich selber bohre, merke ich, was es für ein Fels ist. Gibt es Risse im Gestein? Hat es lose Ware? Ist der Untergrund weich oder fest?»
SPRENGSTOFF. Jetzt füllt Kellermann noch das letzte Loch mit 42 Kilo Sprengstoff. Insgesamt hat er für die Operation 750 Kilo versenkt. Der Sprengstoff ist verpackt in Würsten, die in Länge, Umfang und ihrer weissen Haut an italienische Salami erinnern. Sprengstoff ist auch in den Kabeln, die die Detonation in einer Kettenreaktion von unten nach oben auslösen sollen. Die obersten 2,5 Meter des Lochs füllt Kellermann schliesslich mit Splitt. So soll die Sprengenergie nicht nach oben verpuffen, sondern nach vorne gelenkt werden.
Zum Schutz vor Diebstahl des gefährlichen Materials sind alle Sprengstoffwürste registriert. Auf jeder Patrone und jedem Zünder stehe ein Code, sagt Kellermann. «Wenn ich Sprengstoff kaufe, bekomme ich zusätzlich zu den Kartons ein Riesenpaket an Codes, die ich einscanne. Damit ist immer nachvollziehbar, wo die Patrone ist. Nach der Sprengung scanne ich die Kartons jeweils ab. Somit ist der Sprengstoff als verbraucht deklariert.» Die genaue Buchführung werde regelmässig polizeilich überprüft.
KEIN LEHRBERUF. Sprengen, sagt Kellermann, sei Erfahrungssache, jedoch kein Lehrberuf. Die gebräuchliche Berufsbezeichnung «Sprengmeister» sei deshalb irreführend, korrekt wäre «Sprengberechtigter». Dazu müssen Interessierte mehrere Kurse absolvieren, die eigentlich jede und jeder besuchen kann. Voraussetzung für die Zulassung ist eine Zuverlässigkeitsbescheinigung der Polizei. Nach der bestandenen Abschlussprüfung erhält man den Sprengausweis. Bei Kellermann ist dort auch die Teilnahme an weiteren Lehrgängen notiert, in denen es etwa um Metall- oder Tunnelsprengungen ging.
Der Beruf fasziniert. Wenn irgendwo ein Hochhaus oder ein Kamin gesprengt wird, ist meist das Fernsehen dabei. Und Schaulustige lassen sich auch durch die zu erwartenden Staubwolken nicht abschrecken. Stefan Graf, Kellermanns Kollege, meint: «Was wir machen, ist ein Traumberuf.» Aber Kellermann gibt sich nüchterner. Es sei ein interessanter Beruf, etwas Seltenes. Und im Freundeskreis habe man immer Gesprächsstoff.
EXPLOSIV: Sprengmeister Kellermann füllt ein Bohrloch mit Sprengstoff, verkabelt die Sprengsätze und bläst dann vor der Zündung ins Horn.
HÖRNERKLANG. Inzwischen ist es fast zwei Uhr geworden. Wir verlassen mit den beiden den Grubenbereich. Die letzten Laster machen sich davon, die Waschanlage steht still. Am Zufahrtsweg oberhalb des Steinbruchs, in vielleicht hundert Metern Entfernung zu dem Plateau, hat Kellermann seine Zündmaschine und eine Kamera hinter einem kleinen Erdwall aufgebaut. Wir sollen schauen, was er macht, fordert er uns auf. Wenn er sich bücke, sollen wir auch sofort hinter dem Erdwall in Deckung gehen.
Dann geht es los. Kellermann nimmt sein Horn und bläst ein langes Signal, fünf Mal. Es ist das Zeichen für die Absperrung der Strasse oberhalb der Grube. Er funkt die Posten an, alles in Ordnung. Das nächste Signal: drei Mal kurz, die Zündung. Die Detonation ist überraschend leise, die zu sprengende Fläche scheint kurz zu erzittern, dann rutscht sie auf ihrer ganzen Breite kompakt nach unten ab. Nur ein paar Brocken fliegen 30 oder 40 Meter weit in die Grube hinein. Weil es in der Nacht zuvor geregnet hat, gibt es praktisch keine Staubwolke. Kellermann bläst noch einmal lang in sein Horn: das Signal für das Ende der Operation. Die Strasse wird wieder freigegeben.
Wir gehen zurück in die Grube, um das Resultat anzuschauen. Kellermann: «Das ist das Schöne an dem Beruf, wir werden direkt belohnt und sehen, was genau wir erreicht haben.» Alles ist perfekt gelaufen. So perfekt, dass bei richtiger Planung und Vorbereitung das Risiko minimal und der Sicherheitsaufwand übertrieben scheint. Kann denn überhaupt etwas schiefgehen? Ja, sagt Kellermann. «Wir können noch so genau arbeiten, aber zwischen den Sprenglöchern und der freien Wand ist immer noch Natur.»
Paul KellermannExplosions-Experte
Der 27jährige Paul Kellermann hat in Ostdeutschland in einem Steinbruch gearbeitet und eine Lehre als Aufbereitungsmechaniker gemacht. So etwas wie Schlosser im Steinbruch, sagt er. «In dem Beruf lernt man eigentlich alles über die Aufbereitung des gesprengten Materials sowie die Bedienung und Wartung der dazu nötigen Maschinen.» In seinem Lehrbetrieb bekam er das Angebot, in die Bohr- und Sprengabteilung zu wechseln. «Das hab ich sofort angenommen.»
ZWEITE HEIMAT. Doch bevor er dort die Sprengprüfung ablegen konnte, verschlug es ihn 2012 in die Schweiz. Durch Vermittlung von Bekannten landete er bei der Bereuter Baugrubentechnik in Volketswil ZH, die als Sprengunternehmen auch in der Kiesgrube in Arnegg SG tätig ist. Kellermann arbeitete zunächst wieder als Sprenghelfer und Bohrmaschinist.
Dann absolvierte er Schulungen im Campus Sursee und erwarb die verschiedenen Sprengberechtigungen. Jetzt ist er als hauptverantwortlicher Sprengmeister des Unternehmens «praktisch sein eigener Herr». Die Beschäftigten von Bereuter sind dem Landesmantelvertrag des Bauhauptgewerbes unterstellt. Kellermann erhält «einen ganz normalen Vorarbeiterlohn».