Österreich protestiert: «Wir sind keine Hosenscheisser!»

Andreas Rieger

Gewaltig: Hunderttausend Menschen an der Demo des österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) in Wien! Dreimal mehr als an den grössten Demonstrationen in der Schweiz.

Was ist in die österreichischen Kolleginnen und Kollegen gefahren? In der Streikhäufigkeits-Rangliste steht ­Österreich weit unten. Wie auch die Schweiz. In Österreich sind ­die Gewerkschaften und Firmen stärker verbandelt als anderswo. Gegen 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse sind durch Gesamtarbeitsverträge (GAV) geregelt.

SCHNELLVERFAHREN. Der grosse Konflikt brach kurz vor den Sommerferien auf. Provoziert hat ihn die neue Regierung der konservativen ÖVP und der rechtsnationalen FPÖ. Streitpunkt: die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Regierung setzt da gesetzlich die Wünsche der ­Arbeitgeber um, die diese in den GAV nie durchbringen würden. Neu soll der Arbeitstag maximal 12 Stunden haben statt bisher 10. Und die Arbeitswoche 60 Stunden! Ohne Mitsprache der Betriebskommissionen. Im Schnellverfahren peitschte dies die Regierung durchs Parlament. Sie missachtete die 70jährige Tradition, eine Vernehmlassung bei den Sozialpartnern durchzuführen. Als nächstes soll es den Gewerkschaften an den Kragen gehen, mit der Schwächung der sogenannten Arbeiterkammern. Sie sind die gesetzlich verankerte Interessenvertretung der Arbeitnehmenden.

Reaktionäre Regierung verordnet
60-Stunden-Woche.

STREIK. Auf einen Schlag ist Österreich im Europa der Deregulierung angekommen. Angeführt von einer reaktionären Regierung, die sich als Schutzpatronin der «kleinen Leute» aufspielt und sie gegen Asyl­suchende aufhetzt. Mit diesem Kurs ­gewannen ÖVP und FPÖ die Wahlen im Frühling. Jetzt zeigt ihre Regierung mit der ­Arbeitszeitverlängerung ihr arbeitnehmerfeindliches Gesicht. Noch ist diese Suppe nicht gegessen, das haben die Gewerkschaften mit dieser Riesendemo gezeigt. ÖGB-Chef Wolfgang Katzian rief den Demons­trierenden zu: «Heute ist nicht das Ende des Kampfes, sondern der Beginn. Denn wir sind keine Hosenscheisser!» Man werde Widerstand leisten. Mit allen Mitteln. Das schliesst auch Streik in einzelnen Firmen ein.

Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschafts­bewegung aktiv.

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