SVP-Selbstbestimmungsinitiative will Menschenrechte abschaffen
Das Vermächtnis von Asbest-Opfer Hans Moor

Monteur Hans Moor starb an Asbest. Doch erst der ­Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gab seiner Familie recht. Ein neues Buch erzählt die Geschichte der erfolgreichen Klagen.

CHRAMPF UND KAMPF: Hans Moor und Renate Howald Moor erfuhren erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Gerechtigkeit. Da war Hans Moor schon tot – gestorben an den Folgen seiner Arbeit mit Asbest. (Foto: SRF)

Niemand kannte die Dampfturbinen so gut wie Hans Moor, Servicetechniker bei ABB. Wusste man irgendwo auf der Welt nicht mehr weiter, so rief man ihn an. Selbst mitten in der Nacht. Dann fragte Moor jeweils: «Mach den Deckel auf – was steht da für eine Nummer drauf?» Moor hatte alle Turbinenpläne im Kopf und wusste bald, welches Ventil zu lösen war, damit die Turbine wieder lief. Das ging so bis 2005 – als Hans Moor im Alter von 57 Jahren starb.

Er hatte jahrelang bei der Arbeit Asbeststaub eingeatmet. Erst später wurde ihm bewusst, wie gefährlich das gewesen war. Zu spät. Moors Diagnose hiess «bösartiges Lungenkarzinom, ausgelöst durch Asbest». Es folgten Notaufnahmen, Operationen, Chemotherapie. Und immer wieder heftige Schmerzen. Zuletzt war der Krebs stärker. Kurz vor seinem Tod verfasste Moor noch die eigene Todesanzeige. Und seiner Frau Renate nahm er das Versprechen ab, die Klage weiterzuziehen. Gemeinsam mit seinem Anwalt David Husmann hatte er den Konzern Alstom (Nachfolger von ABB) verklagt: Dieser habe ihn und seine ­Arbeitskollegen nicht über das gefährliche Asbest informiert. Deshalb forderte Moor eine Entschädigung.

LANGER WEG. Renate Howald Moor kämpfte lange um Gerechtigkeit. Nicht nur für ihren verstorbenen Mann. (Fotos: SRF)

SUVA VERWEIGERTE SICH

Doch alle Gerichte wiesen die Klage ab. Der Fall sei verjährt. Entscheidend für die Frist könne nur der Ausbruch der Krankheit sein, sagte Anwalt Husmann. Doch das Argument fand kein Gehör. Selbst den obersten Schweizer Richtern in Lausanne war die «Rechtssicherheit» wichtiger. Auch die Suva stellte sich taub. Dabei war der Versicherung die Gefahr von Asbest schon seit Jahrzehnten bekannt. Da blieb nichts anderes als der Gang nach Strassburg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

98 von 100 Fällen nimmt der Gerichtshof gar nicht an, weil er sie für nicht relevant hält. Moors Fall aber war relevant. Im März 2014 kam das grosse Aufatmen: Strassburg gab Moors Familie recht. Durch die bundesgerichtliche Praxis der Verjährungsfrist sei der faire Zugang zum Gericht missachtet worden. Auch Asbestopfer hätten ein Recht auf wirksame Klagen. Moors Recht wurde so nachträglich gewahrt. Und das war für die Familie das Wichtigste. Viel wichtiger als die Entschädigung, die ihr Alstom in einem Vergleich zugestehen musste. Das Urteil hatte Folgen. Unter dem Druck von weiteren Klagen musste die Industrie einlenken. Das Ergebnis ist ein Asbest-Fonds, aus dem heute Opfer ohne lange Prozesse entschädigt werden können. Durch den ­ehemaligen Co-Präsidenten Vasco ­Pedrina war die Unia an der Errichtung des Fonds massgeblich beteiligt (rebrand.ly/wirtschaft-muss-zahlen).

Die Schweizer Gerichte stellten sich gegen die
Opfer-Rechte.

SCHWEIZ BRAUCHT STRASSBURG

Der Fall Moor ist einer von neun erfolgreichen Prozessen, die in dem neuen Buch «Frau Huber geht nach Strassburg» nachzulesen sind. Die beiden Herausgeber, der Schaffhauser SP-Oberrichter Kilian Meyer und der Journalist Adrian Riklin (WOZ), zeigen auf, wie wichtig der Gerichtshof in Strassburg für die Wahrung der Menschenrechte auch in der Schweiz ist. Und dass es eine Katastrophe wäre, wenn die Selbstbestimmungsinitiative der SVP am 25. November an der Urne durchkommen würde. Denn diese zielt direkt auf die Entmachtung des Gerichtshofs ab. Zum Schaden der Menschenrechte in der Schweiz.

Kilian Meyer, Adrian Riklin (Hg.): Frau Huber geht nach Strassburg. Die Schweiz vor dem Gerichtshof für Menschenrechte. WOZ-Verlag, Zürich 2018, CHF 22.–.

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