Krankenkasse: Teurer heisst nicht besser. Nur teurer.

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung bietet allen die gleiche Leistung. Trotzdem sind die Prämien von Kasse zu Kasse verschieden. Warum das so ist – und warum es sich nicht lohnt, bei einer teuren Kasse auszuharren.

LOHN DER MÜHE: Beim seriösen Vergleichen von Prämien kann man leicht «de Dokter mache», aber unterm Strich schön Geld sparen – ohne Nachteile. (Foto: iStock)

Im Prinzip eine gute Sache, die 1996 eingeführte obligatorische Krankenpflegeversicherung. Denn sie stellt sicher, dass alle Menschen in der Schweiz im Krankheitsfall medizinisch ausreichend versorgt sind und die Kosten tragen können, ohne zu verarmen.

Nur hat die Politik damals mit dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) ein wahres Tarifmonster gebastelt. Die Föderalisten sorgten dafür, dass die Prämien von Kanton zu Kanton anders sind. Die Gutverdiener verhinderten, dass die Prämie abhängig vom Einkommen und damit auch sozial gerecht berechnet wird. Stattdessen gilt die vom Einkommen unabhängige Kopfprämie. Und die Marktwirtschafter setzten durch, dass eine Vielzahl von Kassen statt einer Einheitskasse das Einheitsprodukt Grundversicherung anbietet. «Wir brauchen Wettbewerb, dann wird’s billiger!» behaupteten sie.

Billiger ist’s nicht die Bohne, aber unübersichtlich. 51 Kassen (Stand 2019) bieten in den verschiedenen Prämienregionen und Altersgruppen mit unterschiedlichen Kostenmodellen total 250’000 unterschiedliche Tarife an, hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) errechnet.

GROSSE DIFFERENZEN

Denn zu den vom Gesetz gewollten Prämienunterschieden kommen jene hinzu, über welche die einzelne Person entscheidet:

  • Bei höherer Eigenbeteiligung an den Kosten (Wahlfranchise) sinkt die Prämie.
  • Mit allerlei Pförtnermodellen, die den Zugang zu kassenpflichtigen Leistungen regulieren, lässt sich ebenfalls Prämie sparen. Zu diesen Pförtnermodellen zählen das Hausarztmodell, die Telemedizin und andere.
  • Mit einer Bonusversicherung lassen sich Prämien sparen, wenn man über Jahre keine Leistungen beansprucht.

Aber wer nun beginnt, die Prämien der über 50 Kassen untereinander zu vergleichen, stellt fest: Auch wenn Gleiches mit Gleichem verglichen wird, liegen die Prämien der Anbieter markant auseinander. Zum Beispiel das klassische Versicherungsmodell mit 300 Franken Franchise und freier Arztwahl. Das sieht für eine 40jährige Person im Kanton Aargau (2019) so aus: Teuerste Versicherung ist Kolping, Monatsprämie 479 Franken. Günstigste Kasse ist Agrisano Brugg, Monatsprämie 377 Franken. Differenz 102 Franken pro Monat. In anderen Prä­mienregionen können die genannten Anbieter günstiger oder teurer sein, die Unterschiede sind aber überall beträchtlich. Was bieten teure Kassen denn mehr als die billigen?

GRÜNDE WIE SCHEINRIESEN

Wer bei seiner (teuren) Kasse nachfragt, weshalb die Prämie denn so hoch sei, bekommt mancherlei zu hören – darunter Argumente, die den Charakter von Scheinriesen haben. Je näher man sie betrachtet, umso mehr schrumpfen sie.

  • «Unser Service ist halt besser»: Mag ja sein, dass der Service zuvorkommend ist. Eine massive Prä­miendifferenz lässt sich daraus aber nicht erklären. Denn die Verwaltungskosten der Kassen liegen im Mittel bei etwa fünf Prozent der Ausgaben, die Bandbreite bei den grösseren Kassen reicht von gut drei bis etwa sechs Prozent.
  • «Wir haben sehr hohe Reserven»: Reservehaltung ist den Kassen vorgeschrieben. Hohe Reserven bedeuten, dass eine Kasse auf mehr Winterspeck sitzt als andere. Aber überdurchschnittlich hohe Reserven können für die Versicherten allenfalls in späteren Jahren vorteilhaft sein, wenn die Kasse nach einem schlechten Jahr nicht gleich die Prämien stark erhöhen muss. Jetzt, für das kommende Jahr, sind die Prämien festgelegt, und die Prämienzahler im Jahr 2019 haben nichts vom Winterspeck. Der Vorteil ist also rein theoretisch.
  • «Wir sind auch mal kulant»: Ein ganz gefährliches Argument. Schliesslich ist der Leistungskatalog der Grundversicherung Gesetz. Über die Frage, was nun unter die Zahlungspflicht der Kasse falle und was nicht, entscheiden im Zweifelsfall Fachgremien und Gerichte, nicht die Kasse.

VIEL JUNG, VIEL BILLIG

Den wichtigsten Grund für die Prämiendifferenzen bilden die von Kasse zu Kasse unterschied­lichen Versichertengemeinschaften. Je mehr junge und gesunde Versicherte eine Kasse hat, desto tiefer kann sie die Prämie halten. Und je mehr ältere und häufiger kranke Versicherte sie hat, desto höhere Kosten muss sie über die Prämie refinanzieren.

Prämien rechnen

Möchten Sie die Prämien Ihrer Kasse mit anderen vergleichen? Einen werbefreien und stock­seriösen Vergleichsrechner ­offeriert das Bundesamt für ­Gesundheit auf seiner Website: rebrand.ly/praemienrechner

Zwar besteht zwischen den Kassen ein Risikoausgleich: Wer besonders hohe Kosten hat, bekommt eine Ausgleichszahlung, wer tiefe Kosten hat, liefert Ausgleichsgeld ab. Jedoch funktioniert der Risikoausgleich nur unzulänglich. Beispiel: Die Helsana (550’000 Versicherte) erbrachte 2016 Nettoleistungen von 5108 Franken pro versicherte Person und erhielt 1122 Franken Risikoausgleich. Die Sanagate (93’000 Versicherte) hatte Kosten von 1128 Franken und bezahlte 1026 Franken in den Risikoausgleich. Die Helsana hatte also rund doppelt so hohe Kosten pro versicherte Person. Das will – mit Prämien – bezahlt sein. Und es erklärt auch, weshalb die Kassen derart scharf auf «gute Risiken» sind.

WIE VIEL SOLIDARITÄT?

Was bedeutet das alles nun für Sie? Bleiben Sie bei Ihrer teuren Kasse, bleiben Sie «solidarisch» mit einer Gruppe Menschen, die im Durchschnitt höhere Gesundheitskosten verursacht als andere Gruppen. Wollen Sie sich diese «Solidarität» leisten? Können Sie sich diese «Solidarität» leisten? Sind Sie einverstanden mit einem Gesetz und einem Markt, der diese Unterschiede nicht in den Griff bekommt? Bei zwei- oder sogar dreifachem Nein wäre es konsequent, jetzt zu einer billigeren Kasse zu wechseln. Wie Sie das anstellen, lesen Sie gleich unten («So geht’s»).


Die Kasse wechseln So geht’s

Planen Sie auf 2019 den Kassenwechsel in der Grundversicherung? Sie ­haben bis Ende November Zeit dafür, warten aber besser nicht bis zum letzten Moment. So gehen Sie vor:

  1. Neue Kasse wählen.
    Prüfen Sie verschiedene Modelle (Hausarztmodell, Telemed usw.), entscheiden Sie sich für eine Franchise, und vergleichen Sie die Prämien der Anbieter. Vielleicht wechseln Sie zu einem ­anderen Modell, bleiben aber Ihrer Kasse treu. Teilen Sie ihr diesen Entscheid mit. Man wird Ihnen sagen, ob und welche Modellwechsel Sie schriftlich mitteilen müssen. Falls Sie die ­Kasse wechseln, fragen Sie Freunde oder Ihren Arzt nach Erfahrungen mit der Kasse Ihrer Wahl. Sind die Auskünfte zufriedenstellend und die konkrete Offerte der neuen Kasse korrekt, melden Sie sich an und lassen Sie sich die Aufnahme bestätigen. Vorbehalte ­wegen bestehender Krankheiten müssen Sie nicht fürchten, in der Grund­versicherung besteht ­Aufnahmezwang ohne ­Einschränkungen.
  2. Alte Kasse kündigen.
    Die eingeschriebene Kündigung muss spätestens ­­am letzten Arbeitstag im November bei der Kasse eintreffen. Bewahren Sie die Postquittung auf.

PS: Lassen Sie sich vom aggressiven Werben der Kassen – oft via Call­center – nicht unter Druck setzen. Und falls Sie einen Kassenvertreter zu Besuch haben: Unterschreiben Sie nie einen Vertrag, ohne einmal darüber geschlafen zu haben.

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