Nach Abstimmungs-Schlappe für SVP:
Hört die FDP den Schuss?

Die Stimmenden haben die SVP ­gechläpft, dass es chlöpft. Ob jetzt auch bei der FDP das Zwänzgi fällt – zum Beispiel beim Lohnschutz?

SIEG! (von links) Flavia Kleiner, Co-Präsidentin Operation Libero, Andrea Huber, Allianz der Zivilgesellschaft Schutzfaktor M, und Regula Rytz, Nationalrätin Grüne-BE. (Foto: Keystone)

Nur gerade 33,7 Prozent der Stimmenden sagten Ja zur Selbstbestimmungsinitiative (SBI) der SVP. Zum Vergleich: Die GSoA-Initiative für eine Schweiz ohne Armee kam vor 29 Jahren auf 35,6 Prozent Ja. Eine schmerzhafte Ohrfeige für die Bewegung, die seit Jahrzehnten so tut, als sei sie das Volk. Das Resultat ist ein grosser Erfolg für die breite Allianz, die sich gegen die brandgefährliche Initiative zusammengefunden hat.

33,7 Prozent sind gerade mal ein bisschen mehr als der Wähleranteil der SVP. Noch im Sommer hielt Milliardärin und SVP-National­rätin Magdalena Martullo-Blocher die SBI für «wichtiger als die Wahlen». Jetzt sagt SVP-Präsident Albert Rösti: «Es ist ein Erfolg, dass man dank der SVP so intensiv über die direkte Demokratie diskutiert hat.» Mal dies, mal das. Mal so und dann das Gegenteil. Plakate in Orange ohne Absender – Fake-News-Inserate auf der gekauften «20 Minuten»-Front. Am Anfang sammelte die SVP die Unterschriften noch gegen die Menschenrechtskonvention, die sie kündigen wollte wegen eines Bundesgerichtsurteils von 2012. Dann sagte sie plötzlich, ihre Initiative sei gar nicht gegen die Menschenrechtskonvention gerichtet. Und im Abstimmungskampf lag ihr plötzlich jener Lohnschutz der flankierenden Massnahmen am Herzen, den Martullo-Blocher Anfang Jahr noch angegriffen hatte (mehr zur SVP-Kampagne: rebrand.ly/verdreht).

Selbst die GSoA-Initia­tive
hatte mehr Ja-Stimmen als die SBI.

RÖSTI HAT LEIDER RECHT

Doch am Abstimmungssonntag redet Rösti nicht nur Verlierer-Prosa und erzählt nicht nur Kontrafaktisches. Er redet auch vom UN-Migrationspakt, gegen den die SVP einen Frontalangriff reitet. Dies, obwohl das Papier rechtlich nicht bindend ist und sich die Schweiz schon heute an die grosse Mehrheit der im Pakt vorgeschlagenen Massnahmen hält (was in der Vereinbarung steht – und was nicht: rebrand.ly/migrationspakt). Doch CVP und FDP beugten sich dem Druck der Blocher-Partei. Dazu SVP-Rösti: «Sie halfen mit, den Pakt mit überhasteten Kommissionsbeschlüssen zu stoppen. Das ist ein Erfolg für uns, weil es ein Ergebnis unserer Kampagne war.» Da hat Rösti recht. Leider! Nur deswegen steht die Schweiz jetzt an der Seite von Rechtsextremisten wie Le Pen, ­Orbán und Salvini, die ebenfalls Sturm laufen gegen das UN-Papier (mehr dazu: rebrand.ly/rieger). Wer weiss, vielleicht ermutigt das klare Nein zur SVP-Selbstbestimmungsinitiative FDP und CVP nun, künftig nicht mehr über jedes Stöcklein zu springen, dass die SVP ihnen hinhält. Vielleicht hilft auch ein Blick nordwärts. Dort sagt der nicht gerade als migrationspolitischer Kuschelbär bekannte CSU-Chef Horst Seehofer: «Wenn wir bei diesem Thema dem Druck der AfD nachgeben, gibt es das nächste Mal kein Halten mehr.»

GÖSSI GREIFT LOHNSCHUTZ AN

Wobei in Sachen Lernfähigkeit die FDP aktuell nicht gerade den fittesten Eindruck macht. Noch am Abend des SBI-Sieges griff FDP-Präsidentin Petra Gössi die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit an. Und ihr Aussenminister Ignazio Cassis will den Marktradikalen in der EU offensichtlich weiterhin den Schweizer Lohnschutz opfern: Meldefrist verkürzen, Kautionspflicht faktisch abschaffen, Lohndumpingkontrollen massiv zurückfahren (siehe auch Kolumne «Riegers Europa»). Dafür hatte er zwar kein Verhandlungsmandat, will das Geschäft am 30. November (nach Redaktionsschluss) trotzdem in den Bundesrat bringen. Dabei zeigen alle europapolitischen Abstimmungen: gegen die Abschotter von der SVP ist nur zu gewinnen, wenn die flankierenden Massnahmen stimmen.

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