Büezer heizen den Baumeistern ein:
Potz tuusig!

Lautstark, spektakulär und mit Humor demonstrierten in der ­ganzen Schweiz Bauarbeiter für mehr Lohn, für ihre Rente mit 60 und gegen Gratis-Überstunden. Kommen die Baumeister jetzt endlich zur Vernunft?

AUFWACHEN. Bauarbeiter betonieren dem Baumeisterverband einen Mega-Wecker vors Haus. (Foto: Unia)

Bern, 1. November: Polenta auf der SBB-Baustelle

Gegen Mittag sind sie alle da. Aus Bern, Biel und dem Oberland. Aus dem Emmental und dem Oberaargau. Hunderte Bauarbeiter, gutgelaunt und protestparat. Statt Baustellenlärm tönt Musik, aus den grossen Pfannen gibt’s Polenta mit Ragoût. Nicht irgendwo, sondern hinter dem Berner Hauptbahnhof. Auf der grossen SBB-Baustelle, dem momentan wichtigsten Infrastrukturprojekt der Schweiz. Dort, wo Büezer dafür arbeiten, dass der Zugverkehr für die Tausende Pendlerinnen und Pendler in Zukunft besser läuft. Ruckzuck ist die Baustelle frühmorgens zur Protestzentrale geworden. Breites Grinsen in den Gesichtern der SBB-Baustellen-Büezer. Rein in die Baracke, Kaffee machen. Dass das grosse Arbeiter-Happening bei ihnen stattfinden würde, war eine Überraschung, auch für sie.

RIESIGER WECKER. Rund 1000 Büezer aus dem ganzen Kanton ziehen schliesslich durch Bern. So viele, wie seit 2002 nicht mehr. Sie trommeln, trillern, tragen Plakätli – mit Blitzen für die Baumeister oder mit Herzen für die Rente mit 60.

Vor dem Kornhaus dann ein einziges Fahnenmeer, die Kirchenfeldbrücke in rotem Rauch. Vor kurzem haben Bauarbeiter sie saniert, in Tag- und Nachtschichten. Jetzt laufen sie darüber. Mit einem überdimensionalen roten Wecker im Gepäck in Richtung Baumeisterverband. «Endlich aufwachen!» symbolisch natürlich, damit auch der begreift: Ohne Büezer keine Bahnhöfe. Ohne Büezer keine Brücken. Ohne Büezer geht nichts. Basta! (pdi)


Lausanne, 5. November: Gschnätzlets & Reis am Genfersee

SPONTANES TÄNZCHEN. Gute Stimmung und ohrenbetäubender Lärm beim Bauarbeiter-Protest in Lausanne. (Foto: Unia)

Es ist noch Nacht am Genferseeufer, als die ersten Bauarbeiter aus den Bussen steigen. Aus dem ganzen Kanton Waadt sind sie nach Lausanne gereist. Im riesigen Festzelt trinken sie Kaffee, rauchen, spielen Karten. Die Ruhe vor dem Sturm. Es werden mehr und immer mehr. Der Waadtländer Unia-Bauchef Pietro Carobbio ruft der Menge zu: «Heute sind über 4000 Bauleute hier. 95 Prozent der Baustellen im Kanton Waadt sind stillgelegt!» Tosender Applaus.

Die Kollegen in der übrigen Westschweiz haben schon vorgelegt. Und wie! In Genf und Freiburg, in La Chaux-de-Fonds und Neuenburg, und ja, sogar in Sitten rollte im Oktober die Protestwelle. Nach dem Mittagessen – Gschnätzlets, Reis, Berliner zum Dessert – ziehen Tausende Arbeiter durch Lausanne. Sie skandieren: «50 heures, t’es taré, j’veux pas crever sur l’chantier», «50 Stunden, bist du verrückt, ich will nicht auf der Baustelle tot umfallen».

SPONTANE TANZEINLAGE. Bei der Bahnhofunterführung geben einige Büezer eine spontane Tanzeinlage. Beim Sitz des Baumeisterverbands werden sie ohrenbetäubend laut. Und dann, als Höhepunkt, mitten in der Stadt: die Besetzung der Chaudron-Brücke in ihrer gesamten Länge, eine Premiere in der Geschichte der gewerkschaftlichen Proteste. Doch die Waadtländer Bauleute sind noch nicht erschöpft: Eine grosse Delegation fährt am nächsten Tag nach Zürich. (ldu)


Zürich, 6. November: Gschnätzlets & Härdöpfelstock auf der Bahnhofbrücke

ÜBERRASCHUNG. Tausende Büezer essen zMittag mitten auf der Zürcher Bahnhofbrücke. (Foto: Unia)

Schon mal mitten auf der Zürcher Bahnhofbrücke einen Zmittag gegessen? Geht nicht? Doch: 4000 Bauarbeiter tun es. Zürich steht für zwei Stunden lang still, weil die Bauleute die Brücke besetzen. Das ist der bisherige Höhepunkt im Bauarbeiter-Protest. Eine logistische Glanzleistung: In Kürze stehen Absperrgitter, Bänke, Tische und die warme Küche da. Mitten auf der Strasse. Und auf einmal sind jene im Zentrum, die jeden Tag dafür chrampfen, dass unsere Infrastruktur funktioniert. Ein Protest­essen mit Gschnätzletem und Härd­öpfelstock. Es macht den gestressten Passantinnen und Passanten klar: Ohne die Bauleute geht gar nichts!

AN DEN STRAND. Gekommen sind sie von überall her, aus St. Gallen, Chur, Luzern usw. Mit Trommeln und Trillerpfeifen. Lautstark, unüberhörbar. Vom Lautsprecherwagen schallt eine klare Botschaft: «Liebe Zürcherinnen und Zürcher, wir bauen die Schweiz. Aber wir wollen nicht den ganzen Sommer nur chrampfen. Auch wir wollen an den Strand!» Deshalb müsse ein guter Landesmantelvertrag und eine sichere Rente mit 60 her. Eine fröhliche Bauarbeiterdelegation aus Genf, der Waadt und dem Tessin war auch dabei. Sie bringen Leben in die vornehme Bahnhofstrasse. Arbeiterleben statt Luxuskonsum. Nicht wenige Verkäuferinnen in den teuren Modegeschäften winken ihnen zu. Sie freuen sich, dass endlich etwas läuft. Und dann sagt der Speaker noch: «Uniti siamo forti! Falls nötig, legen wir nicht nur Zürich lahm, sondern die ganze Schweiz.» (rh)

Nach dem Bauarbeiterprotest: Werden die Baumeister jetzt vernünftig?­

Der Baumeisterverband holt bei seinen Delegierten ein neues Mandat. Er will den Landesmantel­vertrag verlängern. Bei Redaktionsschluss ist offen, ob die Delegierten zustimmen. Offen ist auch die Lohnerhöhung. Im Sommer wollten die Baumeister noch 150 Franken bezahlen, nach vier Jahren Lohnstillstand trotz Bauboom. In der letzten Verhandlungsrunde Anfang November sollte es aber plötzlich viel weniger sein. Unia-Bauchef Nico Lutz: «Das ist ein Versuch, die Reallöhne zu senken.» Er rechnet vor: Die Bau­arbeiter zahlen für die Sicherung der Frührente in zwei Schritten durchschnittlich 20 Franken pro Monat. Allein die Teuerung beträgt 1 Prozent pro Jahr. Das macht beim Durchschnittslohn fast 60 Franken pro Monat aus. Die Forderung der Gewerkschaften von je 100 Franken für die nächsten beiden Jahre würde neben der Teuerung und den Mehrkosten für die Rente 60 eine Reallohn­erhöhung von 20 Franken bedeuten. Ende November ist der nächste Verhandlungs­termin.

GANZ EINFACH. Unia-Bauchef-Lutz: «Die Lösung liegt auf dem Tisch: Die Bauarbeiter bezahlen die Frührente, erhalten im Gegenzug eine Reallohn­erhöhung, und der Bauvertrag LMV wird verlängert.» So einfach wäre das. (rh)

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