Good News: Fastfood-, Privatpflege- und Flughafenangestellte in New York erhalten jetzt einen Mindestlohn von 15 Dollar. Das ist doppelt so viel wie der nationale Mindestlohn.
PROTEST IN ROT UND DOLLAR-GRÜN: Eine Fastfood-Angestellte demonstriert in New York für den 15-Dollar-Mindestlohn. (Foto: Getty)
Welch turbulenter Jahresanfang für Millionen von Lohnabhängigen in den USA! Hunderttausende von Staatsangestellten in Washington DC und im ganzen Land erhalten zurzeit gar keinen Lohn. Weil Präsident Trump einen Teil der Regierungsgeschäfte stillgelegt hat, um seine mittelalterliche Mauer an der Grenze zu Mexiko zu ertrotzen. Derweil freuen sich in New York rund eine Million Beschäftigte im Fastfoodbereich, in der privaten Pflege oder am Flughafen über deutlich höhere Löhne. Denn der gesetzliche Mindestlohn ist hier soeben auf 15 Dollar pro Stunde erhöht worden. Das ist doppelt so viel wie vor fünf Jahren und fast dreimal so viel wie zu Beginn des Jahrtausends.
KAUFKRAFT SINKT
Die Erfolgsgeschichte begann im November 2012, als in New York City ein paar Dutzend Fastfood-Angestellte auf die Strasse gingen, um existenzsichernde Löhne und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung einzufordern (work berichtete). Unter dem Schlagwort «Kämpft für 15 Dollar» breitete sich der Arbeitskampf rasch und wirksam in andere Städte und US-Bundesstaaten aus. Heute gebe es «Fight for $15»-Ableger in über 300 Städten auf sechs Kontinenten, sagen die Initianten der ersten Stunde stolz.
Zu Beginn wurde die Mindestlohnbewegung mit ihrer «überrissenen» Forderung nicht bloss von Arbeitgeberseite belächelt. Auch linke und gewerkschaftsnahe Kreise gaben dem «unrealistischen» Vorhaben kaum eine Chance. Doch die Aktivistinnen und Aktivisten blieben bei ihrer Forderung. Denn der Mindestlohn von 15 Dollar war keine von Experten errechnete Zahl. Die Lohnabhängigen selbst sagten, so viel brauchten sie zum Leben. Der nationale Mindestlohn in den USA garantiert nicht einmal die Hälfte dieser Lebenskosten. Er beträgt 7 Dollar 25 und ist seit 2009 nicht mehr erhöht worden. Inflationsbereinigt ist die Kaufkraft der am schlechtesten entlöhnten Arbeitskräfte in den letzten fünf Jahrzehnten um vierzig Prozent gefallen. Höchste Zeit also für eine Kurskorrektur.
Der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist auch ein Kampf gegen Rassismus und Sexismus.
BEWEGUNG VON UNTEN
Zumindest für die linkere der beiden US-amerikanischen Grossparteien, die Demokraten, ist die Mindestlohndebatte zu einem wichtigen politischen Tagesgeschäft geworden. Entschlossen stellt sich nun auch die neugewählte demokratische Mehrheitsführerin Nancy Pelosi hinter «Fight for $15». Denn das Anliegen betrifft einen Teil ihrer eigenen Basis ganz direkt. Zudem hat eine Erhöhung des Minimaleinkommens angesichts der in den USA zurzeit grossen Nachfrage nach Arbeitskräften gute Aussichten auf Erfolg.
Dass die Situation der Working Poor, der verarmten Werktätigen, heute so sehr im Zentrum steht, ist allerdings nicht in erster Linie das Verdienst von Partei- und Gewerkschaftsspitzen. Der «Fight for $15» wurde von unten her aufgebaut. Weit und breit gab es keinen Gesamtarbeitsvertrag, über den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter hätten verhandeln können. Trotzdem mischten sich einzelne Gewerkschaften, vor allem die grosse, dynamische Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, tatkräftig in die Mindestlohndebatte ein. Zusammen mit Community Organizers (mit Leuten, die in den Quartieren politische Bildungsarbeit leisten) und mit sozial engagierten Pfarrern unterstützten SEIU-Gewerkschaftsfunktionäre in New York und anderen Städten Menschen, die an den äussersten Rand der Wirtschaft und Gesellschaft gedrängt worden waren.
FRAUEN PROFITIEREN
Es sind vor allem ethnische Minderheiten und Frauen, die im Mindestlohnbereich arbeiten und auf jeden Dollar angewiesen sind. Die «Fight for $15»-Bewegung fordert mehr Respekt für diese geringgeschätzte Arbeit. Und auch für die arbeitende Person. Letzten Herbst, genau sechs Jahre nach dem ersten Fastfood-Protest in New York City, streikten Tausende von McDonald’s-Angestellten in zehn US-Städten wegen sexueller Übergriffe am Arbeitsplatz. Der Auftritt erinnerte zu Recht an die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre. Denn der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist immer auch auch ein Kampf gegen Rassismus und Sexismus.
USA: Flickenteppich Mindestlohn
29 der 50 US-Bundesstaaten haben bereits heute einen gesetzlichen Mindestlohn, der über der mickrigen nationalen Vorgabe von 7 Dollar 25 in der Stunde liegt. Etwa zwei Dutzend Staaten planen eine (weitere) Erhöhung des Mindestlohns für 2019. Vielerorts wurden solche Verbesserungen durch Volksabstimmungen erzwungen.
SANDERS KÄMPFT. Acht Bundesstaaten und dreizehn Städte haben den Mindestlohn von 15 Dollar in der Stunde bereits eingeführt. Schätzungsweise 10 Millionen Beschäftigte in den USA sind zurzeit auf dem ziemlich schleppenden Weg dahin. Senator Bernie Sanders’ Gesetzesvorlage sieht vor, den 15-Dollar-Mindestlohn bis in fünf Jahren landesweit einzuführen und an die Inflation anzupassen. Davon würden 40 Millionen Arbeitskräfte oder 25 Prozent aller Beschäftigten in den USA profitieren.
AMAZON HANDELT. Der Onlinehändler Amazon hat schon letzten Herbst den 15-Dollar-Mindestlohn für alle Mitarbeitenden in den USA eingeführt. Mehr Grosskonzerne – von der Warenhauskette Target bis zu Disney World – ziehen nach. Imagepflege? Das auch. Vor allem aber streiten sich die US-Firmen um die knapper werdenden Arbeitskräfte.