Ständig auf Zack und doch immer freundlich: work hat den Päcklikurier José de Sousa * auf seiner Tour begleitet.
ARBEITSORT STRASSE. Päcklikuriere sind bei jedem Wetter acht bis elf Stunden unterwegs. (Symbolbild: Keystone)
Morgens kurz nach neun, irgendwo in der Schweiz. Zackig rollt José de Sousa den Handkarren mit zwei grossen Paketen drauf zum Lift. Dritter Stock. «Grüezi, UPS, Päckli», ruft er fröhlich ins Büro. Stellt die Pakete hin, lässt auf dem Scanner unterschreiben, zurück zum braunen Lieferwagen. Es ist sein erster Stop an diesem Tag. Kurz nach acht war er wie jeden Tag im Verteilzentrum. Zuerst ein Briefing durch den Chef. Dann rein ins Fahrzeug mit dem braun-gelben UPS-Logo und los ins Verteilgebiet.
Stop 8, 9 Uhr 57, eine Bank. De Sousa fährt durchs Schiebetor, drückt einen Knopf. Hinter ihm schliesst es sich wieder. Erst jetzt öffnet sich vorne eine Tür, ein Mitarbeiter der Bank nimmt das kleine, aber schwere Paket in Empfang. De Sousa sagt später im Wagen: «Wahrscheinlich war da Gold drin.» Unterwegs öffnet er ein Red Bull, beginnt zu erzählen. 4380 Franken brutto ist der Einstiegslohn für einen UPS-Kurier. Eigentlich gefalle ihm der Job, sagt er: «Kein Chef, der mich ständig kontrolliert.» Und doch ist er ständig überwacht: Jedes Fahrzeug hat einen GPS-Sender. UPS weiss immer, wo José gerade ist und wie schnell er fährt.
Stop 11, 10 Uhr 12, ein Industriebetrieb. De Sousa legt das Paket auf einen Rollwagen. «Nicht hierhin, du Mafioso!» schimpft der Magaziner, ein Italiener, im Spass. Die beiden kennen sich, de Sousa fährt oft diese Tour, schon seit mehr als fünf Jahren.
Stop 13, 10 Uhr 18, der letzte Express. Bis halb elf müssen die abgeliefert sein. «Jetzt bin ich frei.» Langsamer wird er deswegen nicht.
Stop 21, 11 Uhr 03, ein Miethaus. Er sucht den Briefkasten, legt ein kleines Paket hinein. «Medication» steht darauf. «Viagra», sagt de Sousa mit Kennerblick. «Immer am Freitag und Samstag gibt es viele solche Pakete.»
«Die fahren im Zivilauto hinter dir her und schauen, ob du alle Regeln einhältst.»
Stop 32, punkt 12 Uhr mittags. «Das ist gut», sagt de Sousa. Bis am Mittag will er 30 Stops machen. Sonst reicht es nicht bis am Abend. Er fährt rückwärts vom Parkplatz weg. «Wenn jetzt etwas passiert, bekomme ich sofort die Kündigung.» Rückwärtsfahren ist verboten. Eine von über 50 Regeln, die jeder UPS-Kurier auswendig kennen muss. Sie heissen etwa: jeden Tag frisch rasiert. Oder: nicht die Fahrertür öffnen, sondern immer hinten zur Schiebetür raus. Oder: vor dem Aussteigen das Paket auf den Boden des Fahrzeugs legen, dann aussteigen und das Paket wieder in die Hand nehmen. Das macht kein Mensch. Aber die Regel gilt.
Wer die Regeln missachtet, fliegt. «Jedes Jahr bekommen drei, vier Kollegen die Kündigung, weil sie einen Unfall verursacht haben», sagt de Sousa. Oder weil sie bei einer Kontrolle zu viele Fehler gemacht haben. Kontrolle? «Die fahren im Zivilauto hinter dir her und schauen, ob du alle Regeln einhältst.»
12 Uhr 30, Mittagspause. Im Coop-Restaurant kauft de Sousa einen Kebab, dazu eine Cola. In der kleinen Dose, damit er später keine WC-Pause machen muss. Eine halbe Stunde, dann ist die Pause vorbei.
Stop 46, 14 Uhr 05, eine Arztpraxis. «Wie war der Name?» fragt er die Frau am Empfang. Im Weggehen tippt er den Namen in den Scanner. Auch das ist eine Regel. Falls jemand später behauptet, das Paket sei nie angekommen.
Stop 51, 14 Uhr 27, zwei Nachnahmepakete für Frau B. Sie bat darum, dass der Kurier 10 Minuten vorher anrufe. Was de Sousa tat. Trotzdem ist Frau B. nicht daheim. Er muss die Pakete wieder zurückschleppen. Ohne Geld keine Lieferung. Bei Stop 57 ruft sie zurück. De Sousa sagt: «Sorry, ich bin schon weg.» Aber er will nicht so sein: «Geben Sie am Abend Bescheid, wenn Sie zu Hause sind.»
Stop 72, 16 Uhr 42, es dämmert bereits. Normalerweise arbeitet de Sousa bis etwa sieben Uhr. Immerhin: Für Überstunden gibt’s 25 Prozent mehr Lohn. Aber das mit den Ferien sei nicht gut, sagt de Sousa. In all den Jahren konnte er noch nie zusammen mit der Familie Ferien machen. «Sondern nur dann, wenn es der Chef will.»
Stop 77, kurz vor fünf, José de Sousa rennt noch immer. Zackig die Treppe hoch in den ersten Stock. Rein in die Textilfirma, das grosse Couvert zum Abholen liegt bereit, er schnappt es und kehrt um. Im Runtergehen tippt er die Angaben in den Scanner, springt ins Auto. Knapp anderthalb Minuten war er in dem Gebäude. Das Handy piepst. Ein SMS von Frau B. De Sousa fährt hin, bringt ihr die Pakete in den dritten Stock. Frau B. gibt ihm 20 Franken. «In so einem Fall geben sie meistens Trinkgeld», sagt de Sousa.
Stop 88, 18 Uhr 03. Das letzte Päckli für heute. Jetzt muss er nur noch zurück ins Verteilzentrum. Und José de Sousa geht zum ersten Mal aufs WC.
* Name geändert
Kurierdienste: DPD steht für Druck, Profit & Dumping
Zeitdruck, lange Arbeitstage, Unfallrisiko: Die Arbeit in der Kurierbranche ist hart. Wer für UPS oder Fedex fährt, hat immerhin einen regulären Arbeitsvertrag. Noch schlechter gestellt sind die rund 900 Fahrerinnen und Fahrer von DPD, laut eigenen Angaben der grösste private Päcklidienst der Schweiz: Sie sind alle von Subunternehmen angestellt, oft zu Dumpinglöhnen.
GRATISARBEIT. Ein DPD-Kurier sagt zu work: «Mein Lohn ist 3500 Franken im Monat. Dafür arbeite ich zehn bis elf Stunden pro Tag, die Überstunden werden nicht bezahlt.» Mindestens hundert Stops müsse er jeden Tag absolvieren, so der Fahrer. work weiss: Auch DHL stellt Fahrerinnen und Fahrer via Subunternehmen an. Einer Bitte um nähere Angaben kam die Tochterfirma der Deutschen Post nicht nach.