Oberste Bäuerin der Schweiz fordert endlich Gleichstellung im Stall:
«Beim Frauenstreik bin ich auf jeden Fall dabei!»

Bauernfrauen chrampfen den ganzen Tag, meist ohne Lohn und Sozialversicherungen. Das muss sich ändern, sagt die Präsidentin der Landfrauen, Christine Bühler.

CHRISTINE BÜHLER: Mit Kälblein Mésange in ihrem Stall in Tavannes BE. (Foto: Stöh Grünig)

work: Frau Bühler, kürzlich hat eine Bäuerin im «Tages-Anzeiger» erzählt, dass sie nur bei ihrem Mann bleibe, weil sie sich die Scheidung nicht leisten könne. Ein Einzelfall?
Christine Bühler: Scheidungen kommen in Bauern­familien heute eigentlich fast gleich oft vor wie bei ­anderen Berufsgruppen. Etwa jede dritte Ehe geht aus­einander. Aber für eine Bauernfrau sind die finanziellen Auswirkungen oft schlimmer. Bei einer Trennung steht sie vor dem Nichts. Sie hat den Anschluss an ihren Erstberuf verloren, kein Vermögen und kein Zuhause mehr. Manche müssen Sozialhilfe beantragen.

Oberste Bäuerin: Christine Bühler

Christine Bühler (59) ist seit 2011 Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes. Zusammen mit ihrem Mann führt sie einen Hof in Tavannes BE. Das Ehepaar hält 7500 Hühner und 26 Kühe. Christine Bühler ist Mitbewirtschafterin und verantwortet die Pouletmast. Das Betriebseinkommen teilen die Bühlers Ende Jahr untereinander auf.

Wie kann das sein? Diese Frauen sind doch Teil des Betriebs.
Ja, aber der gehört ihnen nicht. In der Landwirtschaft ist es so, dass es nur einen Besitzer geben kann. Und das ist meistens der Mann. Das ganze Vermögen ist damit in seinen Händen, und dort bleibt es auch bei einer Scheidung. Das hat mit dem bäuerlichen Bodenrecht zu tun. Das wollen wir Landfrauen nicht in Frage stellen, weil es auch Vorteile hat, zum Beispiel für unsere Kinder. Das Hauptproblem ist aber sowieso ein anderes. Nämlich, dass die Frauen, die auf dem Hof mitarbeiten, keinen Lohn bekommen.

Sie machen ihre ganze Arbeit gratis?
Die meisten, ja. Über die Hälfte der Bauernfrauen verdienen nichts. Das ist absolut stossend! Eine Arbeitszeiterhebung des Bunds zeigt, dass Bauernfrauen im Schnitt 63 Stunden in der Woche arbeiten. Den Haushalt erledigen sie am Samstag und Sonntag, wie alle anderen auch. Die Bauernfrauen machen auf dem Hof nicht nur ‹ein bisschen den Garten›. Sie machen die Administration, sie arbeiten auf dem Betrieb mit und sind überall einsetzbar. Dafür sehen viele keinen Rappen. Im Gegenteil, da heisst es sogar: Ihr habt ja Kost und Logis, was wollt ihr mehr?

Sie meinen: Den Frauen wird gesagt, sie sollten doch froh sein, dass sie in ihrem eigenen Zuhause essen und schlafen dürfen?
Ja, ich habe diesen Satz schon so oft gehört. Sogar von Richtern bei Scheidungsfällen. Da frage ich mich schon: Sind die sich eigentlich bewusst, was sie da gerade sagen?

Wie sieht es mit der Rente aus?
Drei Viertel der Frauen sind nicht sozialversichert. Ohne Lohn und Arbeitsvertrag gelten sie als Nicht­erwerbstätige. Dadurch haben sie im Alter nur die AHV und auch dort meist das Minimum. Seit den 1990er Jahren gibt es dank dem Rentensplitting auch einen Teil der Altersvorsorge des Ehegatten dazu, entweder beim Renteneintritt oder bei einer Scheidung. Das war ein wichtiger Schritt. Aber die riesige Beitragslücke bleibt trotzdem. Gar nichts an sozialer Absicherung bekommt die Bäuerin, wenn sie schwanger wird. Als Nichterwerbstätige hat sie kein Recht auf Mutterschaftsversicherung. Und wenn sie den Hof verlassen muss, kann sie nicht aufs RAV. Deshalb müssen die Frauen endlich bezahlt und sozialversichert sein.

«Die Männer befürchten einen Machtverlust.»

Wie reagieren die Männer auf diese Forderung?
Zuerst wurde gesagt: Ja ja, selbstverständlich, unsere Frauen sind die Besten, und ohne die läuft nichts. Dann kam die Phase, in der versucht wurde, uns und unsere Forderungen lächerlich zu machen. Jetzt ist der Ton rauer geworden. Da heisst es: Das geht nicht, das ist viel zu teuer! Wenn es um ihre eigenen Löhne geht, habe ich dieses Argument aber noch nie gehört. Und rein finanziell gesehen, würden sich die Löhne für die Frauen auch für die Männer lohnen. Denn: Wenn das Betriebseinkommen auf zwei Personen aufgeteilt wird, schlägt sich das in der Steuerprogression nieder. Bei der freiwilligen Altersvorsorge ist es ähnlich. Der Betrieb könnte dadurch eigentlich sehr viel Steuern sparen.

Trotzdem stellen die Männer auf Durchzug. Fühlen sie sich bedroht?
Ich denke, ja. Sie leben in diesem System, in dem die Frauen gerade so viel bekommen, wie es die Männer dünkt, das sei gut so. Auf diese Weise behalten sie natürlich die Macht. Es ist ein Machtverlust, den sie befürchten.

Wie viel haben die Frauen im Bauernverband eigentlich zu sagen?
Wir haben 2 von insgesamt 23 Sitzen im Vorstand und ich bin im Vizepräsidium. Dafür gesorgt hat ganz klar der öffentliche Druck in den vergangenen Jahren. Auch der Bauernverband will nicht mehr als total konservativ dastehen. Aber es ist typisch: Es wird nur gerade so viel gemacht, wie unbedingt sein muss. Allerdings denke ich auch, dass uns mehr Vorstandssitze im Moment nicht weiterhelfen würden.

Sondern?
Das Gesetz. Der Bundesrat plant, dass alle Beiträge an die Bauern künftig daran geknüpft werden sollen, dass der Ehepartner und die Ehepartnerin sozial abgesichert sind. Wir Landfrauen haben zwar einen Gegenvorschlag gemacht, grundsätzlich ist das aber genau die Stossrichtung, die wir wollen. Also: dass die Sozialversicherungspflicht jetzt im Gesetz verankert wird. Solange das freiwillig ist, passiert nämlich nichts. Das haben wir jetzt lange genug gesehen. Und wichtig: Frauen müssen solidarisch sein. Es ist wichtig, dass wir zusammenstehen. Dass wir Landfrauen uns neben andere Frauen stellen und sagen: Ja, wir helfen mit, ihr braucht Lohngleichheit. Und wir brauchen eure Unterstützung, um überhaupt etwas zu bekommen.

Am 14. Juni werden sich Frauen in der ganzen Schweiz für den zweiten Frauenstreik zusammentun. Sind die Landfrauen auch dabei?
Das wird im Frühling entschieden. Ich werde im April als Präsidentin der Landfrauen zurücktreten. Ich hoffe aber, dass die neue Crew dort mitmacht. Ich persönlich werde am Frauenstreik dabei sein, auf jeden Fall!


Lohndiskriminierung: Frauen werden um Milliarden betrogen

Jedes Jahr Luxusferien auf den Seychellen, das könnten sich alle Frauen leisten, wenn mit der Lohndiskriminierung endlich Schluss wäre. Das zeigen ­Exklusivberechnungen des ­Büros für arbeits- und sozial­politische Studien (BASS) im Auftrag von work. Jede erwerbs­tätige Frau wird im Schnitt pro Monat um 590 Franken geprellt. Auf ein ganzes Erwerbsleben hochgerechnet sind das 303’000 Franken Lohnklau.

Und pikant: Wie die neuen Zahlen des Bundes zeigen, ist es sogar noch mehr! Volle 657 Franken pro Monat verdient eine Berufsfrau in der Privat­wirtschaft weniger. Schlicht und einfach, weil sie eine Frau ist und kein Mann. Das sind ganze 57 Prozent Lohnunterschied, die nicht mit Ausbildung, ­Erfahrung oder Verantwortung erklärbar sind. Sondern rein durch Diskriminierung.

GRATISARBEIT. Insgesamt beträgt dieser Lohnbschiss an den Frauen über 10 Milliarden Franken. Jedes Jahr! Geld, das sie brauchen würden. Denn: Nach wie vor übernehmen sie drei Viertel aller Jobs im Tieflohnsektor (unter 4000 Franken), während sie bei Spitzenposten anstehen. Nicht einmal 20 Prozent Frauen schaffen es in die obersten Kader. In der Regel gilt noch heute: Dort, wo das Geld ist, sitzen vor allem Männer.

Das heisst auch: Haus- und ­Betreuungsarbeit bleibt noch immer mit zwei Dritteln an den Frauen hängen. 2016 hatte ­diese Arbeit einen Gesamtwert von 408 Milliarden Franken. Eine astronomische Summe an Gratisarbeit, von der auch die Wirtschaft profitiert. Just ihre Vertreter im Bundeshaus haben vergangenes Jahr ­erfolgreich mehr Gleichstellung verhindert.

MINI-GESETZ. Vor allem SVP- und FDP-Politiker stemmten sich gegen die Verschärfung von Lohnkotrollen. Jetzt gibt es nur Mini-Mass­nahmen: alle vier ­Jahre eine Lohnanalyse bei ­Unternehmen ab 100 Angestellten. Ohne Sanktionen und befristet auf 12 Jahre.

Und der Milliarden-Bschiss geht weiter. Deshalb nehmen die Frauen die Dinge jetzt selber an die Hand. Am 14. Juni streiken die Frauen für mehr Lohn, mehr Zeit und mehr Respekt.

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