Frankreich streitet: Sind die Gilets jaunes eine Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie oder doch nur ein Haufen wütender Kleinbürger mit rechtsextremer Schlagseite? Es ist die falsche Frage.
GELBWESTEN MIT PAROLEN: «Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Es lebe der Streik!» (Foto: Keystone)
Eine kleine Gruppe von Neofaschisten und Ultrakatholiken, mit gelben Westen behängt, sang am vergangenen 22. Dezember vor der Sacré-Cœur in Paris ein antisemitisches Lied. Samt Faschistengruss.
Das freute Innenminister Christophe Castaner, denn seit die Revolte begann, versucht er, die Gilets jaunes in die ultrarechte Ecke zu stellen. Es ist das Kalkül seines Präsidenten Emmanuel Macron, die politische Auseinandersetzung in Frankreich auf die Frage zu reduzieren: ich oder der Faschismus? So hat er die Wahlen 2017 gewonnen, so hofft er die Europawahl im Mai und die nächste Präsidentenwahl 2022 für sich zu entscheiden. Gemessen an seiner antisozialen Politik, hat er eigentlich keine Chance, seine Umfragewerte sind im Loch. Darum hat der «Präsident der Superreichen» alles Interesse, den Konflikt mit den Gelbwesten zu befeuern. Das erklärt auch seine ständigen sadistischen Ausfälle. Wie, als er vor wenigen Tagen sagte, viele Arbeitslose würden nur Mist bauen, und sie hätten verlernt, sich anzustrengen. Solche Aussagen gefallen Frankreichs Eliten. Sie verachten und fürchten die unteren Schichten.
Um Macron zu fällen, würden manche Le Pen in Kauf nehmen.
LINKS, RECHTS UND GRÜN
Am Wochenende des 26. Januar stellten in Marseille die Gewerkschaften CGT und Solidaires zusammen mit der linken Bewegung «France insoumise» von Jean-Luc Mélenchon den Hauptharst an der Demo der Gelbwesten. Anderswo waren die Militanten der Klimakampagne stark vertreten, in Westfrankreich sind die «Zadistes» besonders rührig, die den Flughafen Notre-Dames-des-Landes bei Nantes verhindert hatten. In Paris prügelten sich antikapitalistische Gelbwesten mit rechtsextremen Gelbwesten.
Derweil hielten in Commercy, unweit von Belfort und Basel, 40 Ortsgruppen der Gelbwesten eine erste nationale Vollversammlung ab. Die Leute aus Commercy hatten eingeladen, von ihnen stammte auch der erste Forderungskatalog im November 2018. Er war eine klare Absage an den Neoliberalismus von Macron.
Die Vollversammlung der Vollversammlungen, die basisdemokratisch organisiert war (alle sprechen, jede Meinung gilt, man entscheidet im Konsens, kommuniziert wird gemeinsam), beschloss, sich von allen Parteien fernzuhalten. Wie geht all das bloss zusammen? Sind die neuen Gelben nun rot oder braun?
Das wollten auch Soziologen wissen. Das Resultat war erstaunlich. Grob gesagt: Eine relative Mehrheit der Gelbwesten denkt links, würde heute aber am ehesten Marine Le Pen vom rechsextremen Rassemblement national RN, früher Front national, wählen. Wie kommt das? Spielte doch Le Pens Thema «Immigration» bei den Gelbwesten bisher kaum eine Rolle (erst Macron hat es in Spiel gebracht, in der von ihm angezettelten «grossen nationalen Debatte»).
Gewerkschaft CGT arbeitet
auf Annäherung mit den Gelbwesten hin.
ENTSCHIEDEN IST NICHTS
Präsident Macron hat es geschafft, französische Politik allein auf seine Person zu reduzieren. Der Protest der Gilets jaunes richtet sich deshalb gegen ihn und nur gegen ihn. Um Macron zu fällen, würden manche Le Pen in Kauf nehmen. Damit stehen sie im Einklang mit einer wachsenden Grundstimmung im Land.
Kommt dazu: Von den anderen Parteien versprechen sich die Gelbwesten nicht viel. Die SP ringt in Frankreich um ihr Überleben und hat sich, ganz Partei der oberen Mittelschicht, gegen die Gelbwesten gestellt. Die Bürgerlichen «Républicains» unterscheiden sich kaum von Marine Le Pens Partei, rufen aber nach einem harten Durchgreifen gegen die Demos. Und Jean-Luc Mélenchons linke «France insoumise», die auch etliche Militante der Westen stellt, konnte sich bisher nicht durchsetzen.
In den Forderungskatalogen der Gelben, das fällt auf, ist von Kaufkraft und sozialer Sicherheit die Rede, aber nirgends von Löhnen oder Kritik an den Arbeitgebern und Aktionären, für die Macron arbeitet. Stattdessen rufen die Aufrührer: «Macron démission!»
Nur, entschieden ist nichts. Die Revolte hat einen starken Antrieb, aber sie strukturiert sich gerade erst. Einige haben eine Partei gegründet. Das dient letztlich Macron, denn es spaltet die Opposition. Doch eine starke Fraktion der Gilets jaunes neigt zu autonomer Organisation ausserhalb des klassichen Politsystems und verweigert Macrons «grosse nationale Debatte», die keine ist.
Doch hier öffnet sich ein Fenster. Die Gewerkschaften CGT und Sud-Solidaire arbeiten auf eine Annäherung mit den Gelben und den Klimaaktivisten hin. Für den 5. Februar rufen sie zum Generalstreik auf. Von den Gelbwesten aus Commercy kam dazu der Vorschlag, den Generalstreik gleich unbefristet anzusetzen.