Die Prämienverbilligungen sollten das Schlimmste verhindern. Doch die Kantone sabotieren das. Jetzt hat das Bundesgericht eingegriffen.
(Quelle: SGB)
In der Schweiz ist die Krankenkasse über sogenannte Kopfprämien finanziert. Das bedeutet: Alle bezahlen in ihrer Prämienregion gleich viel für die Grundversicherung – der Millionär und die Verkäuferin. Das ist unfair und unsozial. Um diese Ungerechtigkeit wenigstens ein bisschen zu mildern, gibt es Prämienverbilligungen. 1991 gab der Bundesrat in der Abstimmungsbotschaft zum Krankenversicherungsgesetz (KVG) das Ziel vor: Die Prämien sollten nicht mehr als 8 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen.
Davon kann schon längst keine Rede mehr sein. Die durchschnittliche Belastung der Haushalte durch die Krankenkassenprämien liegt unterdessen bei über 14 Prozent, viele Haushalte müssen gar bis 20 Prozent bezahlen. Denn während die Prämien stark stiegen, froren viele Kantone ihre Beiträge an die Prämienverbilligungen ein oder senkten sie sogar. Darum bekommen heute immer weniger Menschen Prämienverbilligungen (siehe Grafik 1). Und ein immer kleinerer Teil der Prämienzahlungen der Haushalte stammt aus Verbilligungen (siehe Grafik 2).
(Quelle: Bundesamt für Gesundheit)
(Quelle: Bundesamt für Gesundheit)
RADIKALE KÜRZUNGEN
Besonders dreist trieb es der Kanton Luzern. Die bürgerlichen Regierungs- und Parlamentsmehrheiten senkten die Unternehmenssteuern und stopften das dabei entstandene Riesenloch in der Staatskasse unter anderem auch mit der radikalen Kürzung der Prämienverbilligung. 8000 Familien mussten bereits ausbezahlte Prämienverbilligungen zurückbezahlen. Auf Beschwerde der SP stoppte das Bundesgericht am 22. Januar 2019 diese Sauerei und stellte klar: Die Kantone haben sich am Medianlohn* auszurichten, was die Definition der «unteren und mittleren Einkommen» betrifft, und dürfen nicht freihändig eine Summe festlegen. Das Urteil hat auch für andere Kantone Folgen. Denn aktuell verletzten neben Luzern mindestens auch die Kantone Aargau, Bern, Glarus, Neuenburg, Wallis und die beiden Appenzell die bundesgerichtlichen Vorgaben. Die SP hat bereits angekündigt, auch diese zu verklagen, wenn die Kantone diesen Missstand nicht umgehend angingen.
Ein paar Zahlen und Fakten, die zeigen, dass nicht die Versicherten die Kassen kranken lassen:
- Nur in Schweden gehen die Menschen noch weniger zum Arzt oder zur Ärztin als in der Schweiz.
- In keinem Industrieland müssen die Menschen mehr an ihre Gesundheitskosten aus dem eigenen Sack bezahlen als in der Schweiz.
- 2017 kassierten die Krankenkassen in der Grundversicherung 30,3 Milliarden Prämienfranken, rund 1,5 Milliarden mehr als im Jahr davor.
- 1 Prämienprozent entspricht 300 Millionen Franken.
- Von ihren Prämieneinnahmen in der Grundversicherung gaben die Kassen im Durchschnitt 5,1 Prozent für die Verwaltung aus. Das sind rund 1,5 Milliarden Franken. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) definiert «Verwaltungsaufwand» als gesamten Betriebsaufwand. Dazu gehören Personalkosten, Provisionen und Werbung.
- Viele Krankenkassen-Chefs verdienen mehr als eine Bundesrätin. 2017 waren an der Abzockerspitze: Assura-Chef Ruedi Bodenmann mit 780 690 Franken und CSS-Chefin Philomena Colatrella mit 743’766 Franken.
- Makler kassierten für die Vermittlung von Grund- und Zusatzversicherungen nach Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit und Schätzungen des Internetvergleichsdienstes Moneyland mehr als eine halbe Milliarde Franken im Jahr.
- Die Gelder für die Prämienverbilligungen sind zum Spielball rechter Kantonsparlamente geworden. Elf Kantone geben heute für Prämienverbilligungen weniger Geld aus als noch vor 10 Jahren – obwohl die Bevölkerung gewachsen ist und die Prämien explodierten.
- Die Schweiz ist in Europa fast das einzige Land, dessen Grundversicherung nicht in erster Linie über Steuern oder über Lohnbeiträge finanziert wird.
* Die Hälfte der Haushaltseinkommen liegen über diesem Wert, die Hälfte darunter.