29 Jahre chrampfte Roland Kessler als Baggerfahrer. Jetzt tauscht er den Bagger gegen seinen Töff ein – und braust davon.
ADIEU ZÄME! Nach 29 Jahren auf dem Bagger geht Roland Kessler mit 60 in Pension. (Foto: Franziska Scheidegger)
Wenn er übers Töfffahren spricht, beginnen seine Augen zu leuchten: «Am Sonntagmorgen über den Col des Mosses kurven, es gibt nichts Schöneres», sagt der Sensler aus Plaffeien FR. Die Kraft der Maschine! Die Geschwindigkeit! «Vor allem in der Kurve. Auf der Geraden bringt’s ja nichts.» Schon seit der Jugend ist das Töfffahren Roland Kesslers Leidenschaft.
Und jetzt geht’s erst richtig los mit der Yamaha. 29 Jahre lang chrampfte der Baggerfahrer auf den Baustellen, jetzt geht er mit 60 in Rente. Dank der frühzeitigen Pensionierung auf dem Bau (siehe unten). Unia-Mitglied Kessler ist just der 20’000., der von dieser historischen Errungenschaft profitieren kann.
«Es gibt nichts Schöneres, als über den Col des Mosses zu kurven.»
DIE GROSSEN MASCHINEN
Roland Kessler ist ein Bauernsohn, er macht zuerst die Landwirtschaftsschule. Und schon dort faszinieren ihn die Maschinen. Er sagt: «Ehrlich gesagt, mehr als die Tiere.» Nach der Stifti arbeitet er drum als Mähdrescherfahrer. Und wechselt dann zu einer Gartenbaufirma als Baggerfahrer, wo er aber nur auf kleinen Baustellen arbeitet. «Das war mir zu wenig anspruchsvoll», sagt er. Er wollte richtig baggern. Mit grossen Maschinen. Und wechselt zur Freiburger Baufirma Brodard. Wo er blieb. 29 Jahre lang.
In den letzten Jahren arbeitete er meist im Tiefbau, mit einem 27-Tonnen-Bagger. War aber gleichzeitig Chef der Equipe vor Ort. Das sei eine Spezialität seiner Firma, sagt Kessler: «In einer grossen Bude sitzt der Maschinist fast den ganzen Tag in der Kabine. Ich konnte immer wieder raus und habe so alles mitbekommen, was auf der Baustelle läuft.»
Vielfältig sei die Arbeit gewesen. Hier für eine Kanalisation ausbaggern, dort für eine Hofzufahrt oder für eine unterirdische Stromleitung. Heute könne er durch den Kanton Freiburg fahren und fast alle fünf Kilometer sagen: «Diese Strasse habe ich auch schon mal aufgerissen.»
EASY RENTNER. Roland Kessler unterwegs mit seiner Yamaha. (Foto: Franziska Scheidegger)
DIE KNIE SCHMERZEN
In den letzten Jahren spürte es Kessler immer öfter in den Knien, vor allem im Winter. Schmerzen. Müsste er jetzt noch 5 Jahre bis zur regulären Pensionierung weiterchrampfen, er wäre «wahrscheinlich kaputt», wie er sagt.
Als die Frühpensionierung auf dem Bau letzten Sommer auf der Kippe stand, ging Kessler deshalb an die grosse Baudemo in Zürich. Für die Rente 60. Er ging als einziger aus seiner Firma. Und es war die erste Demo in seinem Leben. Er sagt: «Es war mir wichtig. Je mehr Leute an der Demo sind, desto mehr Eindruck macht es.»
So war das auch. Ende 2018 kam die Einigung der Sozialpartner zustande: Die Rente 60 gesichert! Jetzt sagt Roland Kessler «adieu zäme!» Er strahlt: «Sonst war ich oft bedrückt und angespannt. Jetzt fühle ich mich frei.» Sagt’s und braust mit der Yamaha davon. Ein Easy Rentner.
(FAR-Renter Roland Kessler im Video-Beitrag. Quelle: Youtube / Gewerkschaft Unia)
FAR auf dem Bau:Durchbruch am Baregg
Seit 16 Jahren gibt es auf dem Bau den vorzeitigen Altersrücktritt. Eine Erfolgsgeschichte.
Es brauchte mehrere Anläufe und harte Verhandlungen bis zur Rente 60 im Bau. Den Durchbruch brachte schliesslich die Blockierung des Bareggtunnels: Am 4. November 2002 legten 2000 streikende Bauarbeiter das Nadelöhr im Schweizer Autobahnnetz lahm. Mitten im Feierabendverkehr ging anderthalb Stunden lang gar nichts mehr. Wenige Tage später einigten sich die Gewerkschaften GBI und Syna mit den Baumeistern auf den flexiblen Altersrücktritt (FAR). Ein Meilenstein in der Schweizer Sozialgeschichte. Er war auch bitter nötig: Nur gerade jeder fünfte Bauarbeiter erreichte damals gesund das Rentenalter 65. Das war nicht hinnehmbar.
«Die Rente mit 60 macht den Bauberuf attraktiv.»
Einmalig. Im Juli 2003 war es dann so weit: der erste konnte mit 60 in Pension. Und heute ist Roland Kessler schon der 20’000. Eine einmalige Erfolgsgeschichte, die auch Unia-Bauchef Nico Lutz aufstellt: «Keine andere Branche kennt eine ähnlich breit abgestützte Frührentenlösung. Sie macht den Bauberuf attraktiv.» Wer mit 60 in Pension geht, bekommt rund 75 Prozent des letzten Lohnes. Es haben alle Anspruch auf die Frühpensionierung, die mindestens 15 Jahre im Bauhauptgewerbe gearbeitet haben, die letzten sieben Jahre vor der Pensionierung ohne Unterbruch.