Jean Ziegler
Mittwoch, den 20. Februar 2019. Es ist ein strahlender Vorfrühlingstag. Ein Meer von Fahnen in Blau-Weiss-Rot bedeckt den riesigen Platz der Nationen vor dem Völkerbundpalast, dem europäischen Sitz der Vereinten Nationen. Tausende von Gelbwesten sind dem Ruf von Nicolas Mollier und seinen Freunden gefolgt. Jetzt drängen sie sich vor dem verbarrikadierten Eingangstor der Uno-Festung.
APPELL AN UNO. Sie wollen vom Uno-Menschenrechtsrat empfangen werden und den 47 Botschafterinnen und Botschaftern von dem gewalttätigen Vorgehen der französischen Polizei gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten während der vergangenen Monate berichten. Sie verlangen, dass die Uno gegen die Menschenrechtsverletzungen einschreite. Seit dem Beginn der «Samstagsdemonstrationen» am 17. November 2018 sind in ganz Frankreich viele Hunderte von Demonstrierenden von den «Anti-Aufruhr-Einheiten» der Gendarmerie nationale verprügelt, mit Tränengas traktiert und mit Gummigeschossen verletzt worden, manche von ihnen schwer.
Die Polizisten schiessen aus drei, vier Metern Entfernung mit Gummigeschossen auf die Demonstranten.
Allein seit Jahresbeginn haben 18 Gelbwesten ein Auge verloren, vieren von ihnen wurde eine Hand abgerissen.
Nicolas Mollier ist Buschauffeur und Gewerkschafter aus Albertville. Dank Facebook haben ein paar Freunde und er in kürzester Zeit viele Tausend mobilisiert. Anfang November hatte der französische Präsident Emmanuel Macron eine neue Steuer verkündet, die insbesondere die knapp am Existenzminimum lebenden Rentner und die ärmsten Klassen hart traf. Einige Monate zuvor hatte er die Steuer auf besonders hohe Vermögen zugunsten der Superreichen aufgehoben. In Frankreich sind viele Millionen arbeitslos, und die untersten Klassen verarmen. Die Existenzangst greift um sich und damit auch der Zorn auf diesen «Präsidenten der Reichen».
POLIZEIGEWALT. Wenn jeden Samstag in verschiedenen Städten Zehntausende auf die Strasse gehen und die Regierung anklagen, gibt es Konflikte mit der Polizei, brennende Autos, eingeschlagene Schaufenster von Luxusläden. «Die Wirklichkeit ist immer unrein», schrieb Jean-Paul Sartre. Doch die behördliche Repression ist völlig überzogen. Die Spezialeinheiten der Polizei versuchen, die Umzüge zu zerstreuen – mit Waffen aus der Schweiz. Die sogenannten Flashball-Gewehre (LDB-40) werden von der Firma Brügger & Thomet in Thun hergestellt und nach Frankreich exportiert (siehe work vom 15. 2. 2019). Die Polizisten schiessen aus drei, vier Metern Entfernung mit Gummigeschossen, in denen ein Metallkern steckt, auf die Demonstranten. Offenbar zielen sie gerne auf ihre Köpfe. Resultat: ausgeschossene Augen und abgerissene Hände, mit denen die Gelbwesten ihr Gesicht zu schützen versuchten.
Brügger & Thomet sind die exklusiven Hersteller der Kleingewehre und der Munition. Der Bundesrat sollte schleunigst den Export dieser schrecklichen Waffen verbieten.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor.