Jean Ziegler
Es war ein heisser Sommertag im Jahr 2016. Der Uno-Menschenrechtsrat tagte. Wie immer während dieser Sessionen jagte für mich Termin auf Termin … und häufig vergesse ich fest abgemachte Treffen.
Milena Costas, meine Assistentin, erreichte mich in der Bar du Serpent, im Erdgeschoss des Völkerbundpalasts. «Auf dich warten seit ein paar Stunden zwei Journalisten aus München. Du hast mit ihnen vor einem Monat ein Gespräch über die Steuerparadiese im globalen Finanzkapitalismus abgemacht.» Ich sprang in ein Taxi und fuhr zu mir nach Russin GE. Im Wohnzimmer warteten geduldig und freundlich Frederik Obermeier und Bastian Obermayer, zwei Journalisten der «Süddeutschen Zeitung».
Die Schweiz scheint den Finanzplatz selbst bei klaren Hinweisen auf Straftaten schützen zu wollen.
DIE PANAMA-PAPERS. Die beiden Journalisten hatten aus anonymer Quelle Daten von über 270’000 Briefkastenfirmen in zahlreichen Steuerparadiesen der Karibik, Europas (auch der Schweiz) und Asiens erhalten. Die anonyme Quelle nannte sich «John Doe». Sein Material kam aus der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack-Fonseca. Warum wandte sich «John Doe» an die beiden Redaktoren der «Süddeutschen Zeitung»? Weil sie dem Internationalen Konsortium von Enthüllungsjournalisten (ICIJ) angehören. In diesem Netzwerk arbeiten rund 400 hochkompetente Journalistinnen und Journalisten aus 80 Ländern zusammen. Darunter auch Mitarbeitende des Recherchedesks des Zürcher «Tages-Anzeigers».
In den Panama-Papers entdeckten die ICIJ-Leute viele der mächtigsten und vermögendsten Menschen der Welt. Amtierende Staatschefs, Drogenbarone, die Köpfe internationaler Verbrecherkartelle und ganz normale Superreiche versteckten in den von Mossack-Fonseca gegründeten Briefkastenfirmen Vermögenswerte von vielen Hundert Milliarden Dollar vor den Steuerbehörden oder der Polizei.
20. September 2018: Am Sitz des deutschen Bundeskriminalamtes in Wiesbaden versammeln sich Staatsanwälte und Polizeibeamte aus 17 geschädigten Staaten. Auch aus der Schweiz. Für jeden Anwesenden hatte das Bundeskriminalamt einen Datenträger erstellt, auf dem sämtliche für den jeweiligen Staat wichtigen Daten gespeichert waren. Sechzehn Staatsvertreter nahmen dankbar ihren Datenträger in Empfang. Nur der Beamte des Schweizerischen Bundesamtes für Polizei (Fedpol) rührte seinen Datenträger nicht an.
SCHWEIZ IM ABSEITS. Ein Journalist des «Tages-Anzeigers» fragte bei der Bundesanwaltschaft in Bern nach, warum sich unser Land nicht an der Strafverfolgung der Steuerbetrüger und Verbrecher beteilige. Die Antwort des Bundesanwalts: Man prüfe noch die Situation. Inzwischen sind fünf Monate vergangen. Bern verweigert immer noch die Strafverfolgung. In Wiesbaden und bei anderen Strafverfolgungsbehörden in Europa und den USA herrscht Konsternation: Die Schweiz scheint ihren Finanzplatz selbst bei klaren Hinweisen auf Straftaten schützen zu wollen. Wann erwacht endlich der Bundesrat und macht der permanenten Behörden-Komplizität mit dem helvetischen Bankenbanditismus ein Ende?
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor.