Auf zum Streik! Am 8. März lassen Tausende Frauen in Spanien ihre unbezahlte und bezahlte Arbeit ruhen. Chelo Hernández ist eine von ihnen.
CHELO HERNANDEZ: «Durch einen jähen Stop aller Aktivitäten soll sichtbar werden, was wir Frauen täglich für die Gesellschaft leisten, als die ‹grossen Unsichtbaren›.» (Foto: Foto: Javier Liaño)
Sie ist Informatikerin und eine Frontfrau beim Frauenstreik. Sie tritt an Versammlungen und Podiumsdiskussionen, in TV und Talkshows auf und sagt: «Wir sind Feministinnen und kämpfen schon lange gegen Ungleichheit, Diskriminierung und Gewalt.» Chelo Hernández ist in der feministischen Vereinigung von Madrid aktiv. Die macht seit den 1980er Jahren Basisarbeit in den Quartieren, an runden Tischen und mit Kampagnen. Das ist für Hernández das Geheimnis des Erfolgs: «Ohne diese kontinuierliche Arbeit wäre ein Frauenstreik nicht möglich.»
ECHTER GENERALSTREIK
Am 8. März, dem internationalen Frauentag, ist in Spanien wieder Frauenstreiktag. «Ohne uns steht die ganze Welt still» – wird es in den Strassen wieder schallen. Egal ob am Arbeitsplatz, in der Schule, zu Hause oder beim Einkauf: die Spanierinnen werden zeigen, dass ohne sie nichts mehr geht. Und zwar 24 Stunden, einen ganzen Tag lang. Die Chancen für ein starkes Signal stehen gut. Letztes Jahr, beim ersten Frauenstreik Spaniens, standen gegen sechs Millionen Frauen und Männer in den Strassen. Die Fotos lustvoll protestierender Frauen in Madrid, Barcelona, Sevilla, Bilbao und anderen Städten gingen um die Welt.
«Ein Frauenstreik geht weiter als ein normaler Streik.»
Organisiert wird der Frauenstreik vom «Komitee 8. März», einem Zusammenschluss von feministischen Gruppierungen. Sie koordinieren jeweils die Aktivitäten zum internationalen Tag der Frau. 250 Frauen debattieren dort autonom und im eigenen Namen. Chelo Hernández ist eine der Sprecherinnen. In längeren Debatten entstand das Konzept «Frauenstreik». Chelo erklärt: «Durch einen jähen Stop aller Aktivitäten soll sichtbar werden, was Frauen täglich für die Gesellschaft leisten, als die ‹grossen Unsichtbaren›.» Ein Frauenstreik gehe daher weiter als ein konventioneller Streik. «Das ist ein echter Generalstreik», so Hernández. Er stellt nicht nur auf die Erwerbsarbeit ab, sondern umfasst auch die Büez in Pflege, Hausarbeit, Erziehung und in prekären Jobs.
Für die Teilnahme gibt es tausend Gründe. Das Argumentarium des Komitees ist dreissig Seiten lang. Es deckt sämtliche Themen ab, von Gewalt gegen Frauen über Lohnungleichheit bis zu Prekarität und Antirassismus. Wenn nicht anders möglich, reichen am Streik auch Sympathiebekundungen, etwa mit einer Armbinde oder einer herausgehängten Schürze am Fenster. Der Erfolg des Streiks bemesse sich nicht nur an der Anzahl Leute auf der Strasse, sondern vor allem am Bewusstseinsprozess, sagt Hernández: «Wir wollen einen Wandel der Werte, also eine Art soziale Revolution.»
BEI DER UNIA ZU GAST
Chelo Hernández arbeitet beim nationalen Erdbebendienst in Madrid. Als Informatikerin verwaltet sie dort die einlaufenden Daten. Im Moment ist sie nicht gewerkschaftlich organisiert. Doch die Gewerkschaften spielen in Spanien beim Frauenstreik eine nicht unwichtige Rolle. Die beiden grossen spanischen Arbeitnehmerverbände UGT und Comisiones Obreras (CCOO) unterstützen den Streik. Sie rufen zu einer zweistündigen Arbeitspause auf, mit Option auf mehr. Den Lehrerinnen in den CCOO ist das aber zu wenig. Sie wollen die Arbeit ganztags niederlegen.
Im letzten September war Chelo Hernández in der Schweiz auf Vortragstour. Sie traf sich auch mit dem Vorstand der Unia und erzählte von ihren Erfahrungen am 8. März 2018. Der erste Frauenstreik hat gezündet, aktiver Feminismus boomt. In acht Tagen werden Spaniens Frauen wieder Power zeigen.
Starke Frauenbewegung Spanien als Polit-Labor
VIVA LA VULVA! Zehntausende Frauen machen das Vagina-Zeichen in Bilbao am 8. März 2018. (Foto: Reuters)
Spanien hat sich zum Polit-Labor entwickelt. Und zwar für Basisbewegungen. Motor waren die Strassenproteste der «Indignados» gegen die Sparpolitik der konservativen Regierung. Der kometenhafte Aufstieg der Linkspartei Podemos sowie die Eroberung der Bürgermeisterämter in Madrid und Barcelona durch Manuela Carmena und Ada Colau zeigen die Kraft. Druck machen auch die vielen feministischen «Colectivos». Zwar hat Spanien 2004 das Gesetz zu Gewalt gegen Frauen verschärft. Doch Richter fällen immer noch empörende Urteile. Zuletzt im April 2018 in der Stadt Pamplona, wo fünf Männer eine Frau vergewaltigt hatten. Sie wurden aber nur wegen «sexuellen Missbrauchs» verurteilt.
WELTWEIT. Der verbreitete Machismo treibt Frauen massenhaft auf die Strasse. So wurde 2018 Spaniens erster Frauenstreik möglich, der weltweit dritte nach Island (1975) und der Schweiz (1991). Hunderttausende hatten schon vorher an den Anti-Trump-Märschen teilgenommen. Inspiriert wurde die spanische Frauenbewegung durch die Proteste in Argentinien und Polen gegen brutale Frauenmorde beziehungsweise rigide Abtreibungsverbote.