Krise nach Wahlschlappe:
Die SVP verliert – und entlarvt sich so deutlich wie noch nie

Ein alter Mann sitzt auf einem Heuballen. Auf dem Heuballen liegt ein weisses Tuch. Der Heuballen steht auf einem Anhänger. Ein Traktor zieht den Anhänger über eine Wiese. Der alte Bauer besucht ein Familienfest: So sieht’s aus, so soll’s aussehen. Doch der Gegenschnitt entlarvt die Inszenierung: Hinter Traktor, Anhänger, Heuballen-Thron und altem Mann steht ein Helikopter auf der Wiese. Damit ist der alte Mann ein- und die Inszenierung aufgeflogen.

VOLKSNAH? Christoph Blocher wird mit dem Traktor zum Schloss Hagenwil (TG) chauffiert. Gekommen ist er mit dem Heli. (Foto: ZVG)

«LÄNDLICHER BLUTSTROM»

Der alte Mann ist Christoph Blocher. Er hat die Bauern- und Gewerblerpartei SVP innert drei Jahrzehnten zur hart rechten Stosstruppe umgebaut. Oder genauer: sie modernisierend zurückgeführt hat zum ideologischen Ursprung: schon Rudolf Minger, Gründer der SVP-Vorgängerin BGB, bot seine Organisation dem unter Druck der Arbeiterbewegung geratene Grosskapital als Schutzstaffel an – «ländlicher Blutstrom» gegen die «roten Gefahr», Dreschflegel gegen Arbeiterrechte. Das zahlt sich bis heute für die Bauernsame aus: Direktzahlungen, Marktabschottung, Steuergeschenke, Sozialversicherungsprivilegien, minimster Arbeitnehmendenschutz. SGB-Chefökonom Daniel Lampart hat schon 2016 ausgerechnet, dass Bund, Kantone und Gemeinden pro Jahr 4,2 Milliarden Franken für die Landwirtschaft ausgeben. Das sind 500 Franken pro Einwohnerin und Einwohner – und entspricht ziemlich genau der Wertschöpfung in der Landwirtschaft (work 10/2016).

Dort, wo die SVP an der Macht war, wurde sie bhäbig. Im Kanton Bern war sie Staat und der Staat war sie. Und in Graubünden. Und im Kanton Glarus. Dort, wo sie einfach mittun durfte, bequem und ehrgeizlos. So wie im Kanton Zürich. Und dann kam Christoph Blocher, gelernter Bauer, studierter Jurist – und Unternehmer. 1983 war er unter merkwürdigen Umständen (er trickste die Besitzerfamilie aus) und mit einem Millionenkredit der damaligen «Schweizerischen Bankgesellschaft» (heute UBS) in Besitz der Ems Chemie gekommen. Doch den grössten Teil seines Milliarden-Vermögens verdiente er nicht als Industrieller, sondern als Finanzspekulant. Gemeinsam etwa mit seinem Freund, dem Banker Martin Ebner.

Zwischenzeitlich wollten die beiden sogar die AHV in der bewährten und soliden Form abschaffen und mit dem Altersvermögen der Werktätigen im internationalen Finanzcasino zocken. Ganz so, wie das der faschistische Diktator Augusto Pinochet in Chile auf Rat der marktradikalen Ökonomen der Chicagoer Schule. Millionen kassierte Blocher auch mit der Zerschlagung und Verhökerung der Alusuisse. Auf der Strecke blieb ein Schweizer Traditionsunternehmen und Hunderte von Arbeitsplätzen.

In der SVP wird plötzlich gegen
«die Eigenen» so gepöbelt wie
sonst nur gegen «die Anderen».

AUFSTIEG IM SPAGAT

Blocher baute die Zürcher SVP um zu einer nationalistischen Bewegung. Er gründete Frontorganisationen wie die «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns) oder übernahm sie. Schliesslich sog die zur Blocher-Bewegung gewordene SVP alles auf, was einst politisch noch rechter stand. Die Partei wurde zum nationalen Sammelbecken der Rassisten und Frauenfeinden. Dank schier unerschöpflichen finanziellen Mitteln und einer straffen, zentralisierten Parteiorganisation stieg die SVP zur grössten nationalen Partei auf.

Blocher kaufte offen und verdeckt Medien und setze andere Verlagshäuser unter Druck. Und obwohl zumindest das deutschsprachige SRG-TV-Programm in seinen politischen Sendungen verlässlich die SVP-Agenda abbildet, steht die SRG unter rechtem Dauerbeschuss.

Die Lebensleistung von Blocher besteht darin, dass er es geschafft hat, gleichzeitig als Finanzspekulant und Arbeitsplatzkiller zum Milliardär zu werden – und bei seinen Wählenden trotzdem als Retter der «einfachen Leute» dazustehen.

Dazu brauchte es einzig immer neue Feindbilder: Ausländer, Arbeitslose, Sozialhilfebeziehende zum Beispiel – und natürlich die angebliche «Elite», die sich über die Interessen des «Volchs» hinwegsetzt. Dabei ist die SVP – im Unterschied zu fast allen anderen europäischen Rechtsaussenparteien – wirtschafts- und sozialpolitisch stramm marktradikal (Ausnahme Landwirtschaft). Sie vertritt die Interessen des reichsten Prozentes, der Abzockermanager und Steueroptimierer. Konkret: die Mehrheit der SVP-Wählenden möchte weniger Ausländer, bekommt aber weniger Lohn, weniger Rente, weniger Prämienverbilligungen.

DER KNALL

Das ging und geht so lange gut, wie der Blocher-Spagat öffentlich funktioniert. Doch der Oligarch ist alt, die Beweglichkeit leidet. Und seine Nachfolgerinnen und Nachfolger bringen sich in Position. Und so lässt sich bei der SVP aktuell beobachten, was für Oligarchien generell gilt: viele innere Widersprüche und feindliche Fraktionen, die sich belauern und bekämpfen.

Dieses Phänomen wurde jetzt, bei der empfindlichen Wahl-Schlappe im Kanton Zürich auch für Aussenstehende sichtbar. Widersprüche brechen auf, die Fraktionen bekämpften sich öffentlich. Und so wird in der SVP plötzlich gegen «die Eigenen» so gehetzt, gekeift und gepöbelt wie sonst nur gegen «die Anderen». Hier die «traditionellen» SVPler, die Blocher verehren, aber doch noch ein Stück weit selber denken. Da die radikalisierten SVP-Kleinbürgerinnen und -Kleinbürger, bei denen noch die offensichtlichsten Unwahrheiten in Sachen Europa, Migration, Sozialhilfe und IV auf fruchtbaren Boden fallen. Dort die urbanen Karrieristen, die hart rechten intellektuellen Überzeugungstäter und wirtschaftsradikalen Sozialabbauerinnen. Diese bewundern offen aktuelle und historische autoritäre Regimes und «illiberale Demokratien», vernetzen sich mit Rechtsaussen in aller Welt.

Dies zumindest hat Blocher seit seinem früheren Lobbying für das damalige südafrikanische Apartheidregime in der Öffentlichkeit immer gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Seine Ziehsöhne «von der Goldküste», wie sie der abgeschossene Zürcher Parteipräsident neuerdings nennt, haben da deutliche weniger Berührungsängste und nehmen auch schon mal an Neonazi-Aufmärschen in Deutschland teil.

FÜHRER FLIEGT EIN

Solange die Wahlresultate stimmen und es für möglichst viele zu einem Pöstchen reicht, bleibt der Burgfrieden gewahrt. Doch das ist jetzt anders. Und die Gräben brechen auf. Das ist immer ungünstig. Aber besonders ungünstig ein kanppes halbes Jahr vor nationalen Wahlen. Darum musste Führer und Finanzier Blocher in den vergangenen Tagen gleich zweimal persönlich an Versammlungen auftauchen, für die er gar kein offizielles Mandat mehr hat. Er setze die Parteiführung ab und eine neue ein. Ganz der Chef, der zahlt und befiehlt.

Der alte Oligarch ist ein- und die Demokratie-Inszenierung aufgeflogen.

Wahlen: Rot-Grün gewinnt

Rechts verliert, links gewinnt – und in der Mitte ein Gschlegel. Das ist das Fazit der Wahlen in den Kantonen Appenzell-Ausserrhoden, Zürich, Baselland, Luzern und Tessin. Der Rechtsblock aus SVP/FDP verliert netto: AR – 4 Sitze, ZH – 11, BL – 7, LU – 10. Im Tessin legte das Gespann zwar 1 Sitz zu, doch die Lega (im Bundeshaus der SVP-Fraktion zugehörig) verlor 4, macht auch hier netto minus 3 für die Rechte.

Rot-Grün legt dagegen durchs Band zu: AR + 2, ZH + 9, BL + 7, LU + 10, TI + 5 (inkl. Frauenliste). Das zeigt: die Sitze wandern vom rechten Block nach Links-Grün. Die Gewinne der GLP gehen nicht auf Kosten der Linken, sondern hauptsächlich auf Kosten von CVP und BDP. Und das ist gut so: denn mehr GLP ist zwar besser fürs Klima, aber schlecht für Sozialversicherungen und Arbeit­nehmendenrechte.

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