Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Die Briefträgerin hat einen Stop-Kleber am Kasten. Den sieht die Post begreiflicherweise gerade bei ihren Mitarbeitenden nicht gern, bringt das Verteilen von Werbung doch viel Geld ein. Tatsächlich dachte die Briefträgerin in letzter Zeit öfter, sie sei eine eigentliche Werbeträgerin. Sie versuchte, den zuständigen Teamleader zu besänftigen, indem sie auf ihren Briefmarkenverbrauch hinwies. Damit kompensiere sie den durch den Stop-Kleber verursachten Schaden. Der Teamleader war mässig überzeugt.
Die Post unterscheidet drei Arten unadressierter Sendungen: Die kommerzielle Werbung, die mit einem Stop-Kleber abgewehrt werden kann. Die nichtkommerzielle Werbung, zu der politische Propaganda etwa vor Wahlen und Abstimmungen und die Sammelaktionen von Non-Profit-Organisationen zählen. Sie wird in jeden Kasten deponiert, Stop-Kleber hin oder her. Und schliesslich amtliche Publikationen wie in Bern und Umgebung der Anzeiger, den alle Haushaltungen erhalten. Wer ihn nicht will, muss eine Verzichtserklärung hinterlegen.
Für manche ist die Frage «Werbung ja oder nein?» eine emotionale Angelegenheit.
BLITZ UND DONNER. Manche Leute haben einfach einen Stop-Kleber am Kasten. Andere geben dazu ein umweltschützerisches Bekenntnis ab. Sie wollen zum Beispiel den Regenwald retten. Wieder andere kleben einen Zettel hin, den sie mit zahlreichen Ausrufezeichen, stilisiertem Blitz und Donner oder ähnlichen Emblemen versehen. Für sie scheint die Frage «Werbung ja oder nein?» eine sehr emotionale Angelegenheit zu sein.
Einmal hörte sie von einem, der einer privaten Verteilorganisation mit einer Rechnung drohte, sollte er noch mehr ungewollte Werbesendungen erhalten. Verrechnen würde er den Zeitaufwand für Kastenleerung und Papierentsorgung. An den Stundenansatz, den der Mann einzusetzen gedachte, erinnert sich die Briefträgerin nicht. Und auch nicht, ob die Drohung etwas nützte.
ROTE AUFSCHRIFT. Speziell auch der Kasten mit der roten, handgemalten Aufschrift «Keine Werbung, du Arschloch». Die Briefträgerin stellte sich manchmal vor, sie hätte eine eingeschriebene Sendung für den Besitzer des Kastens. Sie würde dann klingeln, und wenn es in der Gegensprechanlage knacken und jemand sich melden würde, würde sie sagen: «Das A … ist hier, ich habe einen eingeschriebenen Brief für Sie.» In all den Jahren hatte sie aber nie etwas zum Unterschreiben für diesen Briefkasteninhaber. Nun arbeitet sie an einem neuen Ort, und eine andere Zustellperson kann tagtäglich an besagter Adresse erfahren, dass sie ein Arschloch sei.