Pia Klemp (36) rettete Tausenden das Leben
Nun drohen der Kapitänin 20 Jahre Gefängnis

Pia Klemp ist Gegenwind gewohnt. Doch was sie jetzt erlebt, stellt alles Bisherige in den Schatten. work traf sie in St. Gallen.

KAPITÄNIN PIA KLEMP: «Meine Crew und ich, wir haben nichts Unrechtes getan und weder See- noch internationales Recht verletzt. Auf der Anklagebank sitzt nur die Solidarität.» (Foto: Michel Canonica)

Sie konnte es nicht mehr länger ertragen, all diese Meldungen über Tote im Mittelmeer. Darum heuerte Pia Klemp 2016 bei der Initiative «Jugend rettet» an (siehe Box unten). Das war nur ein kleiner Schritt. Kampagnen auf hoher See war sie gewohnt. Etwa bei «Sea Sheperd», einer Organisation zum Schutz der Meere. Dort kämpfte die studierte Biologin aus Bonn gegen illegalen Fischfang. Und erwarb sich auch gleich das Rüstzeug als Schiffsführerin. So wurde die Frau schliesslich Kapitänin des Rettungsschiffs «Iuventa».

«Das solidarische Handeln für
Menschen in Seenot wird kriminalisiert.»

Zusammen mit ihrer neunköpfigen Crew konnte sie letzte Woche in St. Gallen den Paul-Grüninger-Preis für Menschlichkeit entgegennehmen (siehe Artikel unten). Darüber freute sie sich. Trotzdem war es kein Freudentag. An einer Podiumsdiskussion mit anderen Fluchthelfern sagte sie: «Es zerreisst mir das Herz, wenn ich höre, dass weiter Flüchtlinge ertrinken, wir ihnen aber nicht mehr helfen können.» Klemp und die Crew sind blockiert. Stechen sie in See, droht ihnen U-Haft. Faktisch hat Pia Klemp heute ein Berufsverbot. Verantwortlich dafür ist Italiens Innenminister Matteo Salvini (Lega). Der fremdenfeindliche Politiker macht Jagd auf alle Seenotretterinnen und Seenotretter. Mittlerweile ist er fast am Ziel. Vor kurzem liess er eines der letzten zivilen Rettungsschiffe, die «Mare Jonio», festsetzen. Es hatte 30 Migranten in Seenot gerettet.

LEBENSRETTUNG KRIMINALISIERT

Salvini will keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen. Mit gütiger Beihilfe der EU. Wer Leben rettet, wird der «Beihilfe zur illegalen Einwanderung» bezichtigt und strafrechtlich verfolgt. Auch Kapitänin Klemp. Die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Trapani bereitet einen Prozess gegen die «Iuventa»-Leute vor. Pia Klemp sagt zu work: «Das ist politisch motiviert. Es soll ein Schauprozess werden, um alle Helferinnen und Helfer abzuschrecken.» Sie schüttelt ob dieser Perversität den Kopf. «Einfach widerlich!» Gleichzeitig macht eine Bordkollegin von Klemp unmissverständlich klar, dass sie nicht klein beigeben: «Wir werden nicht schweigen.»

EIN SPION BEREUT

Klemp schildert work das skrupellose Vorgehen der Behörden. Die «Iuventa» war verwanzt worden, Telefone wurden abgehört, verdeckte Ermittler und Agenten des Militärgeheimdienstes waren im Einsatz. Salvini braucht Beweise für den Schlepper-Vorwurf und für eine konstruierte Anklage. Das alles geht aus den Akten zur Beschlagnahmung des Schiffes hervor. Ein Sicherheitsmann mit Verbindungen zur rechtsextremen «identitären Bewegung» hatte Salvini mit Informationen beliefert. Der Mann bereut heute seine Dienste als Spion. Er ist arbeitslos und fühlt sich verraten. Die Anklage stützt sich auf seine Beobachtungen. Danach soll die «Iuventa»-Crew angeblich mit Schleusern zusammengearbeitet haben. «Das ist falsch und absurd», sagt Pia Klemp. Sie ist wütend, wie eiskalt sie aus dem Verkehr gezogen wurden. Alles nur wegen des Einsatzes für Humanität und Menschlichkeit.

«Es soll in Italien ein Schauprozess werden, um alle
Helferinnen abzuschrecken.»

Der Prozess wird die Crew mindestens eine halbe Million Franken kosten. Da ist der Grüninger-Preis mit 50’000 Franken ein zwar kleiner, aber willkommener Zustupf. Die «Iuventa-10», wie sie auch genannt werden, müssen sich voraussichtlich im Sommer dem Gericht in Italien stellen. Sonst riskieren sie die Auslieferung. Aber Klemp sagt: «Wir haben nichts Unrechtes getan und weder See- noch internationales Recht verletzt. Auf der Anklagebank sitzt nur die Solidarität.» Das Schlimmste für Klemp wäre nicht einmal Gefängnis. Das Schlimmste sei jetzt schon passiert: «Das solidarische Handeln für Menschen in Seenot ist kriminalisiert.» Klemp wusste von Anfang an, dass ihr Engagement politisch brisant war. Sie wusste, dass es vielen Rechten und Reaktionären ein Dorn im Auge ist und dass diese versuchen würden, sie und alle anderen Seenotretter nach Kräften zu behindern.

«Dass es aber so weit kommt, hätte ich nicht erwartet. Überrascht hat es mich allerdings auch nicht.» Das Kalkül der Abschottungspolitik und die Verteufelung von humanitär engagierten Leuten sei ­absehbar gewesen. Die Iuventa-Crew hofft nun auf einen Freispruch. Das wäre ein positives Signal, ein Sieg der Solidarität über eine unmenschliche Praxis. Die andauert: Nach Angaben des UNHCR starben letztes Jahr im Schnitt jeden Tag
sechs Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren.

Rettungsschiff «Iuventa»: 14’000 Flüchtlinge vor dem Tod ­gerettet

Im Sommer 2016 erwarb die deutsche Initiative «Jugend rettet» mit Crowdfunding-Geldern einen ­alten holländischen Fischkutter und machte ihn für Rettungsaktionen im Mittelmeer seetüchtig. Schon wenig später lief die «Iuventa» von Malta aus und holte schiffbrüchige Flüchtlinge vor der libyschen Küste aus den Fluten. Die 13köpfige Crew führte bis Sommer 2017 acht Missionen durch. Rund 14’000 Flüchtlinge verdanken ihr das Leben. Ohne die «Iuventa» wären sie ertrunken – wie Tausende andere, die kein Glück hatten. Pia Klemp war anderthalb Monate Kapitänin des Schiffs. Dann schlug der italienische Staat zu. Er beschlagnahmte es im August 2018 auf der Insel Lampedusa, auch alle Laptops und Telefone. Seither sitzt das Schiff dort fest, und die Crew muss eine Anklage befürchten.


Grüninger-Preis:Für Mut und Solidarität

Paul Grüninger rettete ­Hunderten jüdischen ­Flüchtlingen das Leben. Und musste dafür büssen.

MUTIG: Paul Grüninger bewahrte Hunderte Juden vor dem Tod, 1939. (Foto: ZVG)

1938 spitzte sich die Lage zu. Jüdische Flüchtlinge standen vor der Schweizer Grenze. Sie flohen vor Hitler, der ihnen mit der ­Vernichtung drohte. Doch die Schweiz wollte sie nicht hereinlassen. Das konnte Paul Grüninger nicht mit ansehen. Der St. Galler Polizeichef fand, man dürfe Verfolgte nicht an der Grenze abweisen, Gesetze hin oder her: «Das geht schon aus ­Erwägungen der Menschlichkeit nicht.» Mit ­einem administrativen Trick ­rettete Grüninger Hunderten von jüdischen Flüchtlingen das Leben. Wie viele es waren, weiss niemand. Dafür musste er ­büssen: Der Polizeihauptmann wurde entlassen und verurteilt. Bis zu seinem Tod 1972 war er zu einem Leben in ärmlichen Verhältnissen gezwungen.

RETTER IN NOT. Doch Grüninger schrieb in Diepoldsau SG Welt­geschichte. Bei diesem Rhein­taler Dorf kamen die Flüchtlinge damals über die Grenze. Jetzt erinnert der Name einer Brücke an Grüninger. Heute ist der Polizeihauptmann rehabilitiert. Er ist kein Gesetzesbrecher mehr, sondern ein Held der Menschlichkeit, der nur seinem Gewissen folgte. Das kam allerdings nicht von selbst. Paul Rechsteiner setzte 1995 erst die juristische und 1998 auch die politische Rehabilitierung durch – gegen grosse Widerstände. Denn viele wollten die Schuld nicht ­sehen, welche die Schweiz mit ­ihrer «Das Boot ist voll»-Politik vor und im Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hatte. Lieber kriminalisierte man einen Flüchtlingsretter.

TRAURIGE WIEDERHOLUNG. Der Kanton St. Gallen zahlte den Grüninger-Nachkommen eine Wiedergutmachung. Mit diesem Geld wurde die Grüninger-Stiftung errichtet. Alle drei Jahre ehrt sie nun Leute und Organisationen, die sich durch besonderen Mut und besondere Menschlichkeit auszeichnen. Wie dieses Jahr die Crew der «Iuventa» unter Kapitänin Pia Klemp. Sie rettete im Mittelmeer Tausende von Flüchtlingen vor dem Ertrinken. Genau wie Grüninger werden diese couragierten Menschen aus Berlin nun kriminalisiert. Und zwar durch Matteo Salvini, den fremdenfeindlichen Innenminister Italiens. Sie hätten «Beihilfe zur illegalen Einwanderung» geleistet, so der absurde Vorwurf. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Doch sie darf nicht wieder so enden wie einst, ­nämlich in Krieg und Zerstörung. Deshalb setzt der Grüninger-Preis ein wichtiges politisches ­Signal gegen Abschottung und menschenfeindliche Politik.

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