Madlen Schär aus Bern verhilft ihren Kundinnen und Kunden mit einem neuen Haarschnitt zu einem besseren Lebensgefühl. Ziemlich unattraktiv findet sie aber die Arbeitsbedingungen in ihrer Branche. Deshalb ist sie am Frauenstreik dabei.
ENGAGIERT. Madlen Schär (20) ist sehr gerne Coiffeuse. Aber es sei einfach nicht okay, dass «typische» Frauenberufe so schlecht bezahlt seien. (Fotos: Matthias Luggen)
«Ich wurde Coiffeuse, weil ich in den Ausgang wollte», sagt Madlen Schär lachend. Die 20jährige hat einen wachen Blick, rosarote Haare, Tattoos. Ihr Vater habe ihr eines Tages gedroht, dass sie am Wochenende zu Hause bleiben müsse, wenn sie sich nicht um eine Lehrstelle bemühe. Also habe sie bei einem Coiffeursalon angerufen – und war nach der Schnupperwoche positiv überrascht. Denn: «Eigentlich wollte ich Theatermalerin oder Fotografin werden.»
Mit der Coiffeur-Lehrstelle habe sie dann «ziemlich Schwein gehabt», sagt Madlen Schär. Sie habe von Anfang an sehr viel gelernt. Etwa, ihre Gesundheit zu schützen: Mit der richtigen Stuhleinstellung den Rücken zu schonen oder beim Haarewaschen immer Handschuhe zu tragen, um Hautkrankheiten vorzubeugen. Ein Mädchen in ihrer Klasse hatte weniger Glück mit ihrer Lehrstelle. Sie musste als Versuchskaninchen herhalten und im wahrsten Sinne des Wortes Haare lassen. Andere hätten schlicht nichts gelernt. Denn: «Viele Salons haben Lernende nur fürs Prestige, weil es sich halt gut macht, Leute auszubilden. Aber häufig ist dann weder die Zeit noch der Wille da, sich auch entsprechend um die Lernenden zu kümmern», sagt Schär.
COIFFEUR-GEPLAUDER. Sie selbst habe viel Gefallen am Coiffeurberuf gefunden. Ganz besonders mag Madlen Schär den Kontakt mit den vielen unterschiedlichen Kundinnen und Kunden. Sie sagt: «Die meisten Leute kommen in einer positiven Stimmung zu uns, weil sie einen Moment für sich haben. Und ich finde es schön, wenn sich die Leute wieder etwas wohler fühlen, wenn sie den Salon verlassen.» Und wie hat sie’s mit den berühmten Coiffeur-Gesprächen? «Die meisten Menschen mögen es, beim Haareschneiden zu plaudern. Auch ich pläuderle viel und gerne.» Aber sie hört ihren Kundinnen und Kunden auch gerne zu. «Ich habe ein gutes Gschpüri für die Leute entwickelt und fühle recht schnell, ob jemand sprechen will oder nicht.» Häufig seien die Gespräche sehr persönlich. Schwierig sei das dann, wenn die Leute ihr ganzes Leben erzählten, auch tragische Geschichten. «Ich weiss jeweils nicht, was ich antworten soll, und trage diese Schicksale manchmal noch lange mit mir rum.»
Gleich nach der Lehre hat Madlen Schär im Berner Salon Christian Moser angefangen. Sie persönlich habe gute Arbeitsbedingungen und einen netten Chef. Aber insgesamt findet sie die Coiffeurbranche unattraktiv: tiefe Löhne, lange Tage, Wochenendarbeit. In den ersten Jahren hatte Schär nie an zwei Tagen hintereinander frei. «Das ist zwar üblich in der Branche, aber auf die Dauer sehr anstrengend. Denn in nur einem freien Tag bringe ich meinen Kopf einfach nicht aus dem Salon.» Deshalb hat sie ihr Pensum reduziert und nun an zwei Tagen hintereinander frei. An normalen Arbeitstagen ist sie jeweils 9 Stunden auf den Beinen. Sie verdient bei ihrem 80-Prozent-Pensum 3000 Franken netto. «Das ist etwas mehr, als im GAV vorgeschrieben. Aber sehr wenige Salons sind bereit, bessere Löhne zu bezahlen.»
PROFI: Coiffeuse Madlen Schär hat gelernt, auf die Wünsche ihrer Kundinnen und Kunden einzugehen.
MEHR AUFREGEN. Ganz besonders stören sie die vielen ausbeuterischen Anstellungsverhältnisse. Etwa die Stuhlmiete. Madlen Schär erklärt: «Statt einer Festanstellung mieten die Coiffeusen in diesem System einen Stuhl in einem Salon und kommen auch selber für die Materialkosten auf. Dafür können sie den gesamten Umsatz behalten. Bei unseren Löhnen klingt das im ersten Moment vielleicht attraktiv. Aber dabei geht vergessen, dass man keine Sozialleistungen erhält und weder in den Ferien noch bei Krankheit etwas verdient.» Oder es gibt Salons, die ihren Mitarbeitenden einen Lohn nach Umsatz bezahlen. Das bedeutet, dass die saisonalen Schwankungen direkt aufs Portemonnaie schlagen und beispielsweise im Januar der Verdienst sehr tief ist. «Es muss noch so viel gemacht werden, um die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern», sagt Madlen Schär. «Und das ist einfacher mit einer Gewerkschaft im Rücken.» Deshalb ist sie seit dem zweiten Lehrjahr Mitglied der Unia. «Das ist mir megawichtig», sagt Schär.
Ganz allgemein findet es Madlen Schär «einfach nicht okay, dass sogenannt typische Frauenberufe schlechter bezahlt werden als typische Männerberufe». Für Schär ist das Problem der «Frauenberufe» Teil eines viel grösseren Problems, nämlich des patriarchalen Systems und des Kapitalismus. Deshalb sei sie bei den Juso aktiv, um sich für einen Systemwandel zu engagieren.
Und natürlich ist Madlen Schär auch am Frauenstreik dabei und versucht, möglichst viele Kolleginnen dafür zu motivieren. Denn viel zu viele Frauen regten sich viel zu wenig auf und fänden sich zu schnell mit den schlechten Arbeitsbedingungen ab. Schär sagt: «Es braucht mehr Frauen, die mal auf den Tisch klopfen und sagen, ‹zu diesen Bedingungen arbeite ich nicht!›.»
Madlen Schär Kreativ und verspielt
Madlen Schär ist in Bern Bümpliz aufgewachsen. Sie besuchte die Sekundarschule, wollte aber nicht ans Gymi, weil sie die Nase voll von der Schule hatte. Lieber wollte sie etwas Konkretes mit den Händen machen, etwas Kreatives. Ihre musische Seite lebt Schär aus, indem sie zeichnet: «Was mir in den Sinn kommt, zum Beispiel von einem Lied, und viele Frauenportraits.» Sie könnte sich auch vorstellen, ihre Leidenschaft fürs Zeichnen eines Tages als Tätowiererin zum Beruf zu machen. Seit der 1. Klasse ist Madlen Schär eine begeisterte Tänzerin. Sie tanzt Hip-Hop und Contemporary. Viele Jahre lang war sie Mitglied der Jugendcompany. Mit diesem Ensemble ist sie auch schon in der Dampfzentrale in Bern aufgetreten. Heute tanzt sie vor allem Hip-Hop.
FANTASY. Ungefähr an zwei Sonntagen pro Monat spielt sie gemeinsam mit Freundinnen und Freunden «Path Finder», ein Fantasy-Rollenspiel. Ihr Freund ist der Spielleiter und erfindet anhand eines Regelbuches die Geschichten. Jede Person ist ein anderer Charakter und kann sich ebenfalls einbringen. Schär erklärt: «Es ist, wie wenn wir gemeinsam unser eigenes Fantasy-Buch schreiben würden.» Die längste Session dauerte 10 Stunden. Es sei wie eine Reise in eine andere Welt, sagt Schär. «Nach einer Spielrunde haben wir viel erlebt, sind vor Goblins davongerannt, haben einem Drachen den Schatz geklaut oder einen Prinzen gerettet.»