Der Gewerkschaftsbund entliess vor 100 Jahren seine erste Arbeitersekretärin. Weil sie eine Frau war. Und rhetorisch brillant, ungestüm, erfolgreich.
MARGARETHE FAAS-HARDEGGER: Sie war die erste Arbeitersekretärin beim Gewerkschaftsbund. (Foto: Sozialarchiv)
Durchs Wallis schallte ein Ruf: «Die rote Margrit kommt!» Schreck für die einen, Freude für die andern. Margarethe Faas-Hardegger war auf Agitationstour. Am 28. Juni 1908 kam sie nach Sitten. Dort referierte sie in der «Auberge des Alpes» zum Thema «Die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung und der Antialkoholismus». Es herrschte striktes Alkoholverbot. Trotzdem war der Saal voll. Alle wollten jene Frau hören, die
den Gewerkschaftsbund (SGB) aufmischte. Faas-Hardegger war die erste Arbeitersekretärin des SGB, erst seit 1904 im Amt. Eine Sensation, die aber nur fünf Jahre lang währte. Denn es wurde den behäbigen Gewerkschaftern zu bunt: Sie schmissen die rastlose Kollegin raus, die lieber bei den Leuten an der Front war als bei ihnen im Büro sass. Das war im April des Jahres 1909.
NEID UND SCHIKANEN
Margarethe Faas-Hardegger war jung, ungestüm, gebildet, intellektuell und rhetorisch brillant, erfolgreich. Und die einzige Frau in einem Gewerkschaftsapparat, in dem stets die Männer sagten, wo’s langgeht. «Von Anfang an herrschte dicke Luft auf dem Sekretariat», schreibt Biographin Regula Bochsler. Die Kollegen deckten die 22jährige Neo-Gewerkschafterin nach Kräften mit Papierkram ein. Sie verwehrten ihr Auftritte, wo es ging, trotz ihrer Top-Rhetorik. Und sie mobbten sie täglich als «chaotisch» und «unberechenbar», wenn sie mal wieder wegblieb. Dabei versuchte Margarethe Faas-Hardegger nur, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Sie wollte mit Ehemann und zwei Kindern einen gleichberechtigten Haushalt führen. Trotz Neid, Missgunst und Schikanen liess sich Faas-Hardegger nicht aufhalten. Sie organisierte 1907 in einer Westschweizer Schokoladefabrik den schweizweit ersten gewerkschaftlichen Frauenstreik. Im aargauischen Wynental und in Yverdon VD begleitete sie Arbeitskämpfe der Tabakarbeiterinnen und gründete nebenbei auch noch eine Genossenschaft der Zigarrenrollerinnen. Und in Arbon TG half sie ausgebeuteten Italienerinnen, die sich in wilden Streiks gegen ihre Textilbarone wehrten. Auch an internationalen sozialistischen Kongressen fehlte sie nicht. In Stuttgart sass sie mit Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Alexandra Kollontai an einem Tisch – mit Frauen, die Weltgeschichte schrieben.
«Die heutige Fraubraucht keine Ehe mehr, sie kann für sich selber sorgen.»
RADIKALE FEMINISTIN
Der Krach mit dem SGB hatte auch politische Gründe. Die «rote Margrit» stand dem Anarchismus näher als der Sozialdemokratie. Den Klassenkampf sah sie auf der Strasse und nicht am Verhandlungstisch. Eng war sie mit dem Zürcher Armenarzt und Freigeist Fritz Brupbacher befreundet. Ebenso mit dem deutschen Dichter und Revolutionär Erich Mühsam, der ein Opfer der Nazis wurde. Zudem war sie mit dem anarchistischen Schriftsteller Gustav Landauer liiert, den 1919 rechte Freikorpssoldaten umbrachten.
Und dann war da noch die freie Liebe. An einem Vortrag in Bern sagte Faas-Hardegger unverblümt: «Die heutige Frau braucht keine Ehe mehr, sie kann für sich selber sorgen.» Die Ehe sei ohnehin nur «den Nützlichkeits- und Räuberinstinkten des Mannes» geschuldet. Radikalfeministischer geht’s nicht. Faas-Hardegger liess es nicht bei Worten bewenden. Sie wollte ihre sozialistischen Ideen leben. In Bern gründete sie 1913 eine Kommune, deren Herzstück ein «Arbeiter-Diskussion-Club» war, später eine weitere WG in Herrliberg ZH und schliesslich eine Art Landkommune im Tessin.
Schon als Gewerkschafterin hatte sie es oft mit der Justiz zu tun. Diese ergriff jede Gelegenheit, um Faas-Hardegger aus dem Verkehr zu ziehen. 1915 kassierte sie ein Jahr Haft in der Frauenstrafanstalt Hindelbank, wegen Beihilfe zur Abtreibung. Fortan war sie als «Zuchthäuslerin» abgestempelt und musste Bern Richtung Tessin verlassen. Dort wandte sie sich später einer Freimaurervereinigung zu. Bis zum Tod 1963 blieb sie politisch aktiv, vor allem in der antimilitaristischen Bewegung.
Brunner & Co.: Starke Frauen
Immer wieder ecken selbstbewusste Frauen an in der Männerwelt – und schreiben so Frauengeschichte.
ROSA BLOCH-BOLLAG (1880–1922)
Die NZZ verhöhnte sie als «Brillanten-Rosa». Sie hatte einmal als Vertreterin für ein Juweliergeschäft gearbeitet. Doch Rosa Blochs Herz schlug nicht für die Reichen. Im Gegenteil: Sie war eine überzeugte Marxistin und die einzige Frau im Oltener Aktionskomitee, das 1918 den Landesstreik organisierte. Dank ihr kam das Frauenstimmrecht ganz vorn in die berühmte Liste der Streikforderungen. Fünf Monate zuvor hatte Bloch in Zürich die Hunger-Demos gegen Lebensmittelknappheit angeführt. Als erste Frau durfte sie im Zürcher Kantonsrat sprechen. Ihr Ende mit nur 42 Jahren war tragisch: Bloch verblutete an einer harmlosen Kropfoperation.
ROSA PARKS (1913–2005)
Sitzenbleiben kann eine Revolution auslösen. Am 1. Dezember 1955 weigerte sich Rosa Parks in einem Bus im US-Staat Alabama, einem weissen Mann Platz zu machen. Und brachte so die Rassentrennung ins Wanken. Parks musste in Arrest und erhielt eine Busse von 10 Dollar aufgebrummt. Darauf organisierte die Bürgerrechtsbewegung einen Streik gegen die Busgesellschaft. Er dauerte volle 381 Tage. Das war der Auftakt zur langen Revolte der schwarzen Bevölkerung in den 1950er und 1960er Jahren. Später erhielt Parks als erste Frau ein Ehrengrab im Capitol in Washington.
CHRISTIANE BRUNNER (*1947)
Gemeinsam mit den Uhrmacherinnen aus dem Jura ist sie die «Mutter» des grossen Frauenstreiks von 1991 (siehe auch Seite 5). 1993 kandidierte die Gewerkschafterin und Sozialdemokratin als Bundesrätin. Bereits im Vorfeld ihrer Kandidatur bewarfen Politiker sie mit Schlamm und Dreck, weil sie nicht ins traditionelle Frauenbild passte. Das Parlament zog ihr den SP-Nobody Francis Matthey vor. Die Nichtwahl von Brunner löste breite Empörung und massive Frauenproteste aus. Und ging als «Brunner-Skandal» in die Geschichte ein. Matthey musste sich schliesslich zurückziehen, und Ruth Dreifuss wurde gewählt.
EVELINE WIDMER-SCHLUMPF (*1956)
Am 12. Dezember 2007 bescherte sie Christoph Blocher das Trauma seines Lebens: Das Parlament wählte ihn als Bundesrat ab und Eveline Widmer-Schlumpf zu seiner Nachfolgerin. Seither gilt die Bündnerin in der SVP-Führungsclique als grösste Verräterin auf Erden. Die SVP forderte sie ultimativ auf, zurückzutreten. Schliesslich schloss die Partei die Bündner Sektion, der Widmer-Schlumpf angehörte, aus der SVP aus. Widmer-Schlumpf hatte es gewagt, sich dem Diktat von Herrliberg zu entziehen. Im April 2008 sympathisierten in Bern 12’000 Personen mit Widmer-Schlumpf, die bis 2015 Bundesrätin blieb.
Fotos: Keystone (3), Sozialarchiv (1)