Über erlittene sexuelle Gewalt zu reden fällt schwer. Einfacher: ein vertrauliches Mail an belästigt.ch.
NEIN HEISST NEIN: Arbeitgeber, die sexuelle Belästigung nicht energisch unterbinden, machen sich strafbar. (Foto: belästigt.ch)
Fast die Hälfte aller Opfer von sexueller Belästigung oder Gewalt behalten das Vorgefallene für sich – aus Scham, aus Angst, dass dem Bericht nicht geglaubt wird, oder weil sie denken, eine Anzeige mache das Ganze nur noch schlimmer. Auch dies ein Resultat der Umfrage von Amnesty International Schweiz (siehe Artikel «Das muss sich ändern!»). Zwar gibt es in jedem Kanton Beratungsstellen. So schreibt es das Opferhilfegesetz vor. «Aber das Problem der hohen Hürde ist uns bekannt», sagt Manuela Giovanoli, Sekretärin Gleichstellungspolitik der Unia. «Vor zwei Jahren haben wir deshalb das Portal belästigt.ch gestartet, um den ersten Schritt so einfach wie möglich zu gestalten und so anonym, wie es die betroffene Person wünscht.»
«Die Nachfrage zeigt, dass es unser Portal braucht.»
VERTRAULICHES MAIL. Das Online-Erstberatungsangebot ist ein Gemeinschaftswerk der Unia, der Stadtzürcher Fachstelle für Gleichstellung, des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner und der «frauenberatung: sexuelle gewalt zürich». So funktioniert es: Die betroffenen Personen schreiben im Mail-Formular auf, was ihnen geschehen ist. Das Mail wird verschlüsselt übermittelt. Das Beratungsteam antwortet innerhalb von drei Tagen. Es zeigt mögliche Handlungsoptionen auf und vermittelt Adressen, beispielsweise für eine ausführlichere persönliche Beratung. Diese gibt’s in Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch.
Im Durchschnitt nehmen zwei Personen pro Woche den Beratungsdienst in Anspruch. Zu fünf Sechsteln sind es Frauen, zu einem Sechstel Männer. Und etwa jede zehnte Anfrage erfolgt in einer Fremdsprache. «Die konstante Nachfrage bestätigt uns, dass ein Portal wie belästigt.ch notwendig ist», sagt Manuela Giovanoli, «für die Unia und ihre Partnerorganisationen steht ausser Frage, dass wir das Angebot weiterführen.» Dies, obwohl die Anschubfinanzierung des Bundes nun ausläuft: «Dass solche Anlaufstellen bitter nötig sind, hat die Amnesty-Umfrage einmal mehr deutlich gezeigt.»