Gipserin Rosina Ebneter: «Der Frauenraum hat mich politisiert»

Auf den Baustellen ist sie von Männern umgeben. Privat sorgt sie dafür, dass Frauen ins Rampenlicht rücken: Rosina Ebneter (28), Gipserin und Berner Reitschulaktivistin.

EASY BLEIBEN. Von der Hektik auf den Baustellen versucht Gipserin Rosina Ebneter (28) sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. (Fotos: Severin Nowacki)

Für Laien ist es ein Stück Metall. Für Rosina Ebneter ist es ihr «Goldwerkzeug»: Eine Ziehklinge, unabdingbares Utensil für ihre aktuelle Tätigkeit. Die 28jährige steht auf einem Gerüst im Casino Bern und schabt mit dem Werkzeug Gipsreste aus der Deckenverzierung. Sie arbeitet ruhig, konzentriert und regelmässig, es wirkt fast meditativ. Keine Spur von Hektik, obwohl am nächsten Tag Aufrichte mit Hunderten geladenen Gästen gefeiert wird. Das bedeutet für Rosina Ebneter und ihre Kollegen, dass sie die Baustelle räumen müssen – nur, um nach dem Festakt wieder alles zurückzuräumen und die Arbeit wiederaufzunehmen.

FRAUENWELT. Die junge Frau zuckt die Achseln. «Wir sind sehr oft unter Zeitdruck, weil das Bauprogramm nicht eingehalten wird. Man muss die Nerven behalten und easy bleiben», sagt die Gipserin. Das ist bei Rosina Ebneter nicht nur eine Durchhalteparole, sondern entspricht ihrem Naturell. Sie sei ruhig, humorvoll und organisiert, sagt sie von sich selbst. Im Gespräch wirkt sie unaufgeregt, überlegt und dennoch offen – immer wieder bricht ein Lachen aus ihr heraus. Man hat den Eindruck, dass ­Rosina Ebneter ein gmögiger Mensch ist, ­jemand, der lebt und leben lässt.

Schon in der 7. Klasse war sie in einem Gipsergeschäft schnuppern. Richtig überzeugt von diesem Beruf war sie damals ­allerdings noch nicht. Lieber wollte sie Konditorin werden. Doch weil es mit der Lehrstellensuche nicht richtig klappen wollte, besann sie sich auf das Angebot ­eines Kollegen ihres Vaters und machte doch die Gipserlehre. «Wahrscheinlich war letztlich meine jugendliche Faulheit ausschlaggebend», sagt sie lachend. Doch sie merkte schnell, dass die Wahl richtig war. «Ich finde es schön, dass ich am Abend die Resultate meiner Arbeit sehe, mit verschiedenen Materialien arbeiten und kreativ sein kann.»

Schon am Anfang ihrer Lehre wurde Rosina Ebneter Gewerkschaftsmitglied. «Die Unia kam auf eine Baustelle, und ich fand ihr Engagement gut. Aber mein politisches Interesse erwachte erst später.» Später – das war, als die junge Frau von Biglen nach Bern umzog und in der Reitschule ein zweites Zuhause fand. «Der Frauenraum hat mich politisiert», sagt sie. Durch ihre damalige WG-Kollegin lernte sie den Frauenraum in der Reitschule kennen und engagierte sich schnell auch selber. «Sich gegenseitig fördern, Frauen auf die Bühne bringen, gemeinsam mit anderen Frauen Veranstaltungen organisieren, mal hinter dem Mischpult stehen, das gefällt mir», sagt sie.

PRÄZISIONSARBEIT: Gipserin Rosina Ebneter macht filigrane Decken­verzierungen, auch Stuck genannt.

MÄNNERWELT. Der Frauenraum, das ist auch eine Gegenwelt zu ihrem Berufsalltag. «Es ist schon ein Männerberuf», sagt sie, schiebt dann aber gleich nach: «So wie früher jeder Beruf ein Männerberuf war.» Immerhin hat sie in den letzten Jahren beobachtet, dass es auf Baustellen immer mehr Frauen gibt, Schreinerinnen, Elektrikerinnen, Malerinnen. Fühlt sie sich wohl in dieser Männerwelt? «Mit meinen Kollegen habe ich es sehr gut», sagt sie. «Aber ich bin sehr oft mit sexistischen Sprüchen konfrontiert. Dabei geht es meistens gar nicht um mich.»

So habe sie kürzlich gehört, wie ein Maler sich über die Brüste einer Passantin ge­äussert habe. In solchen Situationen mischt sie sich meistens nicht ein – unter anderem deshalb, «weil mir der richtige Spruch erst im nachhinein in den Sinn kommt». Wird sie allerdings direkt angesprochen, kann sie durchaus kontern. Der Klassiker laute: Ah, das hast du jetzt aber schon noch gut gemacht als Frau. «Dann sage ich: Merci, ich kann’s hundert Mal besser als du.»

WEITE WELT. Verderben lässt sich Rosina Ebneter von Grossmäulern die Laune eh nicht. Dafür ist sie zu sehr Lebemensch. Gerade ist sie von einer mehrmonatigen Reise nach Mexiko zurückgekehrt, nächstes Jahr will sie mit dem Velo nach Dänemark. Dass sie sich immer mal wieder Auszeiten nehmen kann, hat sie sich von ihrem Arbeitgeber, der Firma Wenger und Hess, ausbedungen. Sie kann sich vorstellen, dass ihr Leben noch ein paar Jahre so weiterläuft, ihr 80-Prozent-Job, Schrebergarten, Reitschule, Reisen. «Momentan gefällt mir mein Leben sehr gut so.» Wo sie in ein paar Jahren sein wird? «Ich habe absolut keinen Plan», sagt sie. «Ich lebe im Hier und Jetzt. Und wenn es nicht mehr stimmt, schaue ich weiter.»

Dabei ist ihr natürlich sehr wohl bewusst, dass der Job mit zunehmendem Alter auch seinen Tribut fordert. «Viele Kollegen haben einen kaputten Rücken, eine neue Hüfte oder Schulterprobleme», sagt sie – und fügt lachend hinzu. «Es wäre toll, wenn wir im Betrieb eine Physiotherapie hätten.» Doch nicht nur in der Gesundheit sieht sie Verbesserungspotential in der Branche. «Was mir manchmal auf den Baustellen fehlt, ist der respektvolle Umgang miteinander», sagt sie und erzählt, dass im Casino schon von ihr angefertigte Stuckteile kaputtgingen, weil andere sich achtlos auf der Baustelle bewegen. Sie bemängelt auch, dass auf vielen Baustellen bei der Entsorgung kaum auf Mülltrennung geachtet werde. «Bei uns im Betrieb rezyklieren wir aber fast alles», sagt sie. Und dann gibt es noch etwas, das sie sich sehr wünscht: «Es ist manchmal echt schwierig, auf Baustellen ein WC zu finden», sagt sie. Nebst diesen praktischen Anregungen hofft Rosina Ebneter aber auch auf grundlegende Änderungen: «Es braucht endlich mehr Teilzeitstellen, damit sich die Väter mehr Zeit für die Familien nehmen und die Mütter arbeiten gehen können», sagt sie. «Und damit alle Menschen, die es wollen, ein Stück mehr Freizeit bekommen.»


Rosina Ebneter Berufs-Champion

Rosina Ebneter ist mit zwei älteren Brüdern im Biglen im Emmental aufgewachsen. Ihr Vater ist Sanitärinstallateur, ihre Mutter Podologin. Rosina Ebneter lebt in einer 2er-WG in Bern und verbringt ihre Freizeit gerne in ihrem Schrebergarten, beim Wandern oder im Frauenraum der Reitschule. Die leidenschaftliche Köchin lässt sich von ihren Reisen durch fremde Küchen inspirieren und kombiniert diese mit Gemüse und Kräutern aus eigener Produktion.

KONTRAST. Wenn sie sich mit Freundinnen aus Kindheitstagen trifft, prallen unterschiedliche Welten und politische Ansichten aufeinander. «Da herrscht oft die Meinung, dass wir Frauen ja schon alles erreicht hätten», sagt sie kopfschüttelnd. «Aber hallo: Das gilt eben nicht für alle Frauen.» Auch mit ihrer Familie hat sie das Heu politisch nicht auf der gleichen Bühne. «Deshalb sprechen wir meistens nicht über Politik, aber bei Abstimmungen will man die anderen ja manchmal doch überzeugen», sagt die zweifache Gotte.

Berufs-WM. Rosina Ebneter hat 2011 an den World-Skills-Competitions (Berufs-WM) in London die Bronzemedaille gewonnen. Sie ist Unia-Mitglied und verdient in ihrem 80-Prozent-Job rund 4320 Franken brutto im Monat.

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