Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Äs mönschelet» – diese Floskel konnte die Briefträgerin schon als Jugendliche nicht leiden. Und sie mag sie auch heute nicht. «Äs mönschelet» – was soll das heissen? Als Naturgesetz wird beschworen, was allenfalls Kulturgesetz, auf jeden Fall aber Ausrede ist. Dann, wenn damit gesagt werden soll, dass man nichts machen kann. Dass die Menschen eben so sind. Und das meint dieser Satz meistens. Er verzeiht billigend.
Manchmal kommt Frau auf einem eigenen Weg zurück zu den Weisheiten der Alten. Doch dasselbe ist dann nicht dasselbe. Zwei Sätze tönen manchmal gleich, meinen aber nicht das gleiche.
«Äs mönschelet» – je älter die Briefträgerin wird, desto dringlicher fragt sie sich, warum viele Menschen so sind, wie sie sind oder sich geben. Warum es Leute gibt, die einfühlsam und grosszügig sind. Und viel mehr Leute, die vor allem an sich selber und die Befriedigung ihrer Machtwünsche denken. Die Briefträgerin weiss darauf weniger denn je eine Antwort. Früher machte sie die Verhältnisse verantwortlich. Das tut sie heute noch, doch die Verhältnisse reichen nicht mehr als Erklärung. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Aber umgekehrt stimmt der Satz auch. «Äs mönschelet» ist eine nichtssagende, faule Antwort.
«‹Äs mönschelet› ist eine nichtssagende, faule Antwort.»
SPIELRAUM. Was aber, wenn der Satz eine neue Bedeutung erhielte? «Äs mönschelet» hiesse dann: Es gibt immer einen Spielraum. Es gibt auch in hierarchischen Strukturen Spielräume, die genützt werden können. So oder so.
Die Post ist nicht gleich die Post. Das weiss die Briefträgerin spätestens seit ihrer Ankunft am neuen Arbeitsort. Hier weht ein anderer Wind. Auch hier gilt als oberste Maxime die Effizienz, das Erwirtschaften von Profit. Doch die Pöstlerinnen und Pöstler bewegen sich hier anders. Schöner. Sie arbeiten normal. Kein Dauergehetz und -gerenne. Sie messen sich nicht ständig mit andern, sie verwechseln nicht Hochleistungssport und Arbeit.
ZUM DABEISEIN. Die Vorgesetzten sind am neuen Ort sicher nicht weniger unter Druck als am alten. Von Bedeutung ist, wie sie diesen Druck nach unten weitergeben. Ist ein Teamleader (Teamleaderinnen gibt es kaum) vom Ehrgeiz durchdrungen, die besten Kennzahlen zu bringen, dann gibt es weder Gnade noch Mass, sondern Mahnungen und Peitsche. Umfasst der Horizont eines Teamleaders jedoch mehr als Ranglisten und Zustellzeiten, Performance und Gratifikation – dann ist es zum Dabeisein.
Mönschelets de?