Während die Schweiz punkto Erwerbslosigkeit mit 4,7 Prozent immer noch relativ gut abschneidet, sieht es bei der Unterbeschäftigung ganz anders aus. Als unterbeschäftigt gelten jene Personen, die in einem Teilzeitpensum sind, aber eigentlich mehr arbeiten möchten. Dies sind zu einem grossen Teil Frauen. Mit 7 Prozent (Frauen 10,8 Prozent) hat die Schweiz die höchste Unterbeschäftigungsquote in Europa. Im EU-Durchschnitt sind es nur 3,4 Prozent.
(Quelle: Bundesamt für Statistik, Schweiz. Arbeitskräfteerhebung (SAKE))
STILLE RESERVE. Insgesamt waren 2018 in der Schweiz 587’000 Personen erwerbslos oder unterbeschäftigt. Hinzu kommen 243’000 Personen der sogenannten stillen Reserve. Das sind insbesondere Menschen, die aus verschiedenen Gründen keine Arbeit suchen, aber eigentlich für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Auch hier gibt es mehr Frauen als Männer. Als Ursache werden am häufigsten «familiäre Gründe» angegeben. Weiterbildung oder die Hoffnungslosigkeit, je wieder eine Stelle zu finden, sind andere Gründe. Dazu braucht es allerdings eine wichtige Fussnote: Die Statistik befasst sich an dieser Stelle nur mit Erwerbsarbeit. Bekanntlich werden in der Schweiz etwa gleich viele Stunden Gratisarbeit geleistet wie Lohnarbeit. Besonders viele «unterbeschäftigte» Frauen arbeiten in Tat und Wahrheit ganz viel, indem sie Kinder betreuen, alte Menschen pflegen oder Hausarbeit leisten. Der Wunsch vieler wäre aber, mehr auf ihrem Beruf tätig zu sein und einen ordentlichen Lohn für ihre Arbeit zu bekommen. Insgesamt gibt es also rund 830’000 Personen, die in der Schweiz erwerbslos und unterbeschäftigt sind oder der sogenannten stillen Reserve angehören. Das sind 17 Prozent der Erwerbsbevölkerung!
RIESIEGES POTENTIAL. Diese Zahl steht im Widerspruch zu den Befürchtungen, dass es immer weniger Erwerbstätige durch Überalterung gebe und deshalb unsere Sozialwerke bedroht seien. 830’000 Menschen sind ein riesiges Potential. Würde auch nur ein Teil dieser Reserve ausgeschöpft, wäre die AHV gesichert, und wir benötigten weder ein zusätzliches Mehrwertsteuerprozent noch eine Erhöhung des Frauenrentenalters. Mit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zum Beispiel durch bezahlbare Krippen und Tagesschulen, könnten bereits ein grosser Teil der «unterbeschäftigten» Personen wieder einem bezahlten Beruf nachgehen oder ihr Pensum erhöhen.
Hans Baumann ist Ökonom und Publizist.