Menschen, die arbeiten, sind von der Klimakrise besonders betroffen: in den Fabriken und Büros, in Spitälern und auf dem Bau. Deshalb ist der Klimaschutz ein zentrales Gewerkschaftsthema. Das haben Maurizio Landini in Italien und Frank Bsirske in Deutschland längst verstanden.
«Ohne Erde hat kein Volk eine Zukunft»: Rund 100 000 Aktivistinnen und Aktivisten protestierten im September auf der Piazza del Popolo in Rom für den Klimaschutz. (Foto: Getty)
Zwei Klimastreiks hat er schon hinter sich. Dabei ist er erst im vergangenen Januar zum Chef des grössten italienischen Gewerkschaftsbundes, CGIL, gewählt worden: Maurizio Landini (58). Und er ist gleichzeitig der wohl klimabewegteste Gewerkschafter in hoher Funktion in Europa. Landini findet: «Wir müssen mit den Jungen zusammenstehen. Denn die Umwelt verteidigen heisst auch die Qualität der Arbeit verteidigen.» So ist er zum Vorreiter des Bündnisses von Gewerkschafts- und Klimabewegung geworden. Ein Bündnis, das die Welt verändern kann.
«Die Umwelt verteidigen heisst
auch die Qualität der Arbeit verteidigen.»
GRETA UND LANDINI
Auf jeden Fall bringt es mächtig Schub. Die CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro) ist die grösste Gewerkschaft in Europa. Wenn sie zwischen Mailand und Palermo ihre fünf Millionen Mitglieder mobilisiert, sind schnell Massen auf den Beinen. Und so kamen 100 000 zusammen, als Italien im September auf der Piazza del Popolo in Rom für den Klimaschutz demonstrierte. Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten von «Fridays for Future» hatten mobilisiert. Aber auch die CGIL. Zuvor hatte Landini ein klares symbolisches Zeichen gesetzt: Er lud Greta Thunberg in die CGIL-Zentrale ein.
Thunberg, die Galionsfigur der globalen Klimabewegung, liess sich nicht lange bitten. Sie erschien allein und so schlicht wie stets auf der Gewerkschaftszentrale in Rom. Landini drückte ihr die Hand und würdigte ihren kompromisslosen Einsatz gegen die Klimazerstörung mit folgenden Worten: «Wir sind sehr froh, dass die Jungen jetzt eine Veränderung fordern und für eine bessere und nachhaltige Produktion mobilisieren. Wir sind alle Beteiligte in diesem Kampf und wollen euch unterstützen.» Landini überreichte Greta die Ehrenmitgliedskarte der CGIL. Und dazu noch einen knallroten Faserpelz samt Mütze – «nützlich bei Streiks» (siehe Video auf rebrand.ly/thunberg-landini).
Kaum sonstwo in Europa ist der Schulterschluss zwischen der Bewegung «Fridays for Future» und einer Gewerkschaft so weit gediehen wie in Italien. Es erregte denn auch keinerlei Aufsehen, als der CGIL-Chef Ende September in einem Videoappell zur Teilnahme an einer weiteren Klima-Grossdemo aufrief. Landini sagte: «Die CGIL unterstützt den Kampf der Jungen für das Klima. Wir müssen die Produktion ändern. Das wird ein harter Kampf. Aber zusammen sind wir in der Lage, ihn zu gewinnen.» Schon lange fordern die italienischen Gewerkschaften Investitionen in die marode Infrastruktur des Landes. Siehe den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua im August 2018. So sollen viele neue Jobs entstehen.
Unlängst haben die drei Gewerkschaftsdachverbände Italiens, CGIL, CISL und UIL, ein gemeinsames Papier für eine «grüne» Wirtschaft publiziert. Sie fordern darin in groben Zügen den ökologischen und sozialverträglichen Umbau der Gesellschaft. Eine neue Behörde, so ihre Vorstellung, soll den Prozess leiten und überwachen. Dieser gewerkschaftliche Druck zeigt nun Wirkung. Soeben hat die italienische Regierung ein Massnahmenpaket vorgestellt, das unter anderem Energiesparsubventionen sowie eine Verschrottungsprämie für alte Autos vorsieht, die den neuen CO2-Normen nicht mehr genügen.
Deutschlands Landini heisst Frank Bsirske und war bis vor wenigen Tagen Chef der grossen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Jetzt geht er in Pension. Noch im August hatte er ein gewaltiges Rauschen im deutschen Blätterwald verursacht. Der Grund: Bsirske forderte, die Gewerkschaften müssten sich den Klimaprotesten anschliessen. Er rief sogar alle Arbeitnehmenden auf, wenn möglich auszustempeln und an die Klimademos zu gehen. «Wir müssen Flagge zeigen für eine konsequente Klimapolitik», so Bsirske. Es war der erste Aufruf dieser Art aus dem Lager der deutschen Gewerkschaften und darum so spektakulär.
«Das Ökologische und das Soziale gehören zusammen.»
BSIRSKE UND DIE KOHLEKUMPEL
Für Bsirske ist «Fridays for Future» eine «beeindruckende neue Jugendbewegung». Zu Recht würden die jungen Menschen fordern, dass gegen die bedrohliche Klimakrise energischer gehandelt werde, als das bisher der Fall sei, gab er den Medien zu Protokoll. Dabei ist sich Bsirske der Probleme mit dem unvermeidlichen Abbau von Jobs in gewissen Branchen bewusst. Verdi organisiert zwar keine Kohlekumpel, aber doch viele Angestellte in den deutschen Kraftwerken zur Kohleverstromung. Vor vier Jahren hat Verdi am Bundeskongress beschlossen, aus Umweltgründen möglichst schnell aus der Kohleverstromung auszusteigen. Dies müsse aber sozialverträglich geschehen. Bsirske: «Die Kolleginnen und Kollegen in den Kraftwerken, aber auch im Tagebau müssen davor geschützt werden, arbeitslos zu werden und ins Freie zu fallen.» Der Strukturwandel müsse sorgfältig gestaltet werden.
Der Kohleausstieg ist in Deutschland für 2038 vorgesehen, so der offizielle Plan. «Fridays for Future» verlangt aber schon 2030 als Termin. Ein Problem für Verdi? Dazu sagt Bsirske, es könne sicher auch schneller gehen. Aber die Voraussetzungen für einen Ausstieg müssten gegeben sein, und daran müsse man erst noch arbeiten. Es brauche einen Ausbau der Verteilnetze sowie einen Strom, der bezahlbar sei. Sonst werde die Bevölkerung den Umbau nicht akzeptieren. Bsirske sagt: «Das Ökologische und das Soziale gehören zusammen, wenn man das, was wir hinkriegen müssen, erfolgreich bewältigen will.»
MERKEL UND DIE METALLER
Der Aufruf, an den Klimademos teilzunehmen, hat offenkundig ein Tabu gebrochen. Doch die Gewerkschaft Verdi steht in Deutschland keineswegs alleine da. Selbst die mächtige IG Metall unter Chef Jörg Hofmann, die auch die Arbeitnehmenden in der deutschen Autoindustrie organisiert, bewegt sich. Sie bringt den «Fridays for Future»-Aktionen grosse Sympathien entgegen. Zwar hat sie nicht explizit zur Demoteilnahme aufgerufen. Doch sie begrüsst ein Mitmachen ausdrücklich. In einem Aufruf heisst es: «Wir teilen das Ziel, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Ein rascher und grundlegender ökologischer Umbau unseres Wirtschaftens ist dringend notwendig.» Dies müsse sozial und demokratisch geschehen. Beschäftigung und gute Arbeit müssten in einer ökologischen Wirtschaft enthalten sein und ausgebaut werden.
Konkret verlangt die IG Metall zusammen mit dem deutschen Naturschutzbund eine Energie- und Mobilitätswende, unter anderem den massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bis hin zum Nulltarif für Schüler und Studentinnen. Zur Finanzierung der Klimaschutzmassnahmen fordert Deutschlands mächtigste Gewerkschaft eine stärkere Besteuerung der hohen Vermögen, eine Erbschaftssteuer sowie eine Abkehr von der rigiden Sparpolitik der Merkel-Regierung («schwarze Null»).
Maurizio Landini Der Sozialist
Maurizio Landini (58) war Chef der italienischen Metaller, bevor er zu Jahresbeginn zum Generalsekretär des linken Gewerkschaftsdachverbands CGIL gewählt wurde. Aus bescheidenen Verhältnissen in der Emilia Romagna stammend, stieg er rasch in der Metallgewerkschaft FIOM auf. Landesweit bekannt wurde er durch seinen Streit mit Fiat-Chef Sergio Marchionne und dessen Steuerflucht-Praktiken. Sozialist Landini hat auch massgeblich die Grossdemo vom letzten März gegen die Sparpolitik der Rechtsaussenregierung von Matteo Salvini organisiert.
Frank Bsirske Der Grüne
Frank Bsirske (67) führte 18 Jahre lang die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Jetzt geht der Grüne in Pension. Er hat Verdi auf einen kämpferischen Kurs getrimmt. An seiner Abschiedsrede sagte Bsirske, man habe in den letzten Jahren nur einmal eine streikfreie Woche gehabt, nämlich in der Woche 52 des Jahres 2015 (das waren die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr). Frank Bsirske war auch massgeblich daran beteiligt, dass es in Deutschland heute einen gesetzlichen Mindestlohn gibt.