Andreas Rieger
Jean-Claude Junckers Tage sind gezählt. Der Präsident der EU-Kommission tritt nach fünf Jahren ab. Ein Grund zur Freude? Den Abgang seines Vorgängers, José Manuel Barroso, begleiteten die Gewerkschaften mit lautem Schimpfen. Er hatte Portugal, Irland und Griechenland in die Schuldknechtschaft gejagt. Er trieb die Deregulierung der Arbeitsbeziehungen voran und den Sozialabbau. 20 Millionen Menschen wurden arbeitslos.
Junker wusste bei seinem Antritt, dass die EU bei den Leuten angezählt ist. «Kommission der letzten Chance» nannte er seine Regierung und verteilte auf alle Seiten Küsschen. Den Gewerkschaften versprach er Arbeitsplätze, die Bekämpfung des Lohndumpings, einen europäischen Mindestlohn. Nach fünf Jahren wissen wir: Es war viel warme Luft. Sein Investitionsplan zur Schaffung von Arbeitsplätzen blieb mickrig, immer noch sind fünfzehn Millionen Menschen arbeitslos. Der Mindestlohn ging vergessen. Immerhin gibt es jetzt soziale Reformen: einen minimalen Elternurlaub, die Europäische Arbeitsbehörde, Massnahmen gegen Lohndumping. Auf dem falschen Fuss erwischte Juncker jedoch die Flüchtlingspolitik. Seine Kommission hing hilflos in der Luft, weil die meisten Mitgliedstaaten blockten.
Auch von der Leyen kann alleine nicht liefern.
KLIMA UND LÖHNE. Nun kommt die «Neue», EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auch ihr Programm ist voller schöner Punkte. Als dringlichste Aufgabe bezeichnet sie die «ökologische Wende». Und sagt: «Europa soll der erste klimaneutrale Kontinent werden.» Ein europäisches Gesetz soll die Senkung der CO2-Emissionen beschleunigen. Ein «Fonds für einen fairen Übergang» hilft verhindern, dass einzelne Regionen oder Gruppen in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Lohn. «Jeder Mensch, der Vollzeit arbeitet soll einen Mindestlohn erhalten, der einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht.» Ein «gerechter Mindestlohn» soll dies verbindlich sicherstellen.
Gegen diese Projekte der EU-Kommission werden starke Kräfte Sturm laufen. Reiche, die zahlen müssten, und Politiker, die den Staat weiter auf Schmalkost halten möchten. Sie werden auch von der Leyen zeigen wollen, wo die Macht hockt: nicht in der EU-Kommission, sondern bei den potenten Unternehmen und bei den Regierungen in Berlin, Paris, Warschau usw. Ursula, wie sie genannt wird, kann alleine nicht liefern. Es braucht den Druck von der Klimabewegung und den Gewerkschaften.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.