Soll der Verkauf von Benzinautos und der Einbau neuer Gas- und Ölheizungen verboten werden? Wenn ja, bis wann? Und neun weitere brennende Fragen zur Klimapolitik an Grünen-Chefin Regula Rytz und SP-Chef Christian Levrat.
KLIMA-KLARTEXT: SP-Chef Christian Levrat und Grüne-Chefin Regula Rytz. (Foto: Keystone, Montage. work)
Bis wann soll die Schweiz CO2-neutral sein? Regula Rytz: Die Klimakrise ist die grösste Herausforderung, welche die Menschheit je bewältigen musste. Die Schweiz darf deshalb nicht bis 2050 warten, um ihre Emissionen auf netto null zu senken. Sie ist ein wohlhabendes Land, das mit der Industrialisierung früh mit dem Ausstoss von Treibhausgasen begonnen hat und vom Temperaturanstieg stark betroffen ist. Bundesrat und Parlament sollen sich deshalb am ehrgeizigen Ziel orientieren, bis 2030 klimaneutral zu sein. Dazu müssen in erster Linie die Emissionen im Inland gesenkt werden. Das Ziel der Grünen ist es, den Klimagasausstoss im Inland gegenüber 1990 um mindestens 60 Prozent zu reduzieren. Dazu müssen beispielsweise die verkehrspolitischen Massnahmen im CO2-Gesetz des Ständerates nachgebessert werden.
Ein wichtiger Hebel ist auch der Finanzplatz Schweiz. Die von ihm gesteuerten Aktivitäten verursachen ein Zwanzigfaches der einheimischen Treibhausgasemissionen. Die Finanzbranche soll Transparenz schaffen und bis 2024 festlegen, wie sie das 1,5-Grad-Ziel erreichen kann (verbindlicher Absenkpfad). Die Grünen haben dazu im CO2-Gesetz konkrete Vorschläge gemacht. Leider hat der Ständerat sie nicht weiterverfolgt. Auch im work-Klima-Umbauplan fehlt der Finanzmarkt gänzlich. Hier muss nachgebessert werden.
Christian Levrat: So bald wie möglich, aber allerspätestens 2050.
Regula Rytz, Präsidentin Grüne
Regula Rytz (57) ist Präsidentin der Grünen und Nationalrätin. Jetzt kandidiert sie im Kanton Bern für den Ständerat. Zuvor war die Historikerin Mitglied der Berner Stadtregierung und SGB-Zentralsekretärin. Rytz lebt in der Stadt Bern.
Christian Levrat, Präsident SP
Christian Levrat (49) ist Präsident der SP Schweiz und Ständerat. Zuvor war der Politikwissenschafter Präsident der Gewerkschaft Kommunikation (heute Syndicom) und SGB-Vizepräsident. Levrat lebt in Vuadens FR.
Soll ein Teil des CO2-Ausstosses kompensiert werden können? Wenn ja, wie? Regula Rytz: Ja. Am nachhaltigsten sind die natürlichen Kohlenstoffsenken (Wälder, Begrünung und humusreiche Böden). Und ja, auch im Ausland. Zwei Drittel der Treibhausgasemissionen der Güter, die wir in der Schweiz konsumieren, entstehen bei der Produktion im Ausland. Das sind die «grauen Emissionen». Deshalb sind (abnehmende) Auslandkompensationen in den nächsten Jahren sinnvoll. Sie müssen aber zwingend einen Beitrag an die Nachhaltigkeitsziele der Uno («Sustainable Development Goals») leisten und die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung verbessern. Der WWF hat bereits Qualitätskriterien festgelegt. Ein weiterer wichtiger Hebel ist es, die Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette bei Importen zu reduzieren. Die Grünen haben dazu in der Herbstsession eine Revision des Umweltschutzgesetzes durchgebracht. Neu darf Holz aus illegaler Abholzung nicht mehr importiert werden. Und auch für kritische Rohstoffe wie Palmöl oder Soya sind Mindestkriterien möglich. So können die im Ausland entstehenden «grauen Emissionen» vermindert werden.
Christian Levrat: Die ersten 80 Prozent der CO2-Reduktion sind einfach zu realisieren und günstig. Diese soll man vollständig im Inland machen, hauptsächlich, indem man den Erdölverbrauch mit Effizienzsteigerung und erneuerbaren Energien in Richtung null reduziert. Wenn Kompensation darin besteht, irgendwo auf der Welt CO2-Reduktionsprojekte einzukaufen, damit man in der Schweiz weiterhin mehr Erdöl verbrennen darf, sind wir strikt dagegen. Die letzten 20 Prozent in Richtung netto null CO2 sind jedoch schwieriger umzusetzen.
Hier können wir uns vorstellen, dass man etwa Projekte wie die Ausscheidung von CO2 aus der Luft dank inländischer Solarenergie oder die Aufforstung von Wüsten in Betracht zieht. Für diese letzten 20 Prozent kann die Kompensation teilweise im Ausland geschehen. Wichtig ist hier die globale Gerechtigkeit. Die Schweiz muss Entwicklungsländern helfen, ihren Wald und Boden zu schützen. Dies soll sie aber selbstlos tun und nicht als Kompensation für eigene Emissionen. Zwischen Klimaschutz und den Uno-Zielen zur nachhaltigen menschlichen Entwicklung gibt es Synergien. Das zeigt der Bericht des Weltklimarates über die globale Erwärmung.
Sind Sie für die volle Rückerstattung von Lenkungsabgaben? Und wenn nein, wie wollen Sie diese verwenden? Regula Rytz: Die soziale Ausgestaltung von Lenkungsabgaben ist für uns Grüne entscheidend. Entweder werden sie vollumfänglich an die Haushalte zurückerstattet. Oder es wird so, wie heute, ein Teil in die Verbilligung von Gebäudesanierungen investiert. Dies verbunden mit einem Ausbau des Mieterschutzes.
Christian Levrat: Ja, die Lenkungsabgaben gehören pro Kopf der Bevölkerung zurückerstattet. Das ist sozial, und die Kaufkraft der Menschen wird gestärkt. Insbesondere muss dies für Lenkungsabgaben auf Treibstoffe und Brennstoffe gelten, denn diese sind grosse Posten im Budget von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen.
Wollen Sie den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen verbieten? Wenn ja, bis wann? Regula Rytz: Ja. Wobei es weniger ein Verbot ist als das Gebot, eine alte durch eine neue Technologie zu ersetzen. Bei Neubauten ist es heute faktisch schon so weit. Wir Grüne fordern, dass ab 2030 auch bei Altbauten keine neuen fossilen Anlagen installiert werden können. Damit das sozialverträglich gelingt, muss die öffentliche Hand die Mieter und Vermieterinnen unterstützen. Wir verlangen zum Beispiel im Kanton Aargau mit einer Volksinitiative eine Erhöhung der Sanierungsquote auf drei Prozent und Investitionen in ein Gebäudeprogramm.
Christian Levrat: Ja, ab sofort für die neuen Gebäude. Für umfangreiche Sanierungen muss das Verbot relativ rasch kommen, spätestens in fünf Jahren. Was uns auch ganz wichtig ist: Für Eigentümer von Gebäuden, die besonders viel CO2 ausstossen, braucht es eine Sanierungspflicht. Genauso wie es im Verkehr nicht angeht, mit einer Dreckschleuder umherzufahren, darf es nicht erlaubt sein, mit einer schlechten Heizung dauerhaft dem Klima zu schaden.
Soll der Verkauf von Autos, die Benzin oder Diesel verbrennen, verboten werden? Wenn ja, ab wann? Regula Rytz: Ja. Wobei auch hier ist es weniger ein Verbot als der logische Ersatz einer alten durch eine neue Technologie. Ab 2030 sollen keine neuen fossil betriebenen Fahrzeuge mehr in Betrieb genommen werden. Diese Frist gibt der Automobilindustrie den Anreiz, schneller neue Antriebstechnologien zu entwickeln. Darüber hinaus müssen wir den Verkehr mit besserer Raumplanung, Digitalisierung und intelligentem Mobilitätsmanagement reduzieren.
Christian Levrat: Das allerletzte mit fossiler Energie betriebene Fahrzeug soll 2035 zugelassen werden. Danach dürfen die Fahrzeuge nur noch elektrisch fahren (mit Batterie und/oder Wasserstoff als Speichermittel). So kann sichergestellt werden, dass die letzten Benzin- und Dieselautos 2050 aus dem Verkehr genommen werden. Der Umstieg des Grossteils der Autos von Fossil auf Elektrisch muss aber viel schneller erfolgen. Darum müssen E-Autos so rasch wie möglich für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich sein. Es ist ermutigend, dass der Preisunterschied zu den fossil betriebenen Autos immer kleiner wird.
Wenn die Schweiz den ökologischen Umbau mit dem Ausstieg aus der Atomenergie verbinden will, brauchen wir 50 Milliarden kWh Strom. Mit welchen erneuerbaren Energien sollen diese produziert werden? Und wie viel davon darf im Ausland produziert und dann importiert werden? Regula Rytz: Mit Sonne, Wind, Biomasse und Wasser. Heute werden 80 Prozent der Energie importiert. In Zukunft sollen es maximal 20 Prozent sein.
Christian Levrat: Vor allem mit Solarstrom. Dazu braucht es rund 50 Gigawatt installierte Photovoltaikleistung. Das ist nur 25 Mal mehr als heute und absolut machbar, da das Potential in der Schweiz bei 120 Gigawatt liegt. Die anderen erneuerbaren Energien wie Wind, Wasser und Biomasse sind sehr willkommen, können aber nur einen kleinen Teil der zusätzlich benötigten Leistung beisteuern. Nur die Sonnenenergie kann genug liefern. Strom wird immer wichtiger im Energiemix. Es darf nicht sein, dass wir noch einmal für den Strom in eine schädliche Abhängigkeit zurückfallen, wie wir sie beim Erdöl hatten. Strategisch gesehen sollte die Schweiz auf das ganze Jahr gerechnet etwa gleich viel Strom produzieren, wie sie verbraucht. Es soll aber weiterhin Perioden geben, in denen man importiert, und andere, in denen man exportiert.
Wir haben in Sachen Stromproduktion derzeit ein Winterloch, wie wollen Sie dieses auffüllen? Regula Rytz: Die Grünen haben im Zusammenhang mit ihrer – von der Unia unterstützten – Atomausstiegsinitiative Szenarien für die Energiestrategie 2050 erarbeitet. Diese sehen für das Winterloch unter anderem folgende Massnahmen vor: Wärmepumpen in Kombination mit grossen Speichern, Photovoltaik in den Bergen, saisonaler Ausgleich in Speicherseen.
Christian Levrat: Es gibt tatsächlich ein Winterloch. Dieses ist aber nicht so gross, wie man oft denkt. In der Tat ist Photovoltaik schon ab Mitte Februar recht stark und bleibt es bis Ende Oktober. Und selbst im Dezember und Januar produzieren 50 Gigawatt installierte Photovoltaikleistung (siehe unter Frage 6) etwa 1,5 bis 2 Terawattstunden pro Monat. Wenn man nur mit Photovoltaik arbeitet, beträgt das Winterloch rund 9 Terawattstunden. Im schlimmsten Fall kann man dieses mit Gasstrom füllen. Man nimmt dafür zwar Emissionen von jährlich rund 4,5 Millionen Tonnen CO2 in Kauf, reduziert dafür 31 Millionen Tonnen CO2 im Bereich Gebäude und Mobilität. Wir sollten jedoch alles tun, um Gasstrom zu vermeiden beziehungsweise nur als kurze Überbrückung einzusetzen. Eine Option ist der Bau von Windkraftwerken in der Schweiz. Wir könnten auch Syngas (synthetisches Methan) aus den Sonnenstromüberschüssen vom Sommer machen und dieses im Winter wieder verstromen. Denkbar ist auch, im Winter Windüberschüsse aus der Atlantikküste zu importieren, oder gar Syngas. Zudem kann man auch bestehende Stauseen erhöhen, ohne dass die Natur grösseren Schaden nimmt.
Der ökosoziale Umbau (Wohnungsbau fördern, Förderung der Produktion synthetischer Brennstoffe usw.) kostet Geld, wie soll er finanziert werden? Regula Rytz: Am stärksten belastet es die Steuerzahlenden, wenn auf Klimaschutz verzichtet würde. So muss zum Beispiel die Rhone schon heute wegen der Gletscherschmelze verbaut werden. Kostenpunkt: 4 Milliarden Franken oder 500 Franken pro Person in der Schweiz. Je mehr sich die Berge erhitzen, desto teurer werden die Reparaturmassnahmen. Auch die heutige Energieversorgung ist nicht gratis. So schicken wir jedes Jahr über 6 Milliarden Franken nach Saudiarabien oder Russland, um Gas und Erdöl einzukaufen. Dieses Geld wäre in der Schweiz besser investiert. Wenn wir rasch umsteigen, können wir daraus eine Chance für die Wirtschaft und die lokalen Arbeitsplätze machen. Selbstverständlich muss auch die öffentliche Hand mithelfen: Statt in die Katastrophenbewältigung sollen Steuergelder in die Forschungs- und Innovationsförderung, in die Weiterbildung, in Gebäudeprogramme und eine Solaroffensive investiert werden.
Christian Levrat: Diese Investitionen sind in der Tat nicht gratis. Wir schätzen, dass man rund 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts dafür einsetzen muss. Im Verhältnis genau denselben Betrag haben übrigens unsere Grosseltern für den Bau der Stauseen und der Hochspannungsleitungen aufgewendet. Es braucht zudem öffentliches Geld. Wir wollen eine Energiewende für alle, nicht für wenige. Nicht nur die Reichen sollen CO2-neutral werden. Alle sollen zu fairen Bedingungen Zugang zu nachhaltigen Wohnungen und Verkehrsmitteln haben. Dieses Geld muss aus der Bundeskasse kommen und nicht aus der Besteuerung der Energie. Der Grund dafür ist ganz einfach: die direkte Bundessteuer ist progressiv. Sie belastet höhere Einkommen wesentlich stärker als kleinere. Die Finanzierung über die Besteuerung der Energie hingegen ist sehr unsozial, da die reichen Haushalte kaum mehr Energie konsumieren als ärmere Haushalte. Erfolgt die Finanzierung über die Besteuerung der Energie, würden arme Haushalte gleich viel zahlen wie die reichen.
Wäre der Vorschlag, den der work-Umbauplan macht, ein gangbarer Weg für Sie? Danach soll die Nationalbank, die faktisch auf einem Staatsfonds von 800 Milliarden Franken sitzt, zur Finanzierung beigezogen werden. Regula Rytz: Die Grünen haben bereits in der Finanzkrise 2008 einen «Green New Deal» mit einem Konjunkturprogramm von 3 Milliarden Franken für die Energiewende gefordert. Auch die Idee eines Staatsfonds haben wir geprüft und für gut befunden.
Christian Levrat: Ja, die Nationalbank ist eine Finanzierungsoption. Wir denken auch an die ordentliche Staatsverschuldung. Für Investitionen ist diese absolut vertretbar und würde auch den Aufwertungsdruck auf den Franken schwächen.
Sollen Parteien und Gewerkschaften mit der Klimajugend ein Bündnis eingehen? Regula Rytz: Die Klimajugend soll eigenständig und unabhängig bleiben. Doch die Grosskundgebung im September hat gezeigt, dass ein breites Aktionsbündnis grosse Wirkung entfalten kann. Solche punktuelle Zusammenarbeit wird es auch in Zukunft brauchen. Die Gewerkschaften sind für den ökosozialen Umbau zentral.
Christian Levrat: Ja. Wir müssen so bald als möglich in die Umsetzung gehen. Wir können uns nicht länger nur mit der Diagnose und der Zielformulierung beschäftigen.
Wenn die Umfragen richtig liegen, wird es im National- und im Ständerat eine Mehrheit links von SVP und FDP geben. Wie gross werden künftig die Spielräume für einen ökosozialen Umbau sein? Regula Rytz: Deutlich grösser. Wer die Grünen wählt, wählt ökologische Kompetenz, gepaart mit sozialer Verantwortung. Ob wir darüber hinaus die Grenzen des politisch Machbaren verschieben können, hängt vom weiteren Druck der Klimajugend und der Gewerkschaften ab.
Christian Levrat: Treffen diese Prognosen ein, ist das ein Auftrag für eine sozialere und ökologischere Politik. Will man, dass diese auch gerecht und sozial geführt wird, muss man SP wählen. Nur die SP hat sowohl den Aspekt Klima als auch jenen der Gerechtigkeit in ihrer DNA.
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