Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Es gibt solche Fehler und solche. Neulich war hier von Zustellfehlern die Rede. Diesmal ist die Angelegenheit komplexer, um nicht zu sagen unüberschaubar. Unabdingbar gewordenes Attribut der Zustellenden ist der Scanner. Ein tönender Schussapparat. Der Scanner piepst. Oder schreit. Je nach Hörart.
Schon wieder ein Fehlerpunkt für die Teamstatistik.
ALLWISSEND. Der Scanner enthält alle eingeschriebenen Sendungen eines Arbeitstages. Wenn nicht schon von den Sortiermaschinen in den grossen Sortierzentren, durch die jede «maschinenfähige» Sendung läuft, werden die Barcodesendungen von den Briefträgerinnen und -trägern eingescannt. Mit dem Scanner wird jeder Zustellschritt bestätigt und quittiert. Der Scanner weiss fast alles. Er weiss vieles, was die Briefträgerin nicht weiss, nicht wissen kann, weil es hinter Algorithmen in der virtuellen Unsichtbarkeit versteckt ist.
Der Scanner registriert und rapportiert. Vorausgesetzt, er funktioniert. Er liefert auch die Grundlagen für die regelmässig vom System ausgespuckten Fehlerlisten: falsch gescannte Sendungen, ungenügend eingescannte Nachsendungen und so weiter. Die Fehler lassen sich den Touren zuordnen und diese wiederum der Person, die sie am betreffenden Tag lief.
TOLGGEN. Ein kurioser Schwank aus dem Alltag: Im Adressmanagement Post (AMP) sind alle Zustelladressen der Schweiz erfasst. Mittels Scanner sind sie à jour zu halten. Nun weiss die Briefträgerin: Herr Müller ist weggezogen, ohne Hinterlassen einer Nachsendeadresse. Der Briefkasten trägt nicht mehr seinen Namen, sondern einen neuen.
Die Briefträgerin schickt den Brief zurück an die Absenderin mit dem Vermerk: «Empfänger konnte nicht ermittelt werden.» Im Datenpool gibt es den Herrn Müller aber noch, die Briefträgerin wartete nicht ab, bis die Adresse deaktiviert war. Die Maschine in Härkingen merkte es. Fehler!
Wieder ein Fehlerpunkt für die Teamstatistik, wieder ein Tolggen im Heft. Obwohl die Rücksendung im richtigen Leben kein Fehler war. Herr Müller ist definitiv weg.
«Schwer nachvollziehbar und eigentlich ungerecht, das Vorgehen als Fehler zu registrieren», gab die Chefin zu. «Aber hier geht es halt um Systembefriedigung.»
«Systembefriedigung», so dachte die Briefträgerin. «Auch ein Aspekt meines Berufs …»