Sie hat für (fast) alle ein Lächeln übrig: Regina Karich (47), Coop-Kassierin und Unia-Frau. Von der Gewerkschaft wünscht sie sich mehr Engagement im Detailhandel.
KLARE FORDERUNG. Coop-Kassierin Regina Karich (47) wünscht sich Respekt für ihre
Arbeit – nicht mehr, nicht weniger. (Foto: Florian Bachmann)
Sie lebt auf dem Land und liebt die Stadt – Basel vor allem und London. Sie kommt aus einer bürgerlichen Hochburg und ist SP- und Gewerkschaftsmitglied. Sie arbeitet bei Coop – und kauft vieles in der Migros. Eines ist klar: Regina Karich (47) lässt sich nicht so leicht einordnen und erst recht nicht in eine Schublade pressen. Dabei arbeitet sie als Kassierin in einem Job, den die meisten Menschen ganz schnell schubladisieren. «Der Verkauf wird oft als was Minderwertiges betrachtet», sagt sie. Es klingt nicht vorwurfsvoll oder bitter, es ist die nüchterne Feststellung einer gestandenen Berufsfrau, die Respekt erwartet – nicht mehr, nicht weniger.
Dass sie im Detailhandel arbeiten würde, war für Regina Karich schon früh klar. «Ich bin in einem Kleiderladen aufgewachsen», erzählt sie. Ihre Grosseltern haben im aargauischen Laufenburg ein Geschäft geführt. Die Enkelin spielte mit dem Gedanken, das Geschäft zu übernehmen. Aber Laufenburg sei zwar «ein hübsches Städtchen», sagt Karich. «doch zum Einkaufen gehen die Leute ins grössere Frick».
UNSCHÖNE TELEFONATE. Den Kleiderladen gibt’s seit 30 Jahren nicht mehr. Regina Karich machte in einem Schuhhaus in Möhlin AG ihre Lehre, war danach noch ein paar Jahre in verschiedenen Geschäften tätig. Mit 22 wurde sie zum ersten Mal Mutter, 3 Jahre später zum zweiten Mal. Sie widmete sich ganz ihren Kindern. Als ihr jüngeres Kind ins Kindergartenalter kam, stieg sie als Teilzeitkraft im Stundenlohn bei Coop ein. Das war vor 18 Jahren. Schnell engagierte sie sich beim Verein der Coop-Angestellten, seit 15 Jahren auch in der Unia, die ihr geholfen hat, nach Jahren endlich eine Festanstellung zu bekommen.
«Ich war schon immer ein sozialer Mensch», sagt sie. «Ich habe mich deshalb auch bei der SP engagiert, beispielsweise für die Kampagnen vor den Nationalsratswahlen.» Vieles erzählt sie beinahe beiläufig, manchmal mit einem spontanen Lachen begleitet: Sie scheint kein Mensch zu sein, der im Mittelpunkt stehen muss oder sich im Glanz anderer sonnen will. Für ein politisches Mandat hat sie nie kandidiert – unter anderem, weil ihr Mann als SP-Präsident in ihrem Wohnort Boswil AG schon genug im Rampenlicht steht: Er hatte dafür gesorgt, dass gegen den Boswiler Gemeindeschreiber ein Strafverfahren eröffnet wurde, weil dieser öffentlich gegen Flüchtlinge gehetzt hatte.
Natürlich wurde auch Regina Karich immer wieder darauf angesprochen und erhielt das eine oder andere unschöne Telefonat. Aber: Sie ist kein Anhängsel ihres Mannes. Sie politisiert eigenständig «am liebsten dort, wo ich lebe und arbeite». Als Unia-Regiovorstand der Sektion Aargau-Nordwestschweiz ist es ihr wichtig, «meinen Kolleginnen und Kollegen bei Problemen zu helfen». Diesbezüglich hat sie auch Wünsche an die Unia: «Die Gewerkschaft hat in den letzten Jahren vor allem viel in der Baubranche geleistet. Es ist an der Zeit, dass der Detailhandel wieder mehr Aufmerksamkeit erhält», sagt sie. «Mein grosses Anliegen ist es, dass die Coop-Gruppe im Aargau wiederauflebt.»
GAR NICHT LANGWEILIG: Dass sie im Detailhandel arbeiten würde, war für Coop-Kassierin Regina Karich schon immer klar, schliesslich wuchs sie im Kleiderladen ihrer Grosseltern auf. (Fotos: Freshfocus, Express, Keystone)
VOLL PRÄSENT. Vor 28 Jahren hat Regina Karich ihre Lehre abgeschlossen. Eine Zeit, in der sich vieles gewandelt hat – unvorstellbar, dass damals jemand einen Laden betreten und wieder verlassen hätte, ohne überhaupt ein Wort mit dem Verkaufspersonal zu wechseln. Heute ist genau dies der Alltag in vielen Supermärkten mit ihren Selfcheck-Kassen. Ist es nicht langweilig, solche Apparate zu betreuen? Regina Karich schüttelt vehement den Kopf. «Gar nicht – im Gegenteil. Man muss voll präsent sein.» Dann etwa, wenn drei Kassen gleichzeitig blinken. Da gilt es, ruhig Blut zu bewahren und den Leuten klarzumachen, dass «ich auch nur zwei Hände habe».
Karich arbeitet in zwei Filialen, in einer grösseren in Affoltern am Albis ZH und in Mellingen AG. «Die Zürcher Kunden sind stressiger, aggressiver und anspruchsvoller. Im Mellingen geht alles noch ruhiger und familiärer zu und her», sagt sie. Zudem sei das Publikum in Affoltern internationaler, viele Russen und Amerikaner. Aber unabhängig davon, wo Karich gerade arbeitet, hat sie den gleichen Grundsatz im Kopf: «Wir Verkäuferinnen sind das Aushängeschild von Coop. Und das bedeutet, dass wir freundlich bleiben müssen, auch wenn die Kunden unfreundlich sind.»
Freundlich ja – aber trotzdem bestimmt. So wie an der letzten Fussball-Europameisterschaft: Da durften die Verkäuferinnen im Landestrikot ihrer Lieblingsmannschaft erscheinen. Karich trug ein Schweizer Shirt. Ein Kunde deutete auf ihr Namensschild und sagte: «Du trägst das falsche Shirt. Du bist doch eine ‹-ić›.» Sie forderte ihn auf, ihren Namen zu buchstabieren, er ignorierte das Schluss-h konsequent. Sie liess sich nicht beirren und beendete die Konversation mit dem Satz. «Ich bin Schweizerin und stolz auf mein Land.»
Früher, meint ihr Mann, sei sie mehr auf Konfrontation gegangen. Doch seit sie vor ein paar Jahren nach einem Bandscheibenvorfall am Halswirbel operiert wurde, ist sie ruhiger geworden. Doch auch heute kommt es vor, dass sie nach der Arbeit erst mal Dampf ablassen muss. Dann zieht sie die Boxhandschuhe an und drischt auf den Boxsack ihres Sohnes ein – allerdings mit Rücksicht auf die Wirbelsäule nicht zu fest. Oder sie geht mit ihren Hunden spazieren und schreit im Wald ihre Wut raus. Einmal habe sie ein Spaziergänger gefragt, ob alles in Ordnung sei. «Ja, mir geht’s gut», habe sie geantwortet.
Regina Karich Städtereisende
Regina Karich (*1972) lebt mit ihrem Mann, einem diplomierten Drogisten und IT-Spezialisten, und Sohn Dominik (22) seit 12 Jahren in Boswil im Kanton Aargau. Ihre ältere Tochter Cécile ist 25 Jahre alt und lebt in einem Nachbarort. Vorletztes Jahr ist Regina Karich Grossmutter geworden und geht in dieser neuen Rolle mit Herz und Seele auf. Zur Familie Karich gehören auch zwei Hunde, ein Prager Rattler und ein Mops, sowie eine Katze. Sie halten Regina Karich neben ihrer Arbeit auf Trab.
FCB-FAN. Sie verbringt aber auch gerne Zeit im Garten, bei Näh- und Strickarbeiten oder auf Städtetrips. Besonders angetan haben es ihr als FCB-Fan Basel – «das ist meine Stadt» – und London. Die englische Metropole besucht sie mehrmals jährlich – unter anderem pilgert sie dort gerne in den Wäscheladen Victoria’s Secret. Auf Städtereisen frönt sie auch mit Begeisterung einem weiteren Hobby, das sie mit ihrem Mann teilt: der Fotografie. «Auch wenn ich eine Stadt kenne, entdecke ich immer neue Sujets», sagt sie.
BIBEL. Auf ihrem Nachttisch liegt eine Bibel, in der sie täglich liest: «Seit meinem Bandscheibenvorfall bin ich ein sehr religiöser Mensch geworden», sagt sie. Regina Karich ist Mitglied beim Verein der Angestellten Coop (VdAC) und bei der Unia. Sie arbeitet 70 Prozent und verdient CHF 2350 (netto) monatlich.