Gottlosigkeit, Homosexualität, Frauenbefreiung: Das sind die muslimischen Tabubrüche, mit denen der Filmemacher Samir aus Zürich in seinem neuen Spielfilm «Baghdad in my shadow» spielt – bis ein Sprengsatz detoniert.
IM EXIL: Amal (Zahraa Ghandour) ist Architektin und will selber über ihr Leben und ihren Körper bestimmen. (Foto: Dschoint Ventschr)
Am Anfang fliesst der Fluss Tigris, und wir sehen eine blutige Folterszene. Die Schergen von Diktator Saddam Hussein schlagen zu. Am Ende fliesst immer noch der Tigris. Ruhig dahin. Und wir sehen das Einkaufsviertel Karada aus der Vogelperspektive in einem grossen Schwenker. Und hören Hoffnung sprechen aus dem Off: Eines Tages werden wir über die ganze Welt verstreut in Frieden und ohne Rassismus und Gewalt leben können.
Genau das probieren in Samir Riadh Jamal Aldins neustem Film eine Gruppe von Exil-Irakis in der Multikulti-Diaspora London. Sie sind Secondas und Secondos, so wie ihr Regisseur auch. Samir wurde 1955 als Sohn einer Schweizerin und eines Irakers in Bagdad geboren. 1961 kam er mit seinen Eltern in die Schweiz. Und während es seine weitverzweigte Verwandtschaft etwa nach Paris und London verschlug, verschlägt es Samir «nur» nach Zürich. Das hat ihn immer gewurmt, denn hier war tote Hose. Und hier war er in den 1960er und 1970er Jahren der kleine Ausländer, der nicht dazugehörte. Das war lange bevor der Ausdruck «Secondo» geboren wurde. Und lange bevor sich Migrantinnen und Migranten in der fremdenfeindlichen Schwarzenbach-Schweiz nicht mehr ducken mussten.
Die Schatten von früher sind den Irakis in London dicht auf den Fersen.
ARABISCHE SCHNULZEN
Taufiq ist Kommunist und war irakischer Dissident unter Saddam, ein Gottloser; Amal ist Architektin, und sie will selber über ihr Leben und ihren Körper bestimmen; Muhanad ist IT-Spezialist und heimlich schwul; und Nassir, der Enkel von Taufiq, ist Anhänger eines Salafisten-Hasspredigers: Sie alle versuchen, sich nicht zu ducken und in ihrer zweiten Heimat trotzdem heimischer zu werden. Als Wahlfamilie treffen sie sich regelmässig in Zekis Café Abu Nawas – und sitzen und plaudern und spotten und paffen und hören arabische Schnulzen. Hier, im Café, sind sie geschützt, hier haben all ihre Widersprüche Platz, sogar ein Weihnachtsbaum mit Kommunistenstern auf dem Spitz. Diese Geborgenheit brauchen sie, denn die Schatten von früher folgen ihnen auf den Fersen. Taufiq: Folter und Verrat fressen seine Seele auf. Amal: Unterdrückung und Verachtung nagen an ihr, sie ist vor ihrem Mann, einem Saddam-Agenten, geflüchtet. Und Nassir: Er weiss weder woher noch wohin mit sich, und das treibt ihn in den Halt fundamentalistischer Glaubenssätze. Doch diese sind Sprengsätze aus Messer, Blut und toxischer Männlichkeit.
Die Idee für den Film hatte Samir vor sieben Jahren. Er sagt: «Drei Hauptpersonen schwebten mir vor: eine Ehebrecherin, ein Homosexueller und ein Gottloser. Also drei muslimische Tabubrecher.» «Baghdad in my shadow» läuft jetzt zwar auch in Ägypten, doch die Sexszene zwischen den zwei Männern muss raus. Und die wunderschöne irakische Schauspielerin Zahraa Ghandour, die Amal leider etwas blutlos interpretiert, muss zittern. Weil sie eine (sexuell) emanzipierte Frau spielt, eine, die ihren Ehemann verlässt. Und weil Ghandour noch immer in Bagdad lebt.
MESOPOTAMIEN IM MUSEUM
«Baghdad in my shadow» zeigt aber auch «die ungleiche Vertrautheit mit dem kulturellen Erbe des jeweils ‹Anderen›», wie der kanadische Literaturwissenschafter Rafaël Newman in seiner Filmkritik auf der Website der Geschichte der Gegenwart schreibt (rebrand.ly/filmkritik). Dichter Taufiq arbeitet als Nachtwächter im British Museum und bewacht dort quasi seine eigene Vergangenheit: die Überreste Mesopotamiens. Derweil Taufiq am anderen Ende der Welt seinen Shelley gelernt hat. Er rezitiert die Verse dieses britischen Nationaldichters als wären’s die seinen. Kolonialismus und Imperialismus lassen grüssen. Das aber nur zwischen den Zeilen, besser gesagt: zwischen den Bildern. Und diese hat Samir teils durch wunderbar-abrupte, fast dadaistische Bildschnitte verbunden. Wir sehen ein Auge im Close-up und fallen ohne Vorwarnung in den aufsteigenden Dampf einer Kaffeemaschine. Wir fliegen mit einem Plasticsack leicht im Wind und stürzen nahtlos und schwer hinein in eine heranstürmende Menschenmeute. Und irgendwann schauen uns zwei grosse Spiegeleier aus einer Pfanne lange und nachdenklich an. Es ist diese ganz schön poetische Bildsprache, die uns über einige Längen im Film hinwegspickt.
Baghdad in my Shadow von Samir läuft zurzeit in den Kinos.