Stur wie eine Eselin
Die Wahrheit ist ja bekanntlich ein stark umworbenes, kostbares Gut. Und sieht je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich aus.
Das war wieder mal eine feine Machtdemonstration des Rechtsblocks von GLP über CVP bis FDP/SVP: diese Erneuerungswahl des Bundesrates ohne Erneuerung. Dafür mit umso mehr helvetischem Pathos-Theater vor der Wahl. Selbst die unsichere «geopolitische Lage» musste herhalten gegen die grüne Sprengkandidatin Regula Rytz (bei FDP-Fraktionschef Beat Walti). Und die Wirtschaftsprognosen, die bedrohlich eindunkeln (bei SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi). Geschweige denn unsere Compatriots aus der Schweizer Sonnenstube: Nein, mit der Abwahl des Tessiners Ignazio Cassis könne man diesen armen Grenzkanton jetzt nicht brüskieren! Konkordanz sei schliesslich keine «mathematische Grösse» (Walti again). Und deshalb zähle im Moment nur eins: Stabilität Stabilität Stabilität (alle im Chor). Denn es brauche einen Bundesrat «wie ein Fels in der Brandung» (Walti zum dritten).
Selbst die «geopolitische Lage» musste gegen Rytz herhalten.
WALTIS & AESCHIS. Keine Veränderung also, nur schnöder Machterhalt. Dies, obwohl am 20. Oktober Historisches geschah: Noch nie seit 1919 wurde eine Partei so gestärkt wie die Grünen. Ins Bundeshaus getragen von zwei bewegungspolitischen Tsunamis, dem Frauenstreik und der Klimabewegung. Beide ebenfalls historisch: Mehr als eine halbe Million Frauen (und Männer) protestierten am 14. Juni für mehr Frauenpower und weniger toxische Männlichkeit. Und fast 100’000 Menschen machten sich am 22. September für die sofortige Klimawende stark (siehe work-Jahresrückblick). Ihnen allen und dem Klima haben die Waltis & Aeschis unter der goldenen Bundeshauskuppel nun gezeigt, wie ernst sie sie nehmen. Nämlich gar nicht.
SCHWEIZ GMBH. Was ist der Bundesrat? fragte sich einst jene Kommission, die die Schweizer Verfassung schrieb. Und war sich einig: er soll wie ein Verwaltungsrat funktionieren. Der Verwaltungsrat des Gesamtunternehmens Schweiz. Und so sorgt die Schweiz GmbH denn seit je für Stabilität. Dafür, dass die Machtverhältnisse nicht verrutschen. Die Banken-, Bauern-, Militär- und Millionärsmacht. Was ist ein Bundesrat? fragte sich einst auch Bundesrat Carl Schenk (1864–1895) in seinem Tagebuch: «Ein Mensch, welcher in einem der 7 eidgenössischen Mastkörbe sitzt, von denen man nach Bankpräsidien ausschaut, und, bis eines in Sicht ist, dem Volk zu dienen vorgibt.» Schenk war Freisinniger, und er schrieb die hübschen Zeilen, bevor man auch die Sozis im Bundesrat mitrudern liess.
Die Stabilität wäre also einmal mehr hergestellt. Wiewohl unklar ist, ob diese mit der Desavouierung eines Drittels der Wählerinnen und Wähler auch anhält. Zweifel sind angebracht, meint work-Autor Clemens Studer in seiner Wahlanalyse.
Ja, die bösen bösen „Bürgerlichen“! Die waren doch seinerzeit auch immer für die Überschwemmungen in der Berner Matte verantwortlich, als sie in der Stadtregierung noch die Mehrheit stellten. Das geht jetzt natürlich nicht mehr. Who to blame? Ich schlage vor: die zwei Tsunamis Frauen und Klima. Ist’s auch blöd, folgt die Logik doch der Metaphorik, die auf diesen Seiten gepflegt wird.
Ich glaube Herr Bitterli es ist nicht die Zeit und der Ort, diese bürgerlich angesäuerte Fedemetaphorik nachzuempfinden.Es ist Vielen da Draussen klar geworden, wie traurig das Ganze ist und bedenklich für eine sogenannte Demokratie, deren Machtgehabe und Machtzementierung wichtiger ist als lebendige und aktuelle Politik mit Inhalten, die nicht von der Lobbyistenkasse bezahlt wird und nur Wenigen Vorteile bringt!
„Es ist Vielen da Draussen [wo draussen?] klar geworden, wie traurig das Ganze [welches Ganze?] ist und bedenklich für eine sogenannte Demokratie [wieso sogenannte, wenn es ja bedenklich ist?], deren Machtgehabe [das Machtgehabe der Demokratie??] und Machtzementierung wichtiger ist [das Machtgehabe der sogenannten Demokratie, für die das Ganze bedenklich ist, ist wichtiger als… häää??) als lebendige und aktuelle Politik mit Inhalten, die nicht von der Lobbyistenkasse bezahlt wird und nur Wenigen Vorteile bringt!“
Vielen da draussen mag das Ganze klar geworden sein. Ihnen eher nicht. Mir auch nicht.