In Berlin geht jeder zweite Euro für die Miete drauf. Jetzt reagiert die Stadtregierung mit einem strengen Gesetz. Und löst damit doch nur einen Teil des Problems.
DEMO GEGEN MIETENWAHNSINN: In den letzten zehn Jahren stiegen die Mieten in Berlin um 70 Prozent. (Foto: Keystone)
Am Brandenburger Tor in Berlins Mitte ist schon so manche Demonstration vorbeigezogen. Doch einen derart grotesken Umzug wie jenen vom 9. Dezember hat die deutsche Hauptstadt schon lange nicht mehr erlebt. Da waren vornehme Damen in Pelzmänteln, die unaufhörlich in ihre Trillerpfeifen pusteten. Da waren befrackte Herren, die ohne jedes Rhythmusgefühl auf Abfalleimer einhämmerten. Und da waren Geschäftsleute in Gelbwesten, die mit Plastic-Klatschhänden wedelten und in Vuvuzelas tröteten, sobald sie im Fokus einer Fernsehkamera standen. Die da so unbeholfen den Aufstand probten, waren Wohnungsvermieter, Hauseigentümerinnen und Bauunternehmer. Sie sind dem Notruf der lokalen Immobilienlobby gefolgt, gemäss der die Stadt kurz vor der «Rückkehr zur sozialistischen Planwirtschaft» steht. «Aber», ruft ein Immobilienmanager von der Bühne herunter, «der Weg nach Nordkorea ist nichts für Berlin!»
Berlin will Mietzinserhöhungen verbieten.
DECKEL DRAUF
Verantwortlich für die apokalyptischen Visionen des Immokapitals ist der sogenannte Mietendeckel, den die linksgrüne Berliner Landesregierung im Oktober angekündigt hatte. Tatsächlich ist das Gesetz landesweit einmalig. Es verbietet nämlich fast ausnahmslos Mietzinserhöhungen – und zwar für eine Dauer von mindestens fünf Jahren. Ausserdem sieht das Gesetz für sämtliche Wohnungskategorien Mietobergrenzen vor. Und wenn ein alter Mietvertrag 20 Prozent oder mehr über der neuen Obergrenze liegt, darf die Mieterin ganz einfach eine Preissenkung verlangen. Den Vermietern wiederum drohen Strafzahlungen von bis zu 500’000 Euro, etwa wenn sie illegale Wuchermieten kassieren.
Noch ist das Gesetz nicht in Kraft. Es braucht noch den Segen des Parlaments, der spätestens im Frühling erwartet wird. Allerdings könnte der Mietendeckel auch dann noch verhindert werden. So haben CDU und FDP der Immobranche versprochen, das Gesetz vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Und auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zeigte sich bereits empört und liess über seine Behörde verlauten, der Mietendeckel verstosse gegen die Eigentumsfreiheit und sei damit grundgesetzwidrig.
PREISEXPLOSION
So gefürchtet der Mietendeckel bei den Besitzenden, so beliebt ist er im Volk: Ganze 71 Prozent der Hauptstädterinnen und Hauptstäder stehen hinter dem Gesetz. Sogar die Mehrheit der CDU-Wählenden und auch 47 Prozent der FDP-Sympathisierenden wollen den Deckel. Die hohe Zustimmungsrate kommt nicht von ungefähr. Berlins Bevölkerung besteht zu 82,6 Prozent aus Mieterinnen und Mietern. Und diese müssen für ein Dach über dem Kopf immer tiefer in die Tasche greifen. Während die Mieten von 2009 bis 2019 deutschlandweit um 50 Prozent anstiegen, betrug die Erhöhung in Berlin satte 70 Prozent. Mit drastischen Folgen: Unglaubliche 46 Prozent ihres Einkommens müssen die Hauptstädter im Schnitt mittlerweile für die Miete hinblättern.
RENDITE-JÄGER
Diese Preisexplosion ist hauptsächlich auf das Verhalten von einigen milliardenschweren Immobilienkonzernen zurückzuführen. Sie konnten in der Privatisierungswelle der 1990er Jahre Tausende ehemals kommunale Wohnungen ergattern – meist zu Spottpreisen. Und nun sehen diese Unternehmen im boomenden Berlin eine einzige Goldgrube und treiben mit einer aggressiven Mietsteigerungspolitik ihre Renditen in die Höhe. Resultat: Normal- und Geringverdienende werden zunehmend aus der Stadt verdrängt. Kein Wunder, brodelt es in Berlins Mieterschaft, die unter der Parole «Wir bleiben alle» immer häufiger gegen den «Mietenwahnsinn» auf die Strasse geht und radikale Vorschläge macht: Im Juni 2019 haben 77’000 Personen ein Volksbegehren zur Enteignung grosser Immobilienkonzerne unterzeichnet. Das liess die Immobranche zwar heftig zittern. Doch eines ändert weder der Mietendeckel noch die Sozialisierung von Häusern: Der völlig vernachlässigte Wohnungsbau hinkt dem Bevölkerungswachstum weit hinterher. Diesem Problem wäre nur mit einer Neubauförderung von bezahlbaren und gemeinnützigen Wohnungen beizukommen. So, wie das die Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbands für die Schweiz fordert.