Stinkendes Essen, Kälte und endloses Warten: So quälen EU-Behörden und griechische Militärs die Menschen im Flüchtlingslager Moria, schreibt Jean Zielger in seinem neuen Buch.
GRAUENHAFT: Die Bedingungen im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos sind unerträglich. (Foto: Keystone)
Sarah Mardini, eine junge Syrerin, versuchte 2015 zusammen mit ihrer Schwester und weiteren Flüchtlingen, in einem Schlauchboot die Meerenge zwischen der türkischen Küste und der griechischen Insel Lesbos zu überqueren. Bald setzte der Motor aus, das Boot trieb steuerlos dahin. Sarah und ihre Schwester, beide sehr gute Schwimmerinnen, sprangen ins Wasser und zogen das Boot bis zur Insel. Sie hatten Glück und erhielten Flüchtlingsstatus in Deutschland. Sarah begann ein Studium in Berlin. In den Semesterferien flog sie zurück nach Lesbos und beteiligte sich an der Rettung von Flüchtlingen, die in Seenot geraten waren. Kurz vor ihrer Rückkehr nach Berlin verhaftete sie die griechische Polizei. Weil sie auf ihrer eigenen Flucht andere Flüchtlinge gerettet hatte, wurde sie jetzt als Menschenhändlerin angeklagt. Ende 2019 war das Verfahren gegen sie noch nicht abgeschlossen.
Die EU verstösst gegen das Völkerrecht und die Flüchtlingskonvention.
ABSCHRECKEN, VERTREIBEN
Sarahs tragisch-absurde Geschichte erzählt Jean Ziegler in seinem neuen Buch, «Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten».
Im Mai des letzten Jahres war er im Auftrag der Uno nach Lesbos geflogen, um das Flüchtlingslager Moria zu besuchen. Zieglers Schilderungen der völlig überfüllten Lager sind erschütternd, so grauenhaft sind die Bedingungen dort. Das haben inzwischen Journalistinnen und NGO-Vertreter wiederholt bestätigt. Diese versuchen, das Leben der Flüchtlinge im Lager Moria etwas erträglicher zu machen. Mit geringem Erfolg. Die Flüchtlinge werden in Nässe, Kälte und Schlamm gefangen gehalten, sie haben kaum Möglichkeiten, sich zu waschen, bekommen stinkendes Essen vorgesetzt und müssen monatelang darauf warten, zu ihrem Asylgesuch auch nur angehört zu werden. Ziegler ist wie viele andere Besucherinnen und Besucher des Lagers davon überzeugt, dass die Grenztruppen und Asylbeamten Hand in Hand mit korrupten griechischen Militärs, denen die ehemalige Kaserne Moria untersteht, dies ganz bewusst so machen, um andere davon abzuhalten, ihrerseits auf die Insel zu flüchten. Was nicht funktioniert: Der Terror in Afghanistan, die Bomben im syrischen Idlib oder der Hunger in Ostafrika zwingen die Opfer, ihre Heimat zu verlassen und in Europa ein Auskommen zu suchen. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) erklärte kürzlich, dass allein im letzten Jahr bis zum 22. Dezember 73’377 Menschen aus der Türkei nach Griechenland kamen. In den 2015 auf Lesbos und vier anderen Inseln eingerichteten Erstaufnahmezentren drängen sich statt der geplanten 7500 mittlerweile 42’000 Menschen.
RÜSTUNGSINDUSTRIE FLORIERT
Sie alle haben Lesbos und die anderen griechischen Inseln nahe der türkischen Küste erreicht, obgleich die Europäische Union (EU) ihre Aussengrenzen mit äusserster Gewalt abzuriegeln und Fluchthelfer wie Sarah Mardini zu kriminalisieren versucht. Ziegler beschreibt ausführlich die «Push Back»-Aktionen der europäischen Grenzschutztruppen. Er weiss: Mit deren Ausrüstung macht die Rüstungsindustrie mehr Profit als mit dem Syrien
Was Herr Ziegler beschreibt, passiert übrigens nicht nur in Europa, auch an der Grenze zu den USA (in Mexiko) warten tausende Migrantinnen und Migranten auf die Einreise in die USA oder auf die Durchreise um nach Kanada zu gelangen unter ebenso Menschenünwürdigen bedingungen. Die Meisten schaffen es gar nicht erst durch Mexiko, soll heissen, sie fallen vorher irgend einem Drogenkartell zum Opfer und verschwinden auf nimmerwiedersehn von der Bildfläche, auch und gerade minderjährige Kinder. Es ist wahrhaftig eine Schande die ihresgleichen sucht.