Wie toxische Männlichkeit entsteht

Ein Kultbuch aus den 1970er Jahren ist wieder da: «Männerphantasien» von Klaus Theweleit. Es geht um Männergewalt und Rechtsextremismus. Und ist höchst aktuell.

RAMBOS: Entwurzelte, verstörte und verängstigte Männer, die voller Hass auf Frauen und Andersdenkende sind – unfähig zu Mitgefühl und Liebe. (Foto: Getty)

Warum lachte der Massenmörder Anders Breivik, als er 2011 in Oslo 77 Menschen erschoss? Warum übertrug 2019 der neuseeländische Neonazi Brenton Tarrant seine Morde in den Moscheen von Christchurch mit einer Kamera live ins Internet? Und warum fand er, dass jetzt «eine Party» beginne, als er mit der Schlächterei begann? Das sind unbequeme Fragen. Aber wichtige. Für solche ist der deutsche Kulturforscher Klaus Theweleit (77) ein Fachmann. Als erster befasste er sich intensiv mit der Lust am Töten, wie sie ihm bei den rechtsex­tremen Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg auffiel. 1977 erschien sein berühmtes Buch «Männerphantasien». Ein Wälzer von 1200 Seiten mit ausufernden Reflexionen. Theweleit machte damit Furore.

Klaus Theweleit.

EINFACH NUR PERVERS?

Der Kulturforscher hatte die sogenannten Freikorps-Soldaten und ihre Zeugnisse unter die Lupe genommen. Das waren entwurzelte, verstörte und verängstigte Männer, die voller Hass auf Frauen, Linke, Revolutionäre und Juden waren. Im Grauen des Weltkriegs waren sie verroht und hatten keine moralischen Skrupel mehr, kaltblütig selbst Frauen und Kinder zu töten. Sie alle huldigten einer rechtsextremen Ideologie. Dies machte sie zu frühen Faschisten. Ohne die Freikorps-Banden wäre Hitler nicht an die Macht gelangt.

Theweleit fand heraus, dass sich diese «soldatischen Männer» einen dicken emotionellen Panzer zugelegt haben. Dieser erlaubte es ihnen, ohne Schuldgefühle zu töten. Ja sie empfanden sogar Lust dabei. Ist das einfach nur pervers? Nein, sagt Theweleit. Männlichkeitswahn habe es schon immer und überall gegeben. Aber die Hassgefühle und die Verachtung für Frauen und Linke hätten sich speziell bei diesen Freikorps-Soldaten entwickelt. Theweleit stellte die Frage nach dem Körper, dem Geschlecht, der Identität und den Phantasien dahinter. Damit schlug er einen komplett neuen Weg ein. Er gilt dadurch als früher Vertreter der Männerforschung. Feministische Autorinnen haben später seine Befunde vertieft.

Toxische Männer vergiften die sozialen Netzwerke.

HASS UND GEWALT

Dank ihnen ist die toxische Männlichkeit heute in aller Munde. Damit sind Typen gemeint, die zur Gewalt gegen Andersdenkende, Flüchtlinge, Frauen, Minderheiten neigen. Die harten Kerle, die Probleme durch Hassreden, Zuschlagen und Niederschiessen aus dem Weg räumen wollen. Sie sind unfähig zu Mitgefühl und Liebe. Und vergiften heute nicht nur die sozialen Netzwerke, sondern greifen immer zerstörerischer in die Realität ein. Siehe die Morde des Nazi-Netzwerks NSU in Deutschland, die Bomben der Jihad-Killer des IS in Paris oder jüngst der Mord am Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte.

BRANDAKTUELL

Theweleit fordert eine andere Männlichkeit: weniger zerstörerisch, weniger aggressiv, weniger angstbesetzt. Er hält es für wichtig, dass wir ein neues «Liebesleben» unter Zivilisierten gleich welchen Geschlechts und gleich welcher Religion finden. Das sei sogar wichtiger als der Klimaschutz, sagt er. Darüber lässt sich streiten. Doch unbestritten ist die Brisanz seiner Thesen angesichts der grassierenden Gewaltphänomene in der Welt von Trump, Bolsonaro, Salvini & Co. Der heute 77jährige Theweleit sagt: «Leider ist mein Buch kein bisschen weniger aktuell, als es damals war.» Dabei hat er den berühmtesten Slogan der 68er Generation nicht vergessen – «Make love not war». Dieser ist simpel und einfach. Und trifft immer noch ins Schwarze.

Auf Youtube sind diverse Vorträge und Auftritte von Theweleit dokumentiert. Einfach seinen Namen in der Suchmaske eingeben.

Klaus Theweleit: Männer­phantasien, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2019, ca. CHF 39.–.

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